Sechzig Projekte haben sich für den Preis beworben, sieben sind nun nominiert – die stellt Belltower.News vor. Heute: Nyx e.V. und Regionalverband deutscher Sinti und Roma Augsburg mit “Schluchten – Neue Nachbarn”.
“Es gehört bestimmt mehr Mut dazu, einem Fremden zu vertrauen, als seine Andersartigkeit abzulehnen.” In Dorothea Schroeders Theaterprojekt “Schluchten – Neue Nachbarn” geht es um Vorurteile und Vorbehalte gegen Sinti und Roma. In den Jahren 2015 und 2016 wurde es von Nyx e.V. in Zusammenarbeit mit dem Regionalverband deutscher Sinti und Roma Augsburg umgesetzt.
Schauspieler, Sinti und Roma erzählten authentische Geschichten bei ihren Führungen durch das Augsburger Fischerholz. Alexander Adler, selbst Sinto, war einer von ihnen. Mit ihm sprach Fiona Katharina Flieder.
Flieder: Wie ist das Projekt entstanden?
Alexander Adler: Ich vermute, dass anfangs das Ziel von Dorothea Schroeder war, einen Einblick in die vermeintlich abgeschottete Welt der Sinti und Roma zu gewähren. Ehemalige Wohnorte, Campingplätze sollten gezeigt, auf Missstände hingewiesen werden. Es sollte beleuchtet werden, woher das Misstrauen auf beiden Seiten kommt und wo die größten Defizite sind. Eine Tragödie, für die beide Seiten nichts können.
Nach und nach zeigte sich jedoch anscheinend, dass es so einfach nicht ist. Das Projekt entwickelte sich weiter. Es sollte verdeutlicht werden, dass es mit einer Definition von “Sinti und Roma” nicht getan ist, sondern vielmehr der Beleuchtung der unzähligen verschiedenen Facetten des Lebens von Sinti und Roma bedarf.
Adler: Die Diskriminierung von Sinti und Roma – obwohl am stärksten in Deutschland – erfährt in der (medialen) Öffentlichkeit weniger Aufmerksamkeit als z.B. Rassismus oder Antisemitismus. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Ich nehme das gar nicht unbedingt als negativ wahr. Es ist nämlich so, dass wenn Leute über “Zigeuner” schimpfen, denken sie oft an ziehende Gauner, an Diebe und bringen das gar nicht unbedingt mit Sinti und Roma in Verbindung. Hinter antiziganistischen Sprüchen steht nicht zwangsläufig eine antiziganistische Haltung.
Außerdem begreifen sich viele Sinti – für Roma kann ich als Sinto nicht sprechen – als ein Teil Deutschlands. Wir müssen uns nicht integrieren. Das waren wir längst. Im Dritten Reich wurden wir dann einfach aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Danach mussten wir uns natürlich wieder hineinfinden, aber wir nehmen uns als Deutsche wahr. Allerdings werden wir oft diskriminiert und auch benachteiligt. Wir wollen natürlich keine Bevorzugung, aber eben auch keine Benachteiligung. Für eine gleichberechtigte Teilhabe bräuchten wir keinen Minderheitenschutz, in Anbetracht der aktuellen Lage ist er aber vonnöten.
Fiedler: Welche Reaktionen gab es auf das Stück?
Adler: Das war ganz unterschiedlich. Ein Teil der Mehrheitsbevölkerung hat Anstoß daran genommen. Viele Personen, die mit Sinti arbeiten und sich um Toleranz und Gleichberechtigung bemühen, haben zum Beispiel argumentiert, dass gewisse Bilder im Stücke vorkämen, die sie als antiziganistisch definieren würden. Oder auch, dass von “Zigeunern” gesprochen wird. Wieder andere kritisierten, dass nur eine soziale Schicht beschrieben würde.
Viele Leute wussten aber auch noch nicht viel über das Thema und fanden das Stück sehr informativ und interessant. Einige Inhalte wurden kontrovers diskutiert. Auch in der Sinti-Gemeinschaft. So kritisierten einige, dass sie sich nicht richtig repräsentiert gefühlt hätten. Andere wiederum lobten die Direktheit des Stücks. Im Großen und Ganzen gab es aber positive Reaktionen und wenn Kritik, dann oft konstruktive.
In Augsburg gab es zum Beispiel eine große Diskussion um die Begriffe der “Jenischen” und der “Reisenden”. Manche mögen das Wort “jenisch” nicht, weil sie es als Beleidigung sehen, und wollen daher nicht so bezeichnet werden. Andere nutzen es aber durchaus als Eigenbezeichnung. So haben wir einen Kompromiss gemacht und einfach beide Begriffe verwendet.
Allgemein gilt bei uns immer: Wir äußern erst einmal unsere Meinung und wie wir die Dinge sehen und danach kann diskutiert werden.
Mehr zum Amadeu Antonio Preis:
http://www.amadeu-antonio-preis.de/
Die Nominierten:
„Schluchten – Neue Nachbarn“
Schülergesprächskonzerte der Neuen Jüdischen Kammerphilharmonie Dresden
Tribunal „NSU-Komplex auflösen“
„Träumen auf deutsch, ohne Untertitel“
Weitere Projektvorstellungen auf Belltower.News:
http://www.belltower.news/lexikon/amadeu-antonio-preishttp://www.belltower.news/category/lexikon/projekte