Sechzig Projekte haben sich für den Preis beworben, sieben sind nun nominiert – die stellt Belltower.News vor. Heute: Die Neue Jüdische Kammerphilharmonie Dresden mit Schülergesprächskonzerten mit Werken verfemter europäischer Komponisten jüdischer Herkunft.
Mit speziell dafür geschaffenen Programmen sollen junge Zuhörer an die vergessene Musik jüdischer Komponisten herangeführt werden. Michael Hurshell ist Dirigent und künstlerischer Leiter des Projekts. Gemeinsam mit einigen Musikern gründete er die Neue Jüdische Kammerphilharmonie Dresden, die in diesem Jahr ihr zehnjähriges Jubiläum feiert. Vor fünf Jahren entstand die Idee, neben den normalen Konzerten auch politische Bildungsarbeit für Schüler_innen zu leisten. Aus der Verknüpfung von Bildung und Musik entstanden die sogenannten Schülergesprächskonzerte. Fiona Katharina Flieder sprach mit Michael Hurshell über sein Projekt.
Wie kam das Projekt zustande?
Michael Hurshell: Das Projekt ist Teil einer Initiative die seit 2007 läuft. Damals habe ich mit einigen Musikern in Dresden ein Orchester gegründet, um vergessene und verlorene Musik von jüdischen Komponisten, die seit der Nazi-Zeit in Deutschland nicht mehr gespielt wurden, auf die Bühne zu bringen.
Die Schülergesprächskonzerte sind für Jugendliche ab 16 Jahren, die im Schulunterricht bereits etwas über den Zweiten Weltkrieg gelernt haben und mehr darüber erfahren sollen, warum damals bestimmte Komponisten verboten und nicht mehr gespielt wurden.
Die Konzerte finden jedes Jahr als politische Bildung mit lebendigem musikalischem Inhalt statt. Durch das Vortragen der Stücke werden die Ohren und Köpfe der Schüler geöffnet. Danach unterhalten wir uns mit ihnen über die Musiker, ihre Werke, ihre Geschichten und darüber, was passiert, wenn ein totalitäres System in die Kunst eingreift.
Welche Musik wird denn bei den Konzerten gespielt?
Die meisten Musikliebhaber verstehen unter jüdischer Musik Klezmer und Klezmer ist Volksmusik. Bei unserem Projekt geht es aber um die für den Konzertsaal geschriebene Musik. Die Komponisten wurden an deutschsprachigen Musikhochschulen und -akademien ausgebildet, sie verstanden sich also als Mainstream-Klassik-Komponisten. Da war gar nichts Jüdisches dran. Sie sahen sich tief in der klassischen Tradition von Bach, Mozart und Brahms verwurzelt. Es überraschte sie daher, als ihre Musik von den Nazis als “entartet” eingestuft wurde. Das hatte mit der Musik aber rein gar nichts zu tun, sondern mit der Herkunft der Komponisten.
Die, die überlebten – viele wurden schließlich von den Nazis ermordet – haben erst im Exil angefangen, jüdische Elemente in ihre Konzertsaalmusik einzubinden. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war das durchaus üblich, Konzertmusik mit Elementen der Volksmusik zu kombinieren.
Das mag vielleicht ein Vorurteil sein, aber Jugendliche sind in der Regel doch eher schwer für klassische Musik zu begeistern. Wie kommt das Projekt bei denen an?
Die Schüler haben in der Regel die Musik noch nie vorher gehört. Komponisten wie Lavry, Schreker oder Weinberg kennen sie nicht. Die Jugendlichen werden aber auf die Konzerte vorbereitet. In Zusammenarbeit mit dem Anne-Frank-Zentrum in Berlin erstellen wir Pädagogikblätter für die Schulen, mit denen sie im Voraus arbeiten können, um sich über die Stücke und Komponisten zu informieren. Unsere bisherigen Erfahrungen mit den Schülern sind wunderbar. Sie sind sehr offen, sehr diskussionsfreudig.
Wir waren bereits in Grimma, Chemnitz, Görlitz, Waldenburg, Meißen, … Unser erstes Schülergesprächskonzert 2016 war in Hoyerswerda, was nun nicht gerade für seine Toleranz bekannt ist. Dort gibt es das großartige Lessing-Gymnasium, das eine spezielle Ausrichtung auf Musik als Schwerpunkt hat. Da wurden viele musikspezifische Fragen gestellt. Aber an sich ist das ganz verschieden.
Wir hatten auch schon solche Konzerte in der Dresdner Synagoge. Da kommen dann auch Fragen zum Gebäude und zur Gemeinde, nicht nur zur Musik. Die Schüler sind also sehr aufnahmebereit und finden das Thema interessant.
Die Idee ist, dass politische Bildung zu dieser Thematik besser funktioniert, wenn man erst einmal die Musik auf die Schüler einwirken lässt. Dann haben sie ein greifbares Beispiel und das ganze ist nicht so trocken.
Gibt es auch negative Reaktionen?
Bisher habe ich tatsächlich keine einzige erlebt. Als wir im Jahr 2012 mit den Schülergesprächskonzerten anfingen, haben wir selber die Schulleiter angefragt. Da hat man dann schon gleich gemerkt, wenn einer dagegen war – und das waren einige, dabei trägt die Schule keine Kosten. Ob die Schulleiter vom Projekt begeistert sind oder nicht, sagt aber natürlich nichts über das (potentielle) Interesse der Schüler aus.
Haben Sie da eine Veränderung in den letzten Jahren bemerkt?
Nein, aber ich bin gespannt, was die Bildungspolitik der neuen Regierung für Veränderungen bringen wird. Und in Sachsen haben wir auch noch die Kabinettsumbildung. Ich bin etwas besorgt, was daraus resultieren wird. Wir werden sehen, wie sich das entwickelt. Aber bis jetzt bin ich sehr glücklich über das gelungene Projekt.
Mehr zum Amadeu Antonio Preis:
http://www.amadeu-antonio-preis.de/
Die Nominierten:
Schülergesprächskonzerte der Neuen Jüdischen Kammerphilharmonie Dresden
Tribunal „NSU-Komplex auflösen“
„Träumen auf deutsch, ohne Untertitel“
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