Immer mittwochs ist Begegnungsnachmittags in der Flüchtlingsunterkunft in Roßwein. Da kommen Engagierte der Initiative „Willkommen in Roßwein“ ins Flüchtlingsheim, um mit den Menschen, die darauf Lust haben, ins Gespräch zu kommen, Vorurteile abzubauen, Bedarfe abzufragen, Kaffee zu trinken und gemeinsam etwas zu tun. Und weil das Bündnis durch alle Alters- und Gesellschaftsschichten geht, spiegelt sich das auch in den Angeboten: Die einen bieten Sport- und Spielangebote an, andere machen Straßenmalerei oder Riesenseifenblasen für die Kinder. Eine ältere Engagierte strickt leidenschaftlich gern – und stellte fest, dass sie über Handarbeiten einen guten Zugang zu älteren Flüchtlingsfrauen findet, die bisher wegen ihrer mangelnden Englischkenntnisse kaum an Angeboten teilgenommen hatten. Andere spielen draußen Fußball – seit der SV Roßwein zwei große Fußballtore gespendet hat, werden diese intensiv genutzt, ebenso wie die Torwand für Kinder, die die Fußball-Faninitaitive 1953 International gespendet hat. Um 18.30 Uhr allerdings gehen alle Engagierten von „Willkommen in Roßwein“ auf die Straße vor der Unterkunft und bieten dort Aktivitäten an. „Wenn wir auf dem Platz vor der Unterkunft eine Veranstaltung anmelden, ist dort kein Durchkommen mehr“, sagt Sophie Spitzner, eine der Engagierten Roßweinerinnen und Bildungsreferentin des „Treibhaus Döbeln e.V.“, „wir machen das, um das Heim und die Flüchtlinge zu schützen.“ Denn jeden Mittwoch zieht eine flüchtlingsfeindliche Demonstration durch die Stadt – angemeldet von „Roßwein wehrt sich – Roßwein sagt nein zum Heim“ – und die möchte so nah wie möglich ans Flüchtlingsheim heran. Mit dabei sind stets Neonazis aus dem Umfeld der NPD-Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ (JN). Jüngst spaltete sich die Roßweiner Bewegung – die neuen Anmelder heißen nun „Roßwein weht sich gegen Politikversagen“. „Natürlich bekommen die Flüchtlinge das mit, und es macht ihnen Angst“, sagt Sophie, „wir erklären ihnen dann: Es gibt hier Leute, die gegen das Heim sind, die Nationalisten sind – aber wir sind bei Euch, wir sind für Euch da und wir schützen Euch.“
„Wir sind bei Euch, wir schützen Euch“
Das ist wichtig und nötig, denn die Flüchtlingsfeinde bestehen aus „besorgten Bürger_innen“, aber auch aus gefestigten Neonazis, auch aus dem benachbarten Döbeln – und die sind nicht nur auf verbale Auseinandersetzungen aus: Angst zu verbreiten ist für sie wichtiger Teil ihrer Taktik. Gerade jüngere Helfer_innen wurden von Neonazis durch die Stadt verfolgt, ja geradezu gestalkt. Es gab auch gewalttätige Übergriffe. „Das Ziel ist, dass die Jugendlichen sich zurückziehen sollen aus der Flüchtlingshilfe, sie wollen Angst bekommen. Wir haben uns die Opferberatungsstelle der RAA Sachsen ins Boot geholt, um die Situation gut zu bearbeiten“, sagt Spitzner. Immerhin gelang es den Flüchtlingsfeinden nicht, eine „Bürgerwehr“ einzurichten: „Ein paar Tage lang haben sie Flüchtlinge mit Autos durch die Stadt verfolgt, haben am Straßenrand gestanden und sie fotografiert und dann die alte Leier verbreitet, die hätten alle Smartphones und Markenklamotten. Aber sie waren einfach zu wenige und haben wieder aufgehört.“
Da geht es „Willkommen in Roßwein“ besser. Rund 40 Menschen engagieren sich regelmäßig, dazu kommt ein breiter Kreis von Menschen, der für Aktionen ansprechbar sind. So ist eine große Bandbreite an Engagement möglich: Neben den konkreten Aktionen für und mit den Flüchtlingen gibt es Infoveranstaltungen zu Asylpolitik und -praxis, aber auch Schulungen für Politik und Verwaltung über gute Kommunikation zum Thema Flüchtlinge. Die Seitenmanager von „Willkommen in Roßwein“ bei Facebook verbreiten nicht nur die Aktionen der Initiative, sondern setzen sich auch inhaltlich mit den „Argumenten“ der Flüchtlingsfeinde von „Roßwein wehrt sich“ auseinander.
Vernetzung bring Impulse für die demokratische Kultur vor Ort insgesamt
Die Stadtverwaltung steht hinter dem Willkommens-Bündnis, das breit aufgestellt ist aus verschiedensten Institutionen, Vereinen und Engagierten aller Altersstufen, die auch von der Begegnung quer durch die Generationen profitieren. Für die Vernetzungsarbeit wichtiger kommunaler Akteure gab „Willkommen in Roßwein“ entscheidende Impulse, brachte Landratsamt, Stadtverwaltung, Asylsuchende und Stadtbevölkerung ins Gespräch. Dies führte etwa auch zu einer Annäherung zwischen Kirche und Verwaltung. Die Folgen sind über die Willkommensinitiative hinaus spürbar. Die örtliche Zivilgesellschaft ist durch das gemeinsame Agieren und Aktivwerden deutlich zusammengerückt.
Dadurch entstehen viele gute Ideen – etwa, mit Flüchtlingen die Dekoration für das lokal besonders wichtige „Roßweiner Schul- und Heimatfest“ zu gestalten – und das Fest dann auch mit ihnen zu besuchen, was zu guten Begegnungen auch mit (Noch)-Nicht-Bündnis-Mitgliedern führte. Drei Lehrerinnen bieten im Heim ehrenamtlichen Deutschunterricht an. Und der ist so beliebt, dass sich das Landratsamt nun um neue Räume bemühte, damit der Unterricht in entspannter Atmosphäre stattfinden kann. Die Mitglieder von „Willkommen in Roßwein“ kümmern sich auch um die Finanzierung für Materialien und Aktionen, akquirieren Spendengelder, organisieren Benefizveranstaltungen und konnten etwa Gelder von der evangelischen Landeskirche für ein mobiles Klassenzimmer erhalten.
Neben den Unterrichtsräumen gestaltet das Bündnis auch weitere Räume in der ehemaligen Hochschule Roßwein, in der die Flüchtlinge untergebracht sind: Eine Kinderecke und ein Billardzimmer bieten Zeitvertreib. „Für die jungen Flüchtlinge arbeiten wir natürlich mit der offenen Kinder- und Jugendarbeit zusammen“, sagt Sophie Spitzner, „zu deren Veranstaltungen, zum Kickern und zur Volxküche können sie dann auch vorbeikommen und Kontakte mit Gleichaltrigen knüpfen.“ Ein Vorteil für alle Beteiligten: „ Ja, sie sind dankbar, aber ehrlich gesagt ist mir wichtiger, dass wir uns einfach gut verstehen. Es sind Freundschaften entstanden. Wir freuen uns über tolle neue Leute in unserem Umfeld.“
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Info: Der Sächsische Förderpreis für Demokratie 2015
64 Bewerbungen für den Sächsischen Förderpreis für Demokratie – Preisverleihung am 9.11. in Dresden mit Laudatio von Anja Reschke
In diesem Jahr wird der Sächsische Förderpreis für Demokratie zum neunten Mal verliehen. Der Preis würdigt herausragendes Engagement von Initiativen und Kommunen gegen Rechtsextremismus und für Menschenrechte und eine demokratische Kultur in Sachsen. 64 Initiativen, Projekte, Kommunen und Landkreise bewarben sich für die Auszeichnung. Ende September tagte die Jury, um aus der Fülle spannender Einreichungen diejenigen auszuwählen, die am 9. November in Dresden ausgezeichnet werden.
Die Nominierten des Sächsischen Förderpreises 2015 sind:
Banda Comunale: Mit der Initiative Neujahrsputz und der Angsthasen Prozession setzten sie Pegida eine Protestform entgegen, die mit Satire und positiven Bildern viele Dresdner ermutigte, sich mit zu positionieren.Bündnis „Willkommen in Roßwein“: Die Bürgerinitiative organisierte sich, um mit Politik, Ver-waltung, Kirchen und Vereinen Asylsuchenden die ersten Schritte im Ort zu erleichtern und der lokalen Pegida-Bewegung die Stirn zu bieten.Bürgerinitiative „Gesicht zeigen“ – Netzwerk für demokratisches Handeln: Engagierte Eltern starteten trotz ständiger Bedrohung ein vielfältiges Programm zur Entwicklung einer demokratischen Soziokultur im ländlichen Raum um Penig und Lunzenau.Initiativkreis Antirassismus: Das Projekt „Die verschwiegenen Toten“ informiert über statistisch nicht erfasste Opfer rechter Gewalt in Leipzig und kämpft um ihre Anerkennung und ein an-gemessenes Gedenken.Legida? Läuft nicht. Leipziger Studierende gegen Rassismus: Die hochschulübergreifende Initia-tive ist eine der treibenden Kräfte der No-Legida-Bewegung und aktiv bei der Unterbringung von Asylsuchenden in Gebäuden der Hochschulen.Schüler für Flüchtlinge: Die Schüler des Goethe-Gymnasiums Bischofswerda setzen sich für Aufklärung und praktische Hilfe im benachbarten Asylbewerberheims ein und wurden zum Zentrum der ehrenamtlichen Unterstützungsstrukturen der Stadt.Jürgen Opitz, Bürgermeister der Stadt Heidenau: Der Bürgermeister positionierte sich klar ge-gen fremdenfeindliche Ausschreitungen und gewalttätige Flüchtlingsgegner und schaffte es so, auch andere Bürger für Willkommensaktivitäten zu mobilisieren.
Die Verleihung des Preises findet am 9. November im Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe in Dresden statt. Dort wird auch das Projekt bekannt gegeben, das mit dem Hauptpreis von 5.000 Euro ausgezeichnet wird. Die Laudatio hält die Journalistin und Panorama-Moderatorin Anja Reschke, die jüngst in einem Tagesschau-Kommentar klar Stellung gegen rechte Hetze in den Sozialen Medien bezog.
Der Preis wird ausgelobt von der Amadeu Antonio Stiftung, der Freudenberg Stiftung, der Sebastian Cobler Stiftung und der Stiftung Elemente der Begeisterung.
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