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NPD-Aufmarsch in Dresden 2010 Rädelsführer h.c.?

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Auf einer Dienstfahrt nach Abu Dhabi im vorigen Jahr machte sich der Linken-Abgeordnete André Hahn verdächtig. Er reiste in einer Delegation des sächsischen Ministerpräsidenten, es ging von einem Scheich zum nächsten, und Hahn folgte artig dem Programm. Bei sich trug er stets ein aluminiumfarbenes Aktenköfferchen, das bald einige Mitreisende interessierte: Was da denn drin sei? Hahn hielt sich bedeckt. Schnell hieß es, der Koffer müsse wohl Brisantes bergen ? die Umsturzpläne der Linken für Sachsen.

Es war ein Gag, den jeder als herrlich absurd zu schätzen wusste, der Hahn schon länger kennt: vor allem als Mann der Akten und Ausschüsse. Als Politiker mit zwanzig Jahren Parlamentserfahrung, der vor dem Ausrufen einer Revolution wohl erst bei der Landtagsverwaltung anfragen würde. Ausgerechnet dieser André Hahn ist ins Visier der sächsischen Justiz geraten. Sie sieht in dem Fraktionschef einen Rädelsführer. Der 48-Jährige soll »Organisator und Kopf« einer illegalen Aktion gewesen sein.

Die Vorwürfe betreffen den Jahrestag der Zerstörung Dresdens, der stets Tausende Neonazis aus ganz Europa in die Stadt zieht. Der 13. Februar des Jahres 2010 ist dabei vielen in Dresden als Erfolg in Erinnerung: Erstmals seit Langem konnten Rechtsextreme an dem Gedenktag nicht marschieren, da sich ihnen rund um den Neustädter Bahnhof mehr als 10.000 Menschen in den Weg stellten; derweil formierte sich in der Altstadt eine Menschenkette zum stummen Protest. Nach diesem Tag ermittelte die Staatsanwaltschaft wegen der Verletzung des Versammlungsgesetzes gegen Teilnehmer der Blockaden, darunter Politiker der Linken. Diese hatten nahe dem Neustädter Bahnhof eine Sitzung ihrer Landtagsfraktion unter freiem Himmel abgehalten.

Drei Wochen später bekam André Hahn Post von den Ermittlern, darin ein Angebot: Falls er 500 Euro an die Aktion Zivilcourage in Pirna spende, werde das Verfahren gegen ihn eingestellt. Doch der Politiker lehnte ab. So begann eine Auseinandersetzung, die schon 18 Monate andauert und im September mit der Aufhebung von Hahns Immunität im Landtag weitergehen könnte. Dann wäre Sachsens Oppositionsführer erstaunlicherweise der einzige Mensch aus dem Freistaat, der wegen der Blockaden vom 13. Februar 2010 angeklagt würde. Die Causa fällt in eine Zeit, in der sächsische Justizbehörden ohnehin durch womöglich überzogene Ermittlungsmethoden ins Gerede gekommen sind, etwa durch das massenhafte Auswerten von Handydaten nach den Dresdner Krawallen im Februar. Wie der Fall Hahn zeigt, ist das Bild von Sachsens Rechtsstaat aber keines von Schwarz oder Weiß. Es ist komplizierter.

»Irre«, sagt André Hahn, der in seinem Landtagsbüro vor einem faustdicken Stapel juristischen Akten sitzt: »Der Straftatvorwurf ist irre.« Dann schildert er den damaligen Tag aus seiner Sicht: Frühmorgens habe er sich mit Parteifreunden, darunter Abgeordnete aus Thüringen und Hessen, am Haus der Begegnung in der Großenhainer Straße getroffen. Gegen neun Uhr habe man zum Albertplatz laufen wollen, wo die öffentliche Fraktionssitzung stattfinden sollte, doch etwa 200 Meter vor dem Neustädter Bahnhof habe eine Polizeikette den Weg versperrt. Wo bereits etwa 1500 Demonstranten zum Blockieren des rechtsextremen Aufmarsches gesessen und gestanden hätten, reihten sich auch rund fünfzig Abgeordnete und Mitarbeiter der Linken ein.

»Als die Blockade lief, stand ich neben dem Ministerpräsidenten«

Die Version der Staatsanwaltschaft ist eine andere: Die »öffentliche Fraktionssitzung« sei eigens auf die Route der Neonazis verlegt worden, um deren Marsch zu verhindern. Als Fraktionschef habe Hahn die erfolgreiche Blockade maßgeblich initiiert, mit organisiert und damit herausragend zur »Sprengung einer Versammlung« beigetragen. Er sei begeistert, frotzelt der Linke, zu welchen Taten er anscheinend imstande sei. »Wie hätte ich veranlassen können, dass all die Menschen dableiben? Ein Weisungsrecht habe ich nicht mal gegenüber Abgeordneten meiner Fraktion.«

Er habe auch nie ausdrücklich zu »Blockaden« aufgerufen. Und als es dann ernst wurde, sei er gar nicht vor Ort gewesen, sagt Hahn. Von 12 Uhr an hätten die Neonazis losziehen dürfen ? zu der Zeit sei er seit einer Viertelstunde unterwegs zur offiziellen Menschenkette in der Altstadt gewesen und dann nicht mehr zurückgekehrt: »Als die Blockade lief, stand ich auf der anderen Elbseite neben dem Ministerpräsidenten!« Davon zeugen Fotos. André Hahn gab ein staatstragendes Bild ab. Auch in den Tagesthemen war er so zu sehen. Später, auf dem Weg zu einer Mahnwache an der Synagoge, sei er noch den Dresdner Klassikern Gunther Emmerlich und Ludwig Güttler begegnet. Klingt alles recht bürgerlich soweit.

Dass Hahn eine Geldzahlung ablehnte, mag als Kampfansage erschienen sein

Es folgte das juristische Nachspiel. Dass die Behörden die Verhinderung einer erlaubten Demonstration auf sich beruhen lassen würden, war nicht zu erwarten. Die Rechtslage ist klar: Wer, aus welch edlen Motiven auch immer, anderen das Versammlungsrecht nimmt, muss mit Sanktionen und mit der Staatsanwaltschaft rechnen. Dort glaubte man, intern »eine elegante Lösung« gefunden zu haben: durch Ermittlungen »auf unterster Schwelle«, die auf einige wenige Verdächtige reduziert und gegen Zahlung eines Geldbetrages eingestellt werden sollten. Es war eigentlich als Signal der Abrüstung gedacht, dass von rund zwanzig Linken-Abgeordneten, die anfangs im Visier der Dresdner Justiz gewesen waren, vier übrig blieben ? allesamt Fraktionschefs: neben Hahn dessen Thüringer Kollege Bodo Ramelow und die hessische Doppelspitze Willi van Ooyen und Janine Wissler. Die Staatsanwälte hatten nur nicht damit gerechnet, dass man ihr Angebot ausschlagen würde.

Anstatt still zu zahlen oder die 500 Euro öffentlichkeitswirksam an einen Verein gegen Rechtsaußen in seinem Wahlkreis zu spenden, habe Hahn den Konflikt »noch mal hochgezogen«, heißt es in der Behörde. Man nahm es offenbar als Kampfansage.

Hahn selbst sagt: »Die Geldzahlung wäre eine durchaus vertretbare Geste gewesen.« Doch er habe die Gefahr gesehen, dass »ich mich ?freikaufe?, und als Nächstes knöpft man sich Studenten vor, die Gleiches nicht können«. Und dass die Öffentlichkeit die Zahlung als Eingeständnis einer Straftat werten würde. »Die ist mir nicht vorzuwerfen.« Der Politiker sagt, er frage sich, wieso der Fall nicht wie anderswo als mögliche Ordnungswidrigkeit behandelt werde.

Und dass er in der Presse über sich gelesen habe, er sei ein »Rädelsführer«, habe ihn irritiert, sagt Hahn. »Rädelsführer, das klingt nach: Chef des bewaffneten Aufstands!«

So begann sich der Konflikt weiter aufzuschaukeln. Hahn verbat sich eine Vorladung ins Landeskriminalamt, Dezernat »Politisch motivierte Kriminalität Links, Verratsdelikte, Kriegsverbrechen«. In gleich mehreren Pressekonferenzen thematisierte er das Verfahren gegen sich, jüngst geißelte er die Dresdner Ermittler als »besessen«. Diese machten im Gegenzug klar, dass sie auf einer Anklageerhebung bestehen. Bereits im vorigen Winter haben sie beantragt, Hahns Immunität aufheben zu lassen. Beim zuständigen Landtagsausschuss prallte die Staatsanwaltschaft im ersten Anlauf ab: Sie müsse präzisieren, beschied das Gremium in seltener parteiübergreifender Einmütigkeit, auf welcher Grundlage Hahn eigentlich vor Gericht gestellt werden solle. Etwa aufgrund seines Amtes im Parlament?

Was einst als Kompromissangebot gedacht war, bringt die Justizbehörde nun in Erklärungsnot: Warum verfolgt sie bis heute die Fraktionsvorsitzenden, während andere Abgeordnete ? die anders als Hahn über Stunden an der Blockade teilnahmen ? mit der Einstellung des Verfahrens davonkamen? Müsste nach der Logik der Staatsanwaltschaft nicht eher der Parlamentarische Geschäftsführer der Linken Klaus Tischendorf belangt werden, weil dieser zu der öffentlichen Fraktionssitzung eingeladen hatte? Die Oppositionspartei wittert Willkür.

In der kommenden Woche will sich der Immunitätsausschuss erneut mit der Causa Hahn beschäftigen. Dass die CDU im Landtag für die Aufhebung der Immunität stimmen werde, hat ihr Fraktionschef Steffen Flath bereits angekündigt. So könnte der Fall in den nächsten Monaten vor Gericht landen. Gut möglich, dass das Verfahren Anfang 2012 eröffnet wird. Pünktlich vor dem nächsten 13. Februar.

Dieser Artikel erschien zuerst am 25.08.2011 bei ZEIT online. Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und des Autors.

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