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NPD-Strategiedebatte Zwischen bürgerlicher Fassade und NS-Subkulturen

Der Beginn der strategischen Neuausrichtung begann mit dem Wahlkampf der NPD in Sachsen 2004 und wurde mit dem Einzug in den Sächsischen Landtag gefestigt. Diese erneute Präsenz der NPD im Landtag und die ersten Skandale der Fraktion in Sachsen sorgten für ein Umdenken sowie eine Professionalisierung. Während sich ein Teil der Partei veränderte, blieb die Führungsspitze zu großen Teilen den Wegen der 90er – also einer Öffnung zum Kameradschaftsspektrum und all dem damit verbundenen subkulturellen Erscheinungen – größtenteils treu. Seit einigen Jahren kommt es in der NPD immer wieder zu innerparteilichen Krisen – vor allem wegen der finanziellen Lage sowie herben Wahlniederlagen. Genau in solchen Situationen wird der Kurs der Parteiführung kritisiert.

NPD-Bundesparteitahg 2009

Eine der größten Krisen war die Affäre um den ehemaligen NPD-Schatzmeister Erwin Kemna, der ca. 700.000 € aus der Parteikasse in seine Firma umleitete. Diese Krise beschädigte das Ansehen des Parteivorsitzenden Udo Voigt schwer. Die Folge war 2009 der Versuch, Voigt zu stürzen und Andreas Molau als neuen Parteivorsitzenden an der Spitze der Partei zu installieren. Molau wollte in „einer der schwersten Krisen der NPD“, wie er in einer Erklärung selbst schrieb, aus der Krise „einen politischen Aufbruch […] machen“. In einem langen Interview in der Deutschen Stimme, der Parteizeitung der NPD, forderte er deshalb einen „Strategiewechsel“. Nach innen verlangte er mehr Disziplin und Führung und nach außen wollte er durch ein verändertes Auftreten der Mitglieder, „die Herzen der verratenen und betrogenen Deutschen gewinnen“. Hierzu führte er im Interview aus:

Gelegentlich sollte man auch über die ‚ansprechende’ Verpackung unseres zeitlosen nationalistischen Inhalts nachdenken. […]. Wahre Revolutionäre bewegen sich im Volk wie Fische im Wasser. Deshalb ist es auch nicht ehrenrührig, wenn man daran erinnert, daß der Köder dem Fisch bzw. Wähler gefallen muß und nicht dem Angler. Und es ist auch kein Gesinnungsverrat, wenn man sich vor laufenden Fernsehkameras lobende Worte über das Dritte Reich verkneift und Nostalgiepflege auf den Kameradschaftsabend verschiebt.

Molau kennt die extreme Rechte in Deutschland sehr wohl und es war im offensichtlich klar, um den Vorsitz welcher Partei er sich bewarb. Einer Partei, die in weiten Teilen durch neo-nationalsozialistische Ideologie durchzogen ist und Teil einer Bewegung ist, welche gerade durch die Symbole des Nationalsozialismus stabilisiert wird. Was Molau forderte, war allerdings keineswegs eine inhaltlich-ideologische Debatte sondern lediglich die Änderung der Präsentation. Molaus Ziel war es die Inhalte der Partei „massenattraktiv“ zu präsentieren.

Udo Voigt am 14. Februar 2009 in Dresden

Voigt vertrat damals noch einen anderen Kurs. Dies war anscheinend nicht zuletzt auf machtpolitische Gründe vor dem Hintergrund eines noch stärker vertretenden NS-Flügels in Partei und Vorstand zurückzuführen. Damals lebte Jürgen Rieger noch, der als Vertrauter Voigts auch für seinen radikalen Kurs bekannt war und in der Partei großen Einfluss ausübte. Voigt machte in Abgrenzung zur Pro-Bewegung deutlich, dass er die NPD vorrangig als „Weltanschauungspartei“ sieht:

Schielen wir nicht gen Westen nach vorüberziehenden vereinzelten Wahlerfolgen unter Aufgabe unserer eigenen Weltanschauung. Die NPD muß eine politische Weltanschauungspartei bleiben. Die NPD ist Teil des nationalen Widerstandes […].

Außerdem ordnete Voigt die NPD deutlich in den als Bewegung verstandenen „Nationalen Widerstand“ ein, deutete die Partei also nur als einen Teil der gesamten rechtsextremen Szene.

Ein Blick zurück in die Geschichte…

Doch all diese Debatten sind nicht neu in der rechtsextremen Szene in Deutschland, zeigen aber, dass die von vielen attestierte Strategie- und Theoriearmut der extremen Rechten zutrifft. Schon 1973 schrieb der ehemalige Pressereferent des „Reichspropagandaministers“ Goebbels in der Zeitschrift La-Plata-Ruf:

Wir müssen unsere Aussagen so gestalten, daß sie nicht mehr ins Klischee des ‚Ewig-Gestrigen‘ passen. Eine Werbeagentur muß sich auch nach dem Geschmack des Publikums richten und nicht nach dem eigenen. Und wenn kariert Mode ist, darf man kein Produkt mit Pünktchen anpreisen. Der Sinn unserer Aussagen muß freilich der gleiche bleiben. Hier sind Zugeständnisse an die Mode zwecklos. In der Fremdarbeiter-Frage etwa erntet man mit der Argumentation ‚Die sollen doch heimgehen‘ nur verständnisloses Grinsen. Aber welcher Linke würde nicht zustimmen, wenn man fordert: ‚Dem Großkapital muß verboten werden, nur um den Profits willen ganze Völkerscharen in Europa zu verschieben. Der Mensch soll nicht zur Arbeit, sondern die Arbeit zu den Menschen gebracht werden.“

Der Sinn bleibt der gleiche: Fremdarbeiter raus! Die Reaktion der Zuhörer wird aber grundverschieden sein.

Und auch Molaus Ausführungen, wie sich „wahre Revolutionäre“ im Volk bewegen sollten, findet sich bereits im Strategiepapier „Schafft befreite Zonen!“ von 1991 in ähnlicher Form wieder:

Indem wir die Vorherrschaft in den Herzen und Köpfen der Menschen errungen haben, entlarven wir gleichzeitig die extreme Linke, die NS-Nostalgiker, die Autonomen und weitere Artverwandte als staatstragende Wirrköpfe. […].Man muß so handeln, daß man in einem Meer der Sympathie schwimmt, daß die ‚normalen‘ Bewohner für uns ‚die Hand ins Feuer legen‘.

Eine starke Ähnlichkeit zur Fisch-Metaphorik Molaus aus dem Jahr 2009, welche er wohl von Mao übernahm, ist auffällig. Uta Döring wies bereits darauf hin, dass das Konzept der „Befreiten Zonen“ „[…] an eine Strategie und einen Sprachgebrauch [anknüpft], der auf die von Mao Tse Tung entwickelte Revolutionsstrategie zurückgeht.“

Die Debatte ist also keinesfalls 2009 neu aufgetaucht, sondern scheint für eine ganze Zeit von anderen Diskussionen in der NPD überlagert worden zu sein – und brach erst mit der Krise der Partei neu hervor. Molau trat vor dem NPD-Parteitag 2009 von seiner Kandidatur zurück und ist mittlerweile nach einem kurzen Zwischenstopp bei der DVU Mitglied bei Pro-NRW.

Die strategischen Streitigkeiten in der NPD endeten aber nie wirklich, wurden aber nach der Bestätigung Voigts im Amt weniger in der Öffentlichkeit geführt.

Von „Sächsischen Wegen“ und „Deutschen Wegen“…

Noch im April 2009 wurde – direkt nach dem Parteitag, auf dem Pastörs gegen Voigt gescheitert war – in einer Pressemeldung der „Sächsische Weg“ als erfolgsversprechende strategische Variante von Holger Apfel und Jürgen Werner Gansel herausgestellt. Dieser „Weg“ stehe für einen „gegenwartsbezogenen und volksnahen Nationalismus, der die soziale Frage in der Mittelpunkt der Programmatik stellt und der sich von unpolitischer Nostalgiepflege, ziellosem Verbalradikalismus und pubertärem Provokationsgehabe abgrenzt“.

Jürgen Gansel beim „Trauermarsch“ in Dresden.

Die sächsische Fraktion zeigte so die tiefe Spaltung der NPD 2009 deutlich auf und positionierte sich grundsätzlich hinter den von Molau zuvor geforderten Veränderungen. Als Reaktion auf dieses Papier veröffentlichte der NPD-Parteivorstand wenig später ein eigenes Strategiepapier: „Der deutsche Weg“. Im Positionspapier machte der Vorstand deutlich, worin er die Gründe für die Wahlerfolge in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern sah:

Diese Erfolge waren uns vergönnt, da wir auf dem Wahlzettel als einzige echte Systemalternative wahrgenommen wurden – nicht weil wir den vermeintlich bequemsten Weg gegangen sind oder uns einem Meinungsbild untergeordnet, sondern Meinung gemacht haben.

Besonders deutlich trat hervor, dass der Parteivorstand davon ausging, „[…] daß dieses System über kurz oder lang scheitern wird.“ Scharf wandte sich der Vorstand gegen die Kräfte in der Partei, die die „[…] systemüberwindenden Ansätze besser ‚vermarkten‘ […]“ wollen, da man hierin einen „Glaubwürdigkeitsverlust“ zugunsten „unwahrscheinlicher Wahlerfolge im bürgerlichen Lager“ sah.

Zusammenfassend heißt das:

Sowohl einseitige und unreflektierte NS-Nostalgie als auch ein latenter Anpassungsdruck an Wählerschichten, die einen gemäßigten Kurs vertreten, können nicht der erfolgversprechende Weg sein. […]. Der Maosche Ausspruch, wonach ein echter Revolutionär sich in der Gesellschaft wie ein Fisch im Wasser bewegen müsse, darf für uns nur für das äußere Erscheinungsbild relevant sein. Inhaltlich müssen wir uns weiterhin Alleinstellungsmerkmale erhalten, dürfen mit unserer Argumentation nicht versuchen, in die Mitte der Gesellschaft zu drängen, sondern müssen diese zu uns ziehen.

Äußerliche Angepasstheit gilt hier noch als Teil des Konzeptes, aber eine Veränderung der Inhalte wird strikt abgelehnt. Eine weichere Formulierung der „radikalen“ Inhalte wird klar zurückgewiesen. Vielmehr wird weiter die Prophezeiung vom kommenden Systemuntergang aufrechterhalten, der die Wähler ohnehin zur NPD ziehen würde. Der Mao-Bezug ist hierbei sicher kaum eine zufällig gewählte Formulierung, sondern offensichtlich als Reminiszenz an Molau´s Interview zu verstehen.

Die NPD schien 2009 somit tief zerrissen. Vor allem die Unterstützer Molaus hatten sich von Voigt und dem Bundesvorstand distanziert. Dazu gehörten die Mitglieder der Sächsischen Fraktion um Holger Apfel, der Fraktion aus Mecklenburg-Vorpommern um Udo Pastörs und Peter Marx aus dem Saarland, der bei vielen in der Szene als „Strippenzieher“ gesehen wird.

Ein Ereignis, das die Machtkonstellation im NPD-Bundesvorstand im Oktober 2009 nachhaltig veränderte, war der Tod des Neonazis Jürgen Rieger.

Strategietreffen Januar 2010…

Durch veränderte Machtkonstellationen und erhebliche Wahlniederlagen im „Schicksalswahljahr“ 2009, wie dem verpassten Einzug in den Thüringischen Landtag oder die enttäuschende Wahlschlappe im Saarland, wurde für Januar 2010 eine Strategiekommission einberufen, welche der NPD neue Ideen und Impulse geben sollte. Zuvor konnte die Sächsische NPD ihre Position durch den – wenn auch knappen – Widereinzug in den Landtag stärken.

Die Ergebnisse des Treffens, welches am 16. und 17. Januar 2010 in Berlin stattfand, wurden im April und Mai der Parteiöffentlichkeit vorgestellt. Hier zeigte sich deutlich, dass die innerparteiliche Machtkonstellation sich verändert hatte und damit die strategischen Vorgaben des „Sächsischen Weges“ deutlich stärker hervortraten. Empfohlen wurde nun eine „seriöse Radikalität“ und damit eine stärkere Präsentation der Parlamentsarbeit in Partei und Öffentlichkeit. Man sah die NPD auf einmal doch als Partei, welche „aus der Mitte des Volkes für das Volk da ist […].“ Um dies zu erreichen, definiert die Kommission das Auftreten gegenüber Wählern besonders in Bezug auf den Umgang mit der eigenen Weltanschauung deutlich anders als der „Deutsche Weg“. So hieß es nun:

Die Wählerebene. Hier sollte möglichst wenig von Weltanschauung geredet, sondern einfache und klare Ziele formuliert werden. Es muß begriffen werden, daß uns kein Bürger wählt, weil wir die richtige Weltanschauung haben, sondern weil wir eine wirkliche Alternative zum bestehenden System entwickeln, welche aus unserer inneren Haltung und Weltanschauung zwar folgerichtig ist, so jedoch nicht dem Wähler dargestellt werden kann.

Diese neue Ausrichtung setzte sich in der Diskussion um das empfohlene Auftreten der Partei fort:

Durch seriöseres Auftreten bei Demonstrationen muß nicht zwangsläufig die Radikalität unserer politischen Aussagen konterkariert werden. Generell war man der Meinung, daß Demonstrationen strategisch gesehen unverzichtbarer Bestandteil unseres öffentlichen Auftretens zur Durchbrechung der Schweigespirale sind. Diese sollten sich jedoch künftig weniger auf vergangenheitsbezogene Themen beziehen. Wir sollten in Zukunft mehr Türöffner-Themen besetzen, welche die Bürger tagtäglich beschäftigen, sei es innere Sicherheit, Kindesmißbrauch, Rente mit 67, Hartz IV usw. Gemäß dem Grundpfeiler der drei Ebenen der Weltanschauung sollte hierbei die Außenwirkung im Vordergrund stehen und gänzlich in der Werbung auf Weltanschauung verzichtet werden.

Diese Ideen entsprechen in weiten Teilen dem, was Molau ein knappes Jahr zuvor gefordert hatte.

Programmparteitag in Bamberg…

Am Wochenende vom 4. bis 6. Juni fand dann in Bamberg der Programmparteitag der NPD statt. Bamberg zeigte erneut, wie tief die NPDideologisch gespalten war. Bamberg zeigte aber auch, dass sich Holger Apfel und Udo Voigt wieder näher gekommen waren und ihre Streitigkeiten offensichtlich beigelegt hatten. Deutlich wurden die tiefen Gräben in der Partei dadurch, dass es auf dem Parteitag nicht nur den Programmentwurf des Vorstands gab, sondern sowohl die Fraktion aus Mecklenburg-Vorpommern, wie auch der neo-nationalsozialistische Flügel um Thomas Wulff und Thorsten Heise brachten ihre eigenen Entwürfe ein. Nach langem Hin und Her und zum Teil heftigen Auseinandersetzungen entschieden sich die Delegierten für den Entwurf des Parteivorstandes, an welchem Vertreter der Sächsischen Fraktion offensichtlich mitgearbeitet hatten. Bamberg machte somit deutlich, dass die Kräfte um die Sächsische Fraktion die Hegemonie in der Partei innehaben. Der Programmentwurf war besonders durch nationalrevolutionäre Ideen beeinflusst. Besonders Jürgen Gansel und Arne Schimmer gelten als Vertreter dieser Ausrichtung – und auch der Publizist Jürgen Schwab versuchte während seiner Mitgliedschaft immer wieder, diesen Kurs in der NPD zu stärken. So verwundert es kaum, dass das neue Programm zu großen Teilen durch Schwabs Bücher beeinflusst scheint.

Der Parteitag war besonders für den neo-nationalsozialistischen Flügel und die Mecklenburger eine erhebliche Niederlage. Immerhin konnte man die offizielle Namensänderung in „NPD – Die soziale Heimatpartei“ offiziell verhindern. Doch auch nach dem Bamberger Parteitag waren nicht alle Wogen geglättet. So veröffentlichte Roland Wuttke, Kreisvorsitzender des Kreisverbands Freising (Bayern), eine Stellungnahme, in der die Kritik der Kräfte zum Ausdruck kommt, welche gegen eine verbürgerlichte und professionalisierte Ausrichtung der Partei auf Kosten der vertretenen Weltanschauung nach außen sind. Wuttke war auf dem Parteitag klarer Gegner des aktuellen NPD-Programms:

Große Zukunftsentwürfe kommen anders zustande als das derzeitige Programm der NPD. […].Statt Klarheit und Wahrheit herrscht die Argumentationstechnik von Berufspolitikern, die sich stets gerne ein Hintertürchen offen halten möchten. […].Doch es wird nichts bringen, sich an ein System zu orientieren, das vor dem Ende steht. […]. 

„Junker Jörg“ – das Desaster von Sachsen-Anhalt

Fest hatte die NPD am 20. März 2011 mit dem Einzug in den Landtag von Sachsen-Anhalt gerechnet. Die Partei mobilisierte Geld und Personal, um in ein drittes Landesparlament einzuziehen. Holger Apfel persönlich übernahm die Leitung und drückte dem Wahlkampf seinen Stempel auf. Dieser lief überraschend professionell. Das Auftreten der Kandidaten entsprach weitestgehend dem seriösen Bild, welches in den vorangegangenen Diskussionen gefordert worden war. Das Überlaufen eines SPD-Bürgermeisters konnte zudem von der NPD als Werbeerfolg propagandistisch genutzt werden. Dennoch scheiterte die NPD, was zum Teil der Berichterstattungen über die Aktivitäten des Spitzenkandidaten und Landesvorsitzenden, Matthias Heyder, zu verdanken war. Laut Medienberichten soll Heyder Bombenbauanleitungen online gestellt und zur Schändung einer Politikerin der Linken aufgerufen haben.

Matthias Heyder beim Neonaziaufmarsch in Halberstadt

Matthias Heyder, Spitzenkandidat der NPD, beimNeonaziaufmarsch in Halberstadt

Der Nichteinzug in den Landtag von Sachsen-Anhalt traf die NPD ungleich härter als die Wahlniederlage in Thüringen. Man ging fest vom Einzug in das Parlament aus. Von vielen Seiten wurden erhebliche Summen in den Wahlkampf investiert. Umsonst; die NPD scheiterte mit 4,6 % nur knapp am Einzug, aber sie scheiterte. Thomas Wulff, bis zu seinem Rücktritt im Mai noch Bundesvorstandmitglied der NPD und Vertreter der Freien Kameradschaften, schrieb in seiner Rücktrittserklärung zum Desaster in Sachsen-Anhalt:

Hier wurden die schmerzlichen Rückschläge bei den zurückliegenden Wahlen analysiert und dabei besonders das herausragende Versagen des Spitzenkandidaten Heyder (alias Junker Jörg) bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt thematisiert. Dabei kam man zu der nicht überraschenden Erkenntnis, daß die Unehrlichkeit sowie die fraglos geistig-moralische Armseeligkeit [sic] eines Mathias Heyder zu einem guten Teil für diese herbe Niederlage verantwortlich ist.

Diese Niederlage befeuerte die Diskussion um eine Neuausrichtung erneut. Noch im März veröffentlichte Frank Franz, Landesvorsitzender der NPD im Saarland, ein Papier mit dem Titel „Wie weiter?“, in welchem vor allem Fragen zur zukünftigen Ausrichtung der Partei stellt.

Die Debatte beginnt erneut…

An der großen Zahl der Veröffentlichungen gemessen, begann mit dem Papier des Saarländischen Landesvorsitzenden eine sehr viel dichtere Debatte um die Ausrichtung der NPD. Franz gehört innerhalb der Partei eher zum strategisch bürgerlich ausgerichteten Flügel. Möglicherweise hat Franz von Molau gelernt, war er doch Praktikant der NPD-Fraktion im Schweriner Landtag, als Molau dort für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig war.

 

Franz beginnt seine Analyse mit der Feststellung, dass das „rechte Lager“ so heterogen sei, dass die unterschiedlichen Ansichten nicht vereinbar seien und dadurch ein gemeinsames Vorgehen ausgeschlossen ist. Er stellt für das „rechte Lager“ – wie Molau 2009 für dieNPD – eine Führungslosigkeit fest. Franz distanziert sich in seinem Text sowohl vom subkulturellen Spektrum der Szene, als auch vom – seiner Meinung nach – zu stark angepassten Teil des eigenen „Lagers“:

Während die einen zum Teil groteske subkulturelle Formen pflegen, kann man so manchen ‚Rechtsdemokraten’ kaum noch von der CDU unterscheiden. Es fehlt eine solide, breite und tragende Masse in der Mitte, die in der Lage ist, die Flügel einzubinden. […] Auch die Forderung, sich endlich und rigoros von dem historischen Nationalsozialismus loszusagen, liegt vielen am Herzen. 

Diese Diagnose bekommt zusammen mit der Feststellung, dass die unterschiedlichen Ansichten innerhalb des „rechten Lagers“ unvereinbar seien, später einen Sinn, wenn Franz – wenn auch als Frage formuliert – schreibt:

Oft höre ich, man dürfe die ‚eigenen Leuten‘ nicht vor den Kopf stoßen, um sie nicht zu verlieren. Sind die Prioritäten hier nicht völlig verschoben? Sollen wir an wenigen und subkulturell veranlagten Leuten festhalten, um die Masse des Volkes auszugrenzen? 

Damit wird deutlich; es geht um den Weg in die Mitte, oder eben die „Masse“, – wie Franz schreibt –  und diese solle erreicht werden, in dem man sich der subkulturellen Flügel zu Gunsten einer äußerlichen Normalisierung der Partei entledigt. Hier setzt sich die Debatte fort, die bereits rund um die Kandidatur Molaus geführt wurde.

Der antisemitische Reflex der extremen Rechten…

Doch rund um die Debatte wiederholen sich auch die Reaktionen der Gegner eines „verbürgerlichten Kurses“. Bereits während des Wahlkampfes von Molau zum Vorsitzenden der Partei kam es innerhalb Szene zu antisemitischen Beschimpfungen. Molau hatte für ein Interview 2004 Dokumente veröffentlichte, die belegen sollten, dass sein Onkel 1943 die Schule verlassen musste, weil er der rassistischen Verfolgung der Nationalsozialisten ausgesetzt war. Molau nutze dies 2004 als Vergleichspunkt, um seine Kündigung und die Auflösung der Schulverträge seiner Kinder mit der Verfolgung von jüdischen Deutschen während der Zeit des Nationalsozialismus zu vergleichen. Im Zuge des innerparteilichen Wahlkampfs gab der mittlerweile verstorbene Jürgen Rieger ein Interview, in dem er als Bezug auf die von Molau veröffentlichten Dokumente und dessen Chancen zum Vorsitzenden gewählt zu werden, sagte:

Die einen sagen; Molau ist eine absolute Katastrophe, den können wir auf gar keinen Fall wählen. Wir können nicht jemanden also zum Parteivorsitzenden machen, der im 3. Reich nicht mal hätte Blockwart werden können. Dabei, ich sag jetzt mal das Entscheidende, das mag man so oder so sehen, ist gar nicht, dass Molau Achteljude ist. Das Entscheidende bei Molau ist der Punkt, dass er damit hausieren geht, dass seine Familie im 3. Reich rassisch verfolgt gewesen sei. 

Ähnliche Reaktionen finden sich auch im Bezug auf das Strategiepapier von Frank Franz. Innerhalb der extremen Rechten gelten Parteien wie Pro NRW,FPÖ und andere als „Israel-Connection“, da Vertreter dieser Parteien nach Israel reisten oder sich mit Israelis trafen. Als Franz sein Papier veröffentlichte, begannen in einigen rechtsextremen Internetforen sofort Diskussionen mit kruden antisemitischen Stereotypen. So heißt es hier zum Beispiel:

Franky-Boy sagt doch nur, was seinen Schreiberlingen aus dem Schekelverseuchten Pro-Hirnen tropft. […]. Hier scheint viel Geld aus einer bestimmten Quelle in Richtung der nationalen Parteistrukturen zu fliessen. Europaweit wird auf einen Kompromiss hingearbeitet, der ruhig fremdenfeindlich sein darf, solange er nur ProJüdisch ist. Das Franzerl will uns als einer von vielen darauf einstimmen, dass dies doch für die Renaissance der “Völker” Europas, verschmerzbar wäre. Lieber nach Walhalla in dem Bewusstsein, dass alles jüdische von der Welt getilgt wurde, als wieder so einen faulen Kompromiss.

GruSS

Hier zeigt sich deutlich der tief verwurzelte Antisemitismus der extremen Rechten in Deutschland und der ganz klare Bezug zum Nationalsozialismus, welcher aus der Szene nicht wegzudenken ist.

Karl Richters Thesen

Eines der jüngsten Papiere, welches innerhalb der NPD für Aufsehen sorgte, waren die vier Thesen von Karl Richter. Richter ist Bundesvorstandsmitglied der NPD und sitzt für die NPD-Tarnorganisation Bürgerinitiative Ausländerstopp im Stadtrat von München. Richter gehört – wie Molau – zu dem Personenkreis, der von Holger Apfel 2004 nach dem Einzug der Partei in den Landtag, geholt wurde, um die Arbeit der NPD zu professionalisieren. Seit vielen Jahren ist Richter also professionell politisch tätig, was zum Verständnis seiner Forderungen unerlässlich scheint.

Richters erste These ist, dass die „Außendarstellung und Außenwahrnehmung der NPD [..] an einem eklatanten Übergewicht zeithistorischer Themen [leiden].“ Die Kernthese bezieht sich darauf, dass die Partei häufig aufgrund von Symboliken, Auftreten der Mitglieder und einer zu hohen Zahl an Trauer- und Gedenkveranstaltungen als „ewiggestrige Nostalgikerpartei“ wahrgenommen wird. Und dies, so Richter – „Leider durchaus mit Berechtigung.“ Seine Forderung nach gegenwartsbezogenen Themen ist aber auch nichts Neues. So heißt es bereits 2006 in einer internen Schulungsbroschüre der NPD für Kandidaten und Funktionsträger, welche von Jürgen Gansel verantwortet wurde:

Auf den Themenkomplex Holocaust, Kriegsschuldfrage 1939 und Nationalsozialismus sollte sich mit dem Hinweis auf die Gegenwartsaufgaben der NPD niemand festnageln lassen. […]. Bei entsprechenden Fragen zum NS sollte immer nur gesagt werden: ‚Adolf Hitler ist tot und die NSDAP aufgelöst, was soll also die Frage? Als …. Geborener lebe ich nicht in der Vergangenheit, sondern in der Gegenwart. Die Menschen haben andere Probleme, als sich ständig mit einer Zeit zu beschäftigen, die mehr als sechzig Jahre zurückliegt.‘

Richter stellt weiterhin in These 2 fest, dass die NPD sich für den „parlamentarischen Weg“ entschieden habe und dass „unser politischer Kampf […] mit den denkbar zweckmäßigsten und erfolgversprechendsten Mitteln geführt werden“ müsse. These 3 betrifft die Durchsetzung und Umsetzung der vorangegangenen Forderungen. Richter will, im Falle die Partei könne sich auf den Kurs einigen, eine konsequente Durchsetzung der „gegenwartsbezogenen Darstellung“. Dies sei eine Frage von „Parteidisziplin und Führung“, so Richter. Hierzu gehört die Beteiligung an nur noch einem „Trauermarsch“ und zwar im Februar in Dresden.

Opfer aller Bundesländer vereinigt Euch - Neonazis marschieren in Dresden, um die deutsche Schule am 2. Weltkrieg und Holocaust zu relativieren.Neonazi-Fackelmarsch in Dresden am 13. Februar 2011

Wobei Funktionsträgern auch weitere Teilnahmen erlaubt sein sollen, nur eben ohne „NPD-Symbolik“. Außerdem sei das „Erscheinungsbild […] insgesamt konsequent zu ent-nostalgisieren und an die Sehgewohnheiten der Gegenwart anzunähern“. Die Konsequenzen, die das Bundesvorstandsmitglied im Falle einer Nichteinhaltung fordert, ähneln denen von Molau und Franz. So schreibt Richter: „Die Partei muß dann auch bereit sein, sich notfalls von unverbesserlichen Symbol- und Gedenkfanatikern zu trennen, denen es ersichtlich an der nötigen Einsicht in die Erfordernisse unseres parteipolitischen Kampfes fehlt.“

In seiner Abschlussthese macht Richter allerdings deutlich, als was sein Papier zu verstehen sei: „Diese Leitlinien sind eine Verkaufsstrategie, kein Glaubenszwang!“ Es geht in Richters Beitrag – wie in den meisten anderen auch – nicht um die inhaltliche Neuausrichtung sondern dezidiert um die Darstellung der Partei in der Öffentlichkeit. So schreibt er bereits in These 3: „Um Mißverständnisse zu vermeiden: hier geht es NICHT um inhaltlich ‚weichgespülte‘ Positionen […].“ Dies wirkt besonders merkwürdig, wenn Richter die NPD in seinem Papier mit der NSDAP vergleicht, um Unterschiede zwischen den beiden Parteien deutlich zu machen. Dass Richter hier tatsächlich nur eine modifizierte „Verkaufsstrategie“ fordert und keine inhaltlichen Veränderungen ist vielen Beobachtern der Szene klar. So war es gerade Karl Richter, der in den zurückliegenden Jahren immer wieder durch Bezüge zum Nationalsozialismus provozierte.

Fazit…

Die NPD befindet sich in einer Phase der Veränderung, welche mit dem Parlamentseinzug in Sachsen eingeleitet wurde, allerdings nie für die gesamte Partei übernommen wurde. Durch veränderte Machtpositionen und mehrere Skandale und Wahlniederlagen wurden die Gegner eines verbürgerlichten Kurses geschwächt, was die Diskussion nun wieder anfeuert. Hier setzt sich eine Debatte fort, welche die Partei seit vielen Jahren beschäftigt. Nun sieht der Flügel rund um Holger Apfel die Chance, innerhalb der Partei die Führung gänzlich zu übernehmen.

Ein Beier, ein Apfel, ein Faust, ein Voigt und ein Pühse flanieren zum Sozialkongress der NPD unter der Hochbrücke. Motto: Sehen und nicht gesehen werden, denn die Bremer wollten von den Nazis nichts wissen. (Foto: Kai Budler)Ein Beier, ein Apfel, ein Faust, ein Voigt und ein Pühse flanieren zum Sozialkongressder NPD unter der Hochbrücke. Motto: Sehen und nicht gesehen werden, denndie Bremer wollten von den Nazis nichts wissen. (Foto: Kai Budler)

Doch es geht keinesfalls um eine inhaltlich-ideologische Neuausrichtung der Partei, vielmehr ist die Forderung, dass der neonazistische Flügel und die subkulturell geprägten Teile nach außen ihr Auftreten ändern, um parlamentarische Erfolge der Partei nicht weiter zu behindern. Ganz klar wird nun der Ausschluss von Personen gefordert, welche sich nicht an die neue Strategie anpassen wollen. Einen nicht unwesentlichen Einfluss auf die neuen Machtverhältnisse in der NPD wird der Ausgang der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern und damit dem Scheitern oder Erfolg des eher völkisch geprägten Flügels der NPD haben. Überraschend ist vor allem, dass viele Strategiepapiere die Partei für sich behandeln und sie nicht mehr als Teil des „Nationalen Widerstands“ definieren. Viele scheinen zu befürchten, dass das subkulturelle Umfeld durch sein Auftreten eher schädigend für die NPD sei.

Doch die NPD ist abhängig von ihrem Umfeld, welches besonders durch die Symboliken und Bezüge zum Nationalsozialismus stabilisiert wird. Besonders bei Wahlkämpfen war es immer wieder das Umfeld der Freien Kameradschaften, die durch hängen von Plakaten und andere Hilfe den Erfolg der Partei beförderten. Nicht zuletzt ist es auch dieses Spektrum, aus dem die rechtsextreme Bewegung ihren Nachwuchs rekrutiert. Und dass der Bezug zum Nationalsozialismus für die extreme Rechte unerlässlich ist, zeigt sich an vielen Punkten. Nicht ohne Grund werden die höchsten Teilnehmerzahlen bei Demonstrationen mit NS-Bezug erreicht oder verdienen Szeneläden besonders mit Kleidung derartiger Symbolik viel Geld. Da es die extreme Rechte in Deutschland kaum vermochte nach 1945 eigene Symbole zu prägen und zu weiten Teilen im Bezug zum Nationalsozialismus entstand, ist eine Lösung von eben diesen Wurzeln kaum realistisch.

Dieser Text erschien zuerst bei Publikative.org. Nach Einstellung dieses Blogs wurde er uns freundlicherweise von den Machern der Publikative zur Verfügung gestellt.

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