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NRW 2018 Straßenpolitische Aktivitäten einer rechten Mischszene

Solidaritäts-T-Shirt auf einer Demonstration 2018 für Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck. (Quelle: BTN)

 

Die extreme Rechte in NRW entfaltete im Jahr 2018 zahlreiche, vorwiegend straßenpolitische Aktivitäten. Neben der nach wie vor äußerst regen Neonaziszene, die ihren organisatorischen Schwerpunkt weiterhin in Dortmund und in der Partei „Die Rechte“ hat, machten besonders lokale und regionalen Netzwerke und Gruppierungen mit Kundgebungen, „Mahnwachen“, „Spaziergängen“ und Demonstrationen auf sich aufmerksam, deren Mitglieder bereits in den vergangenen Jahren im Kontext ähnlicher Aktionen etwa der „Hooligans gegen Salafisten“, PEGIDA NRW, der „Bürgerbewegung“ Pro NRW oder der „Identitären Bewegung“ in Erscheinung getreten waren. Gerade bei Veranstaltungen aus diesem Spektrum ließen sich immer wieder auch personelle, strukturelle und organisatorische Bezüge zur AfD feststellen, der im Mai 2017 mit 7,4 Prozent der Stimmen der Einzug in den Düsseldorfer Landtag gelang und die dort mit derzeit 13 Abgeordneten vertreten ist.

 

Rassistisch-ethnisierende Narrative als verbindende Deutungsmuster

Die Nähe zwischen jenen Teilen der extremen Rechten in NRW, die häufig unzureichend als „WutbürgerInnen“ beschrieben werden und der AfD ergibt sich nicht zuletzt jedoch aus gemeinsam geteilten inhaltlichen Positionen und Feindbildern. Ein zentrales Agitationsfeld bilden demnach die Versuche, allgemeine gesellschaftliche Probleme und Herausforderungen, etwa im Bereich sexistischer Gewalt, konsequent zu ethnisieren und vor allem MigrantInnen, besonders Geflüchtete, als sexuell übergriffig und kriminell zu diskreditieren. An die vordergründige Verallgemeinerung sowie die häufig verzerrte und emotionalisierende Darstellung einzelner Vorfälle knüpfen sich stark personalisierende Schuldzuweisungen an „die Regierung“ oder die Bundeskanzlerin, die durch ihre angebliche Grenzöffnung seit 2015 bewusst „Fremde“ ins Land geholt und somit das deutsche „Volk“ einer angeblich unkalkulierbaren Bedrohung ausgesetzt habe.

Dieses Narrativ nutzten seit Frühjahr 2018 verschiedene extrem rechte Gruppierungen in NRW, um mit unterschiedlicher Resonanz zu öffentlichen Versammlungen zu mobilisieren. Nicht selten stellten sie dabei Bezüge zur extrem rechten, bundesweit wahrnehmbaren Kampagne „Kandel ist überall“ her, die darauf abzielte ein Tötungsdelikt in der rheinland-pfälzischen Kleinstadt propagandistisch im Sinne des skizzierten ethnisiserend-rassistischen Deutungsmusters auszuschlachten. Anfang März mobilisierte etwa eine bis dahin unbekannte Gruppe „Mütter gegen Gewalt“ zu einer Demonstration nach Bottrop, an der sich über 1.000 Personen beteiligten. Neben einigen unorganisierten „WutbürgerInnen“ waren auch zahlreiche Hooligans, AktivistInnen der „Identitären Bewegung“ und ProtagonistInnen der Partei „Die Rechte“ in die Stadt im nördlichen Ruhrgebiet gekommen. Ebenfalls mit dabei: VertreterInnen der AfD, unter ihnen der langjährige Essener SPD-Stadtrat Guido Reil, der nunmehr als „Vorzeigeproletarier“ der RechtspopulistInnen durch die Lande tingelt und als Beisitzer im Bundesvorstand seiner Partei fungiert.

„Besorgte Eltern“, „Patrioten“ und „Amazonen“

Obgleich ähnlich große TeilnehmerInnenzahlen in der Folgezeit nicht mehr erreicht werden konnten und  – wie so häufig in der Vergangenheit – sich das „Orgateam“ von „Mütter gegen Gewalt“ schon bald in internen Streitigkeiten verstrickte und spaltete, bildete die Versammlung in Bottrop, die von extrem rechten Mischszenen geprägt war, doch ein Veranstaltungsformat, das im weiteren Verlauf des Jahres an verschiedenen Orten in NRW immer wieder aufgegriffen wurde. Nur eine Woche nach der Demonstration in Bottrop marschierten in Mönchengladbach 350 Personen unter dem Motto „Wir sind das Volk“ auf. Auch hier stammten die TeilnehmerInnen aus nahezu allen Spektren der extremen Rechten. Es folgten ähnliche Kundgebungen und Demonstrationen etwa im April in Köln („Kundgebung für Meinungsfreiheit gegen das NetzDG“), im Mai in Essen, organisiert von der Gruppierung „Eltern gegen Gewalt“, an der immerhin 600 Personen teilnahmen und in Duisburg-Neumühl, wo „PEGIDA NRW“ lediglich 200 Menschen auf die Straße bringen konnte. In Solingen wiederum bemühte sich seit April Andrea Baschke einen „Solinger Amazonen Marsch gegen Gewalt an Frauen, Gegen Mißbrauch von Kindern, Opferschutz statt Täterschutz und Gedenken der Opfer von Gewalt“ zu etablieren – wenngleich mit mäßigem Erfolg, folgten den Aufrufen nie mehr als zwei Dutzend Personen.

Etwas erfolgreicher agierte hingegen die ebenfalls neu entstandene Gruppierung „Patrioten NRW“, der bis dahin unauffällige Männer und Frauen angehören, die Anfang Juni zu einer Kundgebung nach Solingen mobilisierte, an der ca. 100 Personen, vorwiegend aus dem Spektrum der „Identitären Bewegung“ teilnahmen. Die „Patrioten NRW“ waren darüber hinaus an der Organisation einer Reihe weiterer Versammlungen beteiligt, bei der etwa 300 Menschen (und über 2000 GegendemonstrantInnen) zusammenkamen. Blamabel endete für die „Patrioten“ hingegen eine für Anfang Dezember großspurig angekündigte Demonstration in Essen, an der, anknüpfend an die Proteste in Frankreich, mindestens 2.000 Personen in gelben Westen teilnehmen sollten. Letztendlich verirrten sich nicht mehr als 35 Menschen auf dem Kundgebungsplatz.

Obgleich es sich bei den „Patrioten NRW“ um eine vergleichsweise neue Gruppierung handelt, bestehen keinerlei Berührungsängste und Differenzen zu teilweise schon lange bestehenden extrem rechten Hooliganstrukturen, die ebenfalls rege Aktivitäten entwickelten. In Düsseldorf formierte sich die „Bruderschaft Deutschland“ aus bereits bestehenden Hool- und Kameradschaftszusammenhängen.

Im September nahmen in Mönchengladbach rund 350 Personen, die meisten von ihnen extrem rechte Hooligans, an einem vom ehemaligen pro NRW-Funktionär und heutigem „Mönchengladbach steht auf“-Aktivisten Dominik Roeseler organisierten „Trauermarsch“ für den HoGeSa-Mitbegründer Marcel Kuschela („Captain Flubber“) teil, der sich kurz zuvor in der Stadt am Niederrhein das Leben genommen hatte. Während die Polizei sehr schnell eindeutig von einem Suizid sprach, kursier(t)en in der extrem rechten Szene und in den Sozialen Netzwerken Gerüchte, Kuschela sei einem „Messermord durch Islamisten oder Antifa“ zum Opfer gefallen.

Hooligans inszenieren sich als „Bürgerwehren“

Im Essener Stadtteil Steele zeigen seit mittlerweile eineinhalb Jahren die „Steeler Jungs“ regelmäßig ihre bedrohliche Präsenz. An den Aktivitäten der Gruppe nehmen Hooligans aus dem Umfeld des Fußballvereins Rot-Weiss Essen und der „Bruderschaft Deutschland“ ebenso teil, wie Angehörige der Rocker- und Türsteher-Szene. Die „Steeler Jungs“ versuchen sich als „Bürgerwehr“ zu inszenieren, haben aber durch ihr Auftreten zumindest temporäre Angsträume geschaffen. Aus einem ähnlichen Milieu rekrutieren sich die Mitglieder des in Köln aktiven „Begleitschutz e.V.“, der in Folge der Kölner Silvestervorfälle 2015/2016 gegründet wurde und sich gleichermaßen zu einer „Bürgerwehr“ stilisiert und über die Sozialen Netzwerke insbesondere SeniorInnen und Frauen seine Unterstützung anbietet.In Folge der Ereignisse in Chemnitz mobilisierte der „Begleitschutz“ wiederholt zu Kundgebungen und Demonstrationen, deren extrem rechte Ausrichtung unverkennbar waren. Im Anschluss an einen Aufmarsch im Dezember versuchten TeilnehmerInnen der Versammlung, JournalistInnen und die Polizei zu attackieren.

 

Propaganda für ein „weißes Europa“ – „Die Rechte“ und andere Neonazis

An den Veranstaltungen dieser sich in ihrer Außendarstellung häufig „unpolitisch“ gebenden, tatsächlich aber extrem rechten Gruppierungen und Netzwerke nehmen regelmäßig auch AktivistInnen des klassischen organisierten neonazistischen Spektrums teil. Diese betreiben aber nach wie vor auch eine eigenständige Kampagnen- und Straßenpolitik. Deren Kristallisationspunkt ist, wie bereits in den vergangenen Jahren, der Großraum Dortmund. In der Ruhrgebietsmetropole wohnen zahlreiche ProtagonistInnen der Partei „Die Rechte“, die dort auch seit 2014 ein Mandat im Rat der Stadt innehat.

Zu Beginn des Jahres investierten die Dortmunder Neonazis viel Zeit in ihre rassistische ‚Europa erwache!‘-Kampagne, die im April mit einer Demonstration durch die Dortmunder Innenstadt mit rund 600 Teilnehmende aus dem In- und Ausland ihren Abschluss fand. Vorausgegangen waren ein ‚Europa-Kongress‘ in Schwerte im November 2017, an dem Rechtsextremist*innen aus Bulgarien, Ungarn, Russland und Frankreich teilgenommen hatten, sowie im Frühjahr mehrere kleinere Mobilisierungskundgebungen mit bis zu 60 Personen u.a. in Duisburg, Gelsenkirchen und Bochum. Ein anderes Ereignis, das bundesweit Beachtung fand, war ein von „Die Rechte“ organisierter Aufmarsch im September durch den Dortmunder Stadtteil Marten, bei dem Pyrotechnik gezündet und antisemitische Parolen, wie etwa „Wer Deutschland liebt, ist Antisemit“ skandiert wurden. Nur wenige Tage nach den extrem rechten Ausschreitungen in Chemnitz, bei denen nicht zuletzt die polizeilichen Einsatzkräfte aufgrund ihres zögerlichen Einschreitens in die Kritik geraten war, sah sich nun die Dortmunder Polizei mit dem Vorwurf konfrontiert, zum wiederholten Mal die Mobilisierungsfähigkeit und die Radikalität der Neonaziszene unterschätzt zu haben.

Neben diesen spektakulären Aktionen versucht „Die Rechte“ nicht zuletzt im Hinblick auf die Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai 2019 für die sie noch Unterstützungsunterschriften sammelt, durch zahlreiche Infostände und Minikundgebungen gleichsam eine Dauerpräsenz vor allem im propagandistisch zum „Nazikiez“ deklarierten Stadtteil Dorstfeld zu suggerieren. Dabei kann sie auch auf befreundete Gruppierungen, wie etwa die im Dortmunder Westen aktive „Aktionsgruppe West“ (AG West) oder den „Freundeskreis Rechts“ im Stadtbezirk Eving bauen, die mit Flyeraktionen und kleineren Kundgebungen im Sinne der Kampagnenpolitik der Partei „Die Rechte“ agieren.

Über Dortmund hinaus ist „Die Rechte“ noch im nahe gelegenen Hamm präsent, wo sie ebenfalls ein Ratsmandat hält, dort allerdings kaum eigenständige Aktivitäten entfaltet. Dort ist indessen  eine wieder stärkere Fokussierung auf extrem rechte ‚Erlebniswelten‘ beobachten, die ihren Ausdruck in diversen Konzerten extrem rechten Liederabenden und „Geburtstagsfeiern“ in einem seit Jahren bekannten Szenetreff findet. In Hamm firmiert ein Großteil der Szene unter dem Label „Nationaler Aufbruch Hamm“, der vor allem subkulturell geprägt ist und für den neben Musikveranstaltungen, Kampfsportevents, aber auch Fußball (im Umfeld der Fanszene des Hammer SV) eine zunehmende Rolle spielen.

 

NS-Verherrlichung und Holocaustleugnung

Obwohl „Die Rechte“ in NRW ihren organisatorischen Schwerpunkt hat und mit Michael Brück und Sascha Krolzig beide Parteivorsitzenden aus dem Bundesland stammen, kann von einer flächendeckenden Verankerung der Partei und ihres subkulturellen Umfelds freilich nicht die Rede sein. Im Rheinland ist „Die Rechte“ kontinuierlich allenfalls im Rhein-Erft-Kreis aktiv. Dort trat sie vor allem mit Saalveranstaltungen, Kundgebungen und Flugblattaktionen in Erscheinung. In diesem Jahr fanden mindestens zwei sogenannte „Schulungsveranstaltungen“ statt. Außerdem organisierte man unter dem Motto „Soldaten berichten“ einen Zeitzeugen-Vortrag und lud hierzu ein ehemaliges Mitglied einer SS-Panzer-Division ein. „Die Rechte Rhein-Erft“ veranstaltete zudem mehrere Kundgebungen, die etwa unter dem Motto „Heimat bewahren“ oder „Freiheit für Ursula Haverbeck“ in Kerpen, Bedburg und anderen Städten des Kreises stattfanden.Auch in Heinsberg waren Aktionen wie das Verteilen von Flyern und das Werben für Demonstrationen von „Die Rechte“ festzustellen. In Hürtgenwald gab es im April eine Aktion an der Kriegsgräberstätte Vossenack, bei der eine in der extremen Rechten beliebte „Todes-Rune“ installiert und zusammen mit Kerzen aufgestellt wurde. Später bekannte sich „Die Rechte Heinsberg“ zu der Aktion. Ähnlich agierte im Vorfeld des 8. Mai der Kreisverband Rhein Erft bei einem Kriegerdenkmal in Stommeln, vor dem Blumen im Muster der sogenannten Todes-Rune gepflanzt wurden.

Die im Umfeld der Partei „Die Rechte“ im Aachener Raum aktive Gruppierung „Syndikat 52“, die sich als Nachfolgeorganisation der durch das nordrhein-westfälische Innenministerium im August 2012 verbotenen „Kameradschaft Aachener Land“ versteht, trat in diesem Jahr vorwiegend  mit Mobilisierungen zu extrem rechten Aufmärschen und vereinzelten Flugblatt- und Plakatieraktionen in Erscheinung.

Zwei weitere Parteien des neonazistischen Spektrums blieben indessen in NRW wie bereits in den vergangenen Jahren weitgehend bedeutungslos. Während sich der Niedergang der NPD fortsetzte, gelang es der militanten, vor allem in Bayern, Rheinland-Pfalz, Brandenburg und Sachsen aktiven Kleinstpartei „Der III. Weg“ kaum im bevölkerungsreichsten Bundesland ihre bislang nur rudimentären Strukturen auszubauen. Im September führte die Partei in Olpe einen „Tag der Heimattreue“ durch, an dem sich jedoch nur 40 Personen beteiligten. Die Resonanz auf weitere Kundgebungen des „III. Weg“, vor allem im Kreis Siegen-Wittgenstein fiel noch geringer aus. Darüber hinaus beschränkten sich die Aktivitäten der Partei auf vereinzelte Flugblattaktionen in verschiedenen Städten Nordrhein-Westfalens, etwa in Düsseldorf und Münster.

Überregionale Bedeutung für das neonazistische Spektrum kam indessen der Kampagne für die Freilassung der notorischen Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck zu, die im Mai in Bielefeld eine zweijährige Freiheitsstrafe wegen wiederholter „Volksverhetzung“ antreten musste. Nur drei Tage nach der Inhaftierung Haverbecks marschierten am 10. Mai 400 Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet unter dem Motto „Freiheit für Haverbeck“ in dem Bielefelder Vorort Quelle auf. Weitere Solidaritätskundgebungen und Demonstrationen wurden von der Partei „Die Rechte“ im Juni in Hamm und im Rhein-Erft-Kreis organisiert. Im November marschierten schließlich, nach wochenlanger bundesweiter Mobilisierung rund 430 Neonazis durch die Bielefelder Innenstadt, sahen sich jedoch mit den Protesten von mehr als 10.000 GegendemonstrantInnen konfrontiert.

Pflege „nationaler Mythen“ – Der „Alternative Kulturkongress“

Geschichtsrevisionismus, wenngleich nicht in Form mehr oder weniger offenkundiger Holocaustleugnung, bildet aber auch für andere Strömungen des extrem rechten Spektrums ein wichtiges Politik- und Agitationsfeld, das immer wieder szeneübergreifende Kontakte und weltanschaulich ähnlichen Deutungsmuster hervorbringt. Dies gilt etwa für den im Februar 2016 in Paderborn gegründeten „Alternative Kulturkongress e.V.“, der sich vorwiegend aus AnhängerInnen des völkischen „Flügel“ der AfD um Björn Höcke rekrutiert, aber auch über Verbindungen zur „Identitären Bewegung“ verfügt. Auf Veranstaltungen und in Veröffentlichungen des Vereins erklingt die Klage über das „Verblassen großer deutscher Zivilisations- und Kulturleistungen“ sowie einen „historischen Tunnelblick“. Die deutsche Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg relativiert, indem die Versailler Verträge als dessen Ursache genannt werden. Die ProtagonistInnen des „Alternativen Kulturkongress“ rücken vielmehr nationale Mythen in den Fokus und beschwören  etwa das „sagenhafte Hermannsland“. Im November war der Verein dementsprechend auch Ausrichter des „Hermannstreffens“ im ostwestfälischen Augustdorf – einem Kongress des „Flügels“, an dem rund 200 Personen teilnahmen, darunter der nordrhein-westfälische AfD-Landessprecher Thomas Röckermann, der AfD-Landtagsabgeordnete Christian Blex sowie als Hauptredner der Veranstaltung Björn Höcke. Ebenso mit dabei: Gianluca Savoini von der extrem rechten italienischen Regierungspartei „Lega“.

Keine Berührungsängste mit Autokraten – Die AfD auf dem Weg nach Rechts

Die zum „Hermannstreffen“ deklarierte Veranstaltung des „Alternativen Kulturkongress“ verweist jedoch nicht nur auf die mobilisierende und vergemeinschaftende Bedeutung nationalistischer Aneignung von „Geschichte“ für das extrem rechte Spektrum, sondern auch auf die stramm rechte Ausrichtung wesentlicher Teile der nordrhein-westfälischen AfD, die im Vergleich zu anderen Landesverbänden häufig als „gemäßigt“ beschrieben wird. Diese Einschätzung ist freilich irreführend, nahmen doch AfD-VertreterInnen regelmäßig an extrem rechten Versammlungen teil oder organisierten entsprechende Veranstaltungen sogar selbst, an denen bisweilen dann unwidersprochen selbst neonazistische AktivistInnen teilnehmen konnten.

Bereits im vergangenen Jahr proklamierte der vormalige Gymnasialdirektor Helmut Seifen, neben Röckermann Landessprecher seiner Partei und stellvertretender Vorsitzender der AfD-Fraktion im Landtag, als vermeintlicher Protagonist einer „gemäßigten“ Parteiströmung, die AfD sei eine „bürgerliche Widerstandsbewegung“. Währenddessen verhöhnt sein Fraktionskollege Christian Blex, Vertreter des völkischen „Flügels“, via Twitter Mevlüde Genç, Überlebende des Solinger Brandanschlags vom Mai 1993, und feiert die Wahl des Rechtsextremisten Jair Bolsonaro im Oktober 2018 zum brasilianischen Präsidenten – ohne dabei auf nennenswerten innerparteilichen oder innerfraktionellen Widerspruch zu stoßen.

Mit autokratischen, demokratiefernen MachthaberInnen scheinen Blex und andere in der AfD jedoch ohnehin keine Probleme zu haben. Im März traf sich eine AfD-Delegation bestehend aus Abgeordneten des Deutschen Bundestags und des nordrhein-westfälischen Landtags in Damaskus mit hochrangigen Vertretern des Assad-Regimes, nicht zuletzt, um Syrien zu einem sicheren Herkunftsland zu stilisieren – als Leiter der „Privatreise“ firmierte Christian Blex. Der eifrig über die Sozialen Netzwerke verbreitete, aber auch innerparteilich nicht unumstrittene Ausflug auf die internationale Bühne war freilich nicht dazu geeignet, die Wahrnehmung der AfD als seriöse Partei zu fördern. Im Landtag verfolgten deren Abgeordnete eine auch aus den anderen Landesparlamenten und dem Deutschen Bundestag bekannte Agenda: Zum einen zielten Anträge, Anfragen und Redebeiträge der AfD-Fraktion meist darauf ab, jedes denkbare  politische Themenfeld mit ethnisierenden Problembeschreibungen und Deutungsmustern in Verbindung zu bringen. Zum anderen nutzten die Abgeordneten das sich ihnen bietende Forum des Landtags regelmäßig, um sich selbst zu Opfern der „Altparteien“ oder des politischen „Establishments“ zu stilisieren.

Ausblick

Erfreulich war im Jahr 2018, dass sich an vielen Orten teilweise neue Initiativen formierten und zu Gegenprotesten zu den extrem rechten Provokationen zusammenfanden oder bereits bestehende Bündnisse bemerkenswerte Aktivitäten entfalteten – so etwa in Bielefeld, wo im November das Bielefelder „Bündnis gegen Rechts“ rund 10.000 Menschen gegen die neonazistische Solidaritätsdemonstration für die Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck mobilisierte. Eine Herausforderung bleibt indessen, die rassistisch-ethnisierenden Narrative der neuen – alten – extrem rechten ProtagonistInnen, die etwa sexistische Gewalt nahezu ausschließlich vermeintlichen MigrantInnen zuschreiben, konsequent zu dekonstruieren und die ausgrenzenden und ressentimentgeladenen Argumentationsmuster scheinbar harmlos klingender Gruppierungen wie „Eltern gegen Gewalt“ oder „Mütter gegen Gewalt“ offen zu legen. In diesem Kontext sehen sich viele Einrichtungen, Vereine und Verbände mit der Frage konfrontiert, ob, in welchem Maße und in welchen Formen klare Positionierungen gegen Rassismus und extrem rechte kulturalisierende  und ethnisierende Zuspitzungen sozialer, gesellschaftlicher und politischer Probleme möglich sind. Für die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in NRW sind eben diese Fragen, die um die Entwicklung eigener Haltungen und Leitbilder kreisen, in den letzten Monaten zunehmend ins Zentrum der Beratungsarbeit gerückt. Dieser Arbeitsschwerpunkt wird sich auch im Jahr 2019 nicht verändern.

 

Dieser Jahresrückblick ist von Michael Sturm von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus NRW:
https://www.mobile-beratung-nrw.de/

 

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