Die wöchentliche Machtgeste
Seit knapp zwei Jahren wöchentlich die gleichen Szenen: Jeden Donnerstag gegen 18 Uhr verändert sich die Atmosphäre im Essener Stadtteil Steele. 50 bis 200 größtenteils hoolmäßig anmutende Männer versammeln sich auf dem örtlichen Grendplatz, viele kommen von einer nur 100 Meter entfernt gelegenen Sportbar in der Westfalenstraße; auch einige Frauen laufen mit. Betreiber der Bar ist Christian „Bifi“ W., Kampfsportler und Chef der Bandidos im benachbarten Bottrop, wie die für Essen zuständige Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus im Regierungsbezirk Düsseldorf gegenüber Belltower.News mitteilt. Die Hooligans möchten offenkundig Angst schüren und das örtliche Zentrum für sich beanspruchen.
Sie brüllen keine Parolen, wenden sich jedoch „gegen Fremde“. Ein größerer Teil dieser heterogenen Gruppe erinnert optisch an Kampfsportler und entfaltet in ihrem wöchentlichen Auftreten eine Atmosphäre der Einschüchterung. Viele tragen uniformmäßig anmutende weiße T-Shirts mit der Aufschrift „Steeler Jungs“ sowie schwarze Kapuzenpullis mit der Aufschrift „First Class Crew Steeler Jungs“ und „First Class Crew Huttroper Jungs“; viele tragen auch Mützen und Kappen mit dieser Aufschrift. Der größte Teil von ihnen rekrutiert sich aus der sehr rechten Hool- und Rockerszene sowie aus der Hooligan-Szene von Rot-Weiß Essen; auch Überschneidungen zu den Bandidos sowie zur langlebigen örtlichen Neonaziszene werden von Beobachter*innen benannt. Ganz vorne mit dabei ist immer ein professioneller Fotograf, Klaus P., mit hochwertiger Fotoausrüstung, der jeden Gegenprotest systematisch abfotografiert.
Vielfältige Vorwürfe
Die Liste der gewaltaffinen Vorkommnisse und Vorwürfe, die etwa Gruppierungen wie „Essen stellt sich Quer“ benennen, ist lang: In einer Analyse vom April 2019 werden neben ihrem Auftritt beim Karnevalsumzug 2019 in Essen-Freisenbruch – unter dem antidemokratischen Gewaltmotto „Schützt Euch vor den Zecken“ – weiterhin gezielte Einschüchterungen, umfassendes Abfotografieren von Teilnehmenden der Veranstaltung „Mut machen – Steele bleibt bunt“ sowie zahlreiche gewaltaffine Facebookposts beschrieben.
Seit einem Jahr wird der rassistische rechte Demozug der „Jungs“ durch ein größeres Polizeiaufgebot begleitet. Im ersten Jahr hingegen waren die „Spaziergänge“ durch die Polizei noch nicht als Versammlungen im rechtlichen Sinne bewertet worden und unterlagen somit keinerlei Auflagen. Es ist der kontinuierlichen Aufklärungsarbeit verschiedener Essener Bündnisse zu verdanken, „dass Politik und Sicherheitsbehörden inzwischen auch die Verhältnisse in Steele genauer betrachten“, wie die Düsseldorfer Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus bestätigt.
Seit 2018 wird die Essener „Bürgerwehr“ auch im Kapitel „Rechtsextremismus“ des Berichtes des Landesverfassungsschutzes NRW namentlich erwähnt, in der Kategorie „bürgerwehrähnliche Gruppierungen“. Sie versuchten Flüchtlinge insgesamt als eine Bedrohung darzustellen, viele ihrer Mitglieder kämen aus dem Rocker- und Hooliganmilieu. Der einschüchternde und politisch äußerst rechte Charakter der selbsternannten Bürgerschützer wird nun auch von der Polizei eingeräumt.
Die Polizei fordert seitdem, dass die wöchentlichen Züge entlang des Zentrums von Steele offiziell angemeldet werden. Wenn sich jeden ersten Donnerstag im Monat bürgerlicher und linker Protest am Steeler Brunnen versammelt, etwa von „Mut machen – Steele ist bunt„, „Essen stellt sich quer“ sowie der antifaschistischen Gruppe AFFE, nehmen die Drohgesten der „Muskelmänner“ zu. Sofern sie sich dazu äußern, was ihre gespenstischen Umzüge bezwecken sollen, wird immer wieder auf Asyl- bzw. „Merkels Flüchtlingspolitik“ und auf „die Fremden“ verwiesen. Die deutsche Asylpolitik habe zu einer erheblichen Zunahme sexualisierter Gewalt geführt. Insofern inszenieren sie sich – wie die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus bestätigt – ambivalent: „Mal als sorgende Familienväter und Eltern, mal als tatkräftige Bürgerwehr.“
Ansonsten wird den Teilnehmenden von ideologisch geschulteren Führungskadern offenbar ein Redeverbot gegenüber der Presse und der Öffentlichkeit auferlegt, wie sich auch in einer soeben ausgestrahlte ZDF-Dokumentation „Die innere Unsicherheit – Wenn Bürger Streife gehen“ eindrücklich zeigt.
Als ein bekannterer Filmdokumentarist von rechten Aufmärschen am 18.7.2019 den Marsch dokumentierte, gab es einen koordinierten Versuch, ihn unbeobachtet von der Polizei aufzuspüren.
Rassistische Gesinnung und Drohgebärden
Die Bilder gleichen sich: In Düsseldorf nennt sich eine Gruppe „Bruderschaft Deutschland“, in Köln „Begleitschutz“ bzw. „Internationale Kölsche Mitte“. Gemeinsam ist ihnen eine patriarchalische Geste, der Fremde ausgrenzende Anspruch wie auch der Versuch, mittels Streifgängen, Drohgebärden und uniformähnlicher Bekleidung ein Klima der Angst in „ihrem“ Stadtteil zu schaffen. Es ist die rechte Strategie des „Raumkampfes“. In Essen zeigt er sich in seiner wirkmächtigsten Form. Filmaufnahmen vermitteln ein eindeutiges Bild.
Polizei: Fotopose mit Steeler Jungs
Viele Gegner dieser rechten Machtdemonstration, mit denen wir gesprochen haben, fühlen sich durch die Essener Polizei im Stich gelassen. Sie beklagen, dass die äußerst rechte Dimension dieser „Spaziergänge“ politisch und polizeilisch bagatellisiert werde. Ende April 2018 sollen mehrere „Steeler Jungs“ am Angriff auf eine Kneipe am Grendplatz beteiligt gewesen sein. Die Polizei musste mit einem Großaufgebot anrücken, sogar ein Polizeihund musste eingesetzt werden.
Aufsehen erregte im Februar 2019 ein örtlicher Polizist, der mit den Rechten gemeinsam auf Fotos posierte. Als die Linke eine Dienstaufsichtsbeschwerde einreichte, reagierte auch die Polizei mit einer Distanzierung: Eine solche Nähe sein unangemessen. Der Polizist soll in eine andere Einheit versetzt worden sein.
Und im Mai 2019 vermummte sich ein größerer Teil der Teilnehmer des Umzugs mit Atemmasken, als sie sich den Gegendemonstranten näherten. Diesmal griff die Polizei ein, die Personalien von ca. 75 Personen wurden festgehalten, wie Der Westen schrieb.
Vereinzelt vergrößerten die „Steeler Jungs“ auch ihren Aktionsradius und fuhren gemeinsam mit der Bahn in den Essener Stadtteil Borbeck.
Nun räumte auch ein Polizeisprecher die sehr rechte Gesinnung einer Großteils der Teilnehmer ein: Einige seien „eindeutig der Hooligan- und Rockerszene“ zuordnen, die Gruppe können „schon bedrohlich wirken“.
Szenekenner sehen in diesem Vorfall eine Besonderheit der Essener Gruppierung, die sie von vergleichbaren Gruppierungen in Düsseldorf und Köln unterscheide: In Essen-Steele seien alle schon gemeinsam in die Grundschule gegangen. Man kenne sich seit der frühen Kindheit. Deshalb würden die Machtinszenierungen von einem Teil der Bevölkerung sowie den Behörden auch geduldet. Gegendemonstrant*innen vermissen eine eindeutige Distanzierung der örtlichen Geschäftsinhaber. Immerhin: Die Steeler Bezirksvertretung sowie der Essener Stadtrat nahmen im April sowie im Mai diesen Jahres eine fraktionsübergreifende Resolution gegen die Hooltruppe an: „Hinter einer vermeintlich harmlosen Fassade verbirgt sich womöglich ein bundesweit agierendes Netzwerk mit intensiven Kontakten in die extreme rechte Szene. Das erfordert eine intensive Beobachtung und Begleitung durch die Sicherheitsbehörden sowie eine intensive Aufklärungsarbeit“; eine Verharmlosung dieser Gruppierung sei nicht hinnehmbar, heißt es in dem Beschluss.
Karneval 2019: „Schützt euch vor den Zecken“
Bundesweite Aufsehen erregte die Teilnahme der „Steeler Jungs“ am Karnevalsumzug 2019 in Essen-Freisenbruch. Getarnt unter dem Namen „Steeler Jecken“ waren auch die Hools mit einem eigenen Wagen dabei. Der Wagen war in den nationalistischen Farben schwarz-weiß-rot gestaltet; auch die Zugteilnehmenden waren in diesen Farben ausstaffiert und trugen Kopfbedeckungen, die an Wehrmachtshelme erinnern. Auf dem Wagen prangte in altdeutscher Frakturschrift die Losung „Auf Kohle geboren mit Stahl in den Adern“. Auf der Rückseite des Wagens war eine große Faust abgebildet, die eine „Zecke“ zerdrückt, garniert mit dem Spruch „Schützt euch vor den Zecken – Helau die Steeler Jecken“. Zecken ist für Rechtsextreme das Synonym für Andersdenkende, die es zu vernichten gilt.
Der WDR berichtete über den skandalträchtigen Auftritt. Nun distanzierte sich auch der Veranstalter, der „Gänsereiter-Club Freisenbruch“, vom Auftritt der Gruppierung. Die Veranstalter fühlten sich laut Selbstauskunft von den „Steeler Jungs“ getäuscht. Ein Insider stellte dies jedoch energisch in Abrede; die WAZ titelte: „Karnevalsverein wusste offenbar Bescheid.“
Schüsse auf das Kulturzentrum
Drei Wochen später, im März 2019, kam es offenkundig zu einer weiteren Eskalation der Gewaltandrohung: Direkt gegenüber der Sportbar, wo sich die Rechten donnerstags versammeln, liegt das eher „alternative“ Kulturzentrum Grend. Sympathisanten von Flüchtlingsfeinden dürften dort nicht anzutreffen sein. Teilnehmende der Gegenproteste treffen sich nach den Kundgebungen im Grend. In der Nacht zum 27. März wurden zwei Schüsse mit einer scharfen Schusswaffe auf den Wintergarten des Grend abgegeben. Die Glasscheiben wurden durchlöchert, ein Projektil fand sich in der Wand der Kneipe. Erfahrene Essener Nazigegner, darunter auch antifaschistische Gruppen wie die „Kampagne AFFE – Aktion für Freiräume Essen“ haben auch angesichts der Verflechtung der Hools mit den Bandidos einen politischen Zusammenhang der Tat postuliert; auch die örtliche Presse benennt dies.
NRW-weite Verflechtung: Der Hogesa-Aktivist Dominik Roeseler
Im Mai 2019 zeigte sich die enge Verflechtung der Steeler Jungs mit der NRW-weiten Hool- und Hogesaszene: Der umtriebige Mönchengladbacher Dominik Horst Roeseler, der einst für die rechtsradikale Gruppierung Pro NRW und nun nach internen Zerwürfnissen als Parteiloser im Mönchengladbacher Stadtrat sitzt, machte auch für Essen mobil. Im Oktober 2014 war Roeseler noch als Pro-NRW-Vertreter neben dem verstorbenen Hool-Kollegen Marcel Kuschela als Demoanmelder die zentrale Figur der extrem rechten „Hooligans gegen Salafisten“.
Am 20.9.2015 führte Roeseler den Hogesa-Umzug in Essen an. Eine Gruppe von 50 Hools griffen mit Baseballschlägern und Stühlen 40 Gegendemonstrant*innen an, eine Frau erlitt einen Nasenbeinbruch. Die Hools wurden später von der Polizei eingekesselt.
2016 landete Roeseler nach einer seiner zahlreichen rassistischen Beleidigungen vor Gericht. Nach seinem Abschied von Pro NRW baute er den extrem rechten Verein „Mönchengladbach steht auf“, mit dem er inzwischen landesweit unterwegs ist: Im August 2018 mobilisierte er 120 Wutbürger vor den Düsseldorfer Landtag, im November 2018 schützte der rechte Netzwerker in Mönchengladbach einen „AfD-Bürgerdialog“ vor Gegenprotest und im Februar 2019 trat er in Aachen bei den „Gelbwesten“ auf.
Am 16.5.2019 marschierte Roeseler mit Anhang nun auch bei den „Steeler Jungs“ in Essen mit und vermarktete dies medial mittels Twitter-Fotos und einem Stream. Der rechte Selbstdarsteller postete anschließend, dass er seinen Auftritt mit seinen Kumpels von den Steeler Jungs im Vorfeld abgesprochen habe.
Wenig überraschend, dass auf der Kundgebung durch eine Teilnehmerin der Hitlergruß gezeigt wurde. Sechs Wochen später war Roeseler mit Anhang erneut in Essen dabei, lobte auf Facebook die „familiäre und heimatverbundene Atmosphäre“ und postete ein Foto von der Brücke hin zum Steeler S-Bahnhof, auf dem gut 100 Hooligans sowie einige Frauen zu sehen sind. Den Abend in Essen ließen sie stilgerecht in ihrer Sportbar unweit des Grentplatzes mit einem „Balladenabend“ mit der – inzwischen laut Selbstauskunft aufgelösten – Bremer Hooligan-Band Kategorie C ausklingen.
Dieser Text ist zuerst bei Blick nach Rechts erschienen.
Ergänzung, 19.08.2019
Am vergangen Donnerstag, den 15.08., haben Mitglieder der „Steeler Jungs“ vor der „Sportsbar 300“, ihrem Szene-Treff, eine Gruppe Jugendlicher angesprochen. Nichts böses ahnend, haben sich die Jugendlichen auf eine Diskussion eingelassen. Nur wenige Minuten später werden die Jugendlichen bedrängt, drangsaliert und körperlich attackiert.
„Die Jugendlichen ergriffen die Flucht. Sie wurden einige Meter weiter von drei Seiten durch die „Steeler Jungs“ umzingelt, wodurch sie faktisch festgesetzt wurden. Die „Steeler Jungs“ reagierten immer aggressiver, führten eine „Taschenkontrolle“ bei den Jugendlichen durch und drohten einer der Jugendlichen wörtlich „Mach deinen Rucksack auf, wir machen auch vor Frauen keinen Halt!“. Einer der „Steeler Jungs“ schlug einem der Jugendlichen ins Gesicht.“