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NS-Vergangenheit „Mit dem Wachsen der Bäume, wächst die Erinnerung“

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1931 setzte ein Blitzschlag die Eberswalder Synagoge in Brand. Foto: Museum in der Adler Apotheke Eberswalde, cc.

Eberswalde wird am 9. November 2012 ein Stück jüdische Geschichte zurück in die Stadt bringen. Denn ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass hier, vor der Zeit des Nationalsozialismus, eine große jüdische Gemeinde existierte. Auch eine Synagoge zierte die Stadt. Nachdem das Gotteshaus nach einem Blitzschlag im Jahre 1931 in Brand geriet, wurde der wiederhergestellte Bau am 6. März 1932 eingeweiht. Doch dieses Zeugnis jüdischer Kultur – ein dreikuppliger Bau im maurischen Stil mit blau-weiß gekachelter Fassade – wurde in der verheerenden Pogromnacht des 9. Novembers 1938 vollständig zerstört. In den Folgejahren wurden jüdische Eberswalderinnen und Eberswalder systematisch aus der Stadt vertrieben und deportiert. Die meisten von ihnen kamen bei dem Transport oder in Konzentrationslagern ums Leben. Heute befindet sich am Standort der ehemaligen Synagoge eine Gedenktafel. Doch die Spuren vom einst regen jüdischen Leben verblassten mit der Zeit mehr und mehr.

Einweihung des Denkmals am 9. November 2012

Am 9. November 2012 soll nun den Bewohnern der Stadt, mit der Einweihung eines Denkmals an das Gotteshaus und das jüdische Leben in Eberswalde, diese Vergangenheit ins Bewusstsein zurück gebracht werden. So werden die Grundrisse der alten Synagoge durch eine zwei Meter hohe Mauer nachgebaut. Umgesetzt wurde die Idee vom Künstlerduo Horst Hoheisel und Andreas Knitz. Mit dem Memorial wollen die beiden Künstler ein wachsendes Denkmal erschaffen, das nie fertig sein wird. „Der Kontur der ehemaligen Außenmauern der Synagoge folgend, wird eine durchgehende, zweieinhalb Meter hohe Mauer errichtet. Sie hat keine Fenster, keine Tür, kein Tor, keinen Eingang, keinen Ausgang. Der Innenraum bleibt unbetretbar. Dort wird lediglich eine Fläche mit Humus angelegt. Es wächst was wachsen mag“, so die Künstler über das Projekt. Mit den Jahren werden im Inneren des Grundrisses Bäume wachsen, die mit zunehmender Größe die Silhouette der Synagoge bilden werden. „Mit dem Wachsen der Bäume, wächst die Erinnerung“, so das Künstlerduo weiter.
Um den heutigen Eberswalderinnen und Eberswaldern die jüdische Geschichte ihrer Stadt näher zu bringen, werden die Außenwände der Mauer eine Inschrift aus Metallbuchstaben tragen, die in die Mauer eingegossen werden und so umlaufend als unendlicher Text zu lesen sind:
„Auf dass erkenne das künftige Geschlecht, die Kinder, die geboren werden, dass sie aufstehen und erzählen ihren Kindern.“ (Psalm 78,6)

Über 700 Jahre hinweg lebten Juden in unserer Stadt und Region und feierten ihre Gottesdienste an unterschiedlichen Orten. An dieser Stelle weihte die jüdische Gemeinde, die auf 200 Mitglieder angewachsen war, im Jahre 1891 ihre Synagoge ein.
1931 setzte ein Blitzschlag die Synagoge in Brand. Herbeieilende Nachbarn halfen beim Löschen… Am 9. November 1938 zerstörten Eberswalder Bürger die Synagoge…
Schon am Tag darauf verpflichtete die Stadtverwaltung die jüdische Gemeinde dazu den sofortigen Abriss der Ruine zu veranlassen und zu bezahlen. Eberswalder Polizisten deportierten in den Kriegsjahren die letzten Juden der Stadt…
Viele Eberswalder Juden starben in Konzentrationslagern und auf Todesmärschen, einige auch durch Suizid. Manche konnten noch aus ihrer Heimat fliehen. Seit dieser Zeit fehlen Eberswalde diese Menschen, Freunde, Mitschüler, Nachbarn, Kollegen,…
Dieses Denkmal verdeutlicht mit seiner Geschlossenheit…

Der Verkauf von Buchstaben des Schriftbandes geht an AMCHA e.V.

Wie wichtig das Erinnern an die Shoah ist, zeigt die Tatsache, dass Menschen bis heute von Antisemitismus, Rassismus und andere Formen der Menschenfeindlichkeit betroffen sind. In Israel gibt es mehr als 200.000 Überlebende des Holocausts. Zu deren Gegenwart gehört es, mit den traumatischen Erlebnissen des zweiten Weltkrieges zu leben: Sie teilen die Erfahrungen von Verfolgung, Deportation, Selektion, Hunger, Folter, Zwangsarbeit und die Ermordung von Angehörigen. Für sie hat sich 1987 der Verein AMCHA (hebräisch „Dein Volk“) gegründet. Zu den Initiatoren des Vereins zählte damals eine Gruppe Holocaust-Überlebender und Psychologen. Das Hauptanliegen von AMCHA e.V. ist es psychosoziale Unterstützung anzubieten und Überlebenden und ihren Familien ein Umfeld zu schaffen, in dem sie sich sicher und verstanden fühlen.

Mit der Einweihung des Denkmals an die Eberswalder Synagoge will die Stadt nicht nur ihre Vergangenheit aufarbeiten, sondern auch einen Beitrag für die Gegenwart leisten: So hat sich Eberswalde entschieden, dass die Buchstaben, die um die Mauer eingelassen werden, von Interessenten gestiftet werden können. Der gesamte Erlös geht an AMCHA e.V. Aktuell können noch ca. 150 Buchstaben für sieben Euro das Stück gespendet werden.

Die Amadeu Antonio Stiftung unterstützt im Rahmen der Aktionswochen gegen Antisemitismus das Vorhaben in Eberswalde. Die Aktionswochen sind bundesweit die größte Kampagne gegen Antisemitismus. Das Ziel dieser Initiative ist es, an vielen Orten gleichzeitig rund um den 9. November ein breites Spektrum von Veranstaltungen gegen Antisemitismus zu organisieren, zu vernetzen und Diskussionen über verschiedene Facetten des Problems zu initiieren. Mit der Einweihung des Denkmals an die ehemalige Synagoge in Eberswalde setzt die Stadt am 9. November 2012 ein symbolstarkes Zeichen, die Vergangenheit aufzuarbeiten und ein Mahnmal für die Gegenwart, jeglichen Formen der Menschenfeindlichkeit zu bekämpfen.

Anna Brausam

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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