Das Interview führte Antonia Oettingen.
Sie vertreten als Anwalt die Angehörigen der NSU-Opfer. Wie geht es den Familien? Was nimmt sie am meisten mit, aus der heutigen Perspektive?
Man hat diesen Menschen nicht erlaubt, Opfer zu sein, weil man sie selbst der Morde verdächtigt hat. Sie haben einen Angehörigen verloren, einen Vater, einen Sohn, und mussten dann als nächstes aus der Zeitung erfahren, dass ihre Angehörigen des Drogenhandels verdächtigt würden. Erst nach dem Aufdecken der Zwickauer Terrorzelle wurde ihnen das Opfersein genehmigt. Dazu kamen eine ganze Reihe anderer Probleme, zum Beispiel wirtschaftlicher Natur. Die Ernährer waren nicht mehr da. Das hat viele Familien in Armut und Verzweiflung gestürzt.
Die Angehörigen wünschen sich einen Gedenkort, an dem sie trauern können und der an die Verbrechen erinnert. Gibt es da Pläne?
Nein, es gibt keine Planung für einen Gedenkort.
Man könnte vielleicht eine Spendenaktion für einen Gedenkort organisieren.
Das ist meiner Meinung nach nicht der richtige Ansatz. Einen offiziellen Gedenkort zu errichten, ist Aufgabe des Staates. Mit einer Spendenaktion setzt man das falsche Signal. Die Angehörigen sind nicht Opfer eines Erdbebens geworden.
Das Versagen des Verfassungsschutzes und des Bundeskriminalamts ist unbestritten. Wie sieht es mit einer Klage der Opfer aus? Ist das rechtlich möglich?
Das wird sich zeigen. Zum einen gibt es die Möglichkeit einer Staatshaftungsklage, um die Schäden, die aus dem Versagen der Sicherheitskräfte entstanden sind, zu kompensieren. Aber da müssen die Voraussetzungen geklärt werden. Und dann muss man sehen, was beamtenrechtlich im Sinne von Disziplinarklagen beziehungsweise Disziplinarbeschwerden gemacht werden kann. Da werden wir es allerdings auch mit dem Problem der Verjährung zu tun haben. Aber wir stehen auch erst am Anfang der Aufklärung. Alles Weitere wird sich zeigen.
Kann man von den Aussagen des Verfassungsschutzpräsidenten Erich Fromm und des Präsidenten des Bundeskriminalamt Jörg Zierke vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundes im April ernsthafte Aufklärung erwarten?
Das muss sich zeigen. Der Vorsitzende des Bundestags-Untersuchungsausschusses, Sebastian Edathy, ist jedenfalls bekannt dafür, dass er nachhakt. Zu diesem Mann habe ich Vertrauen.
Sie beklagen institutionalisierten Rassismus in Deutschland. Können Sie das vor dem Hintergrund der NSU-Mordserie genauer erklären?
Wir haben eben schon vom Versagen der Sicherheitsbehörden gesprochen und von den Einschätzungsfehlern und Koordinationsproblemen zwischen Verfassungsschutz und Polizei. Aber die Frage, ob es nicht auch institutionellen Rassismus gibt, wurde in Deutschland nicht aufgeworfen. Ich frage mich, ob es nicht auch einzelne Beamte gibt, die selber rassistisch eingestellt sind und weggesehen haben. Gerade auch in den neuen Bundesländern. Wir wissen, dass da die Volkspolizei in einem sehr autoritären System funktionierte und dass diese Denkstrukturen zum Teil nach wie vor bestehen. Das müssen wir prüfen. In Großbritannien gab es nach dem Mord an einem Briten jamaikanischer Herkunft eine Kommission des Oberhauses, welche das Versagen der Polizei umfassend untersucht hat. Die Kommission kam zu dem Ergebnis, dass die Polizei von institutionellem Rassismus unterwandert ist. Dass diese Frage in Deutschland bislang nicht gestellt worden ist, finde ich erstaunlich. Schon allein deswegen, weil beispielsweise bei dem Mord in Kassel in einem Internetcafe ein Beamter des Landesamts des Verfassungsschutz im Nachbarzimmer anwesend war und dieser Mann in seinem Ort bekannt war als ?Klein-Adolf?. Dabei kann es sich um einen Zufall handeln, aber vielleicht aber auch nicht. Deswegen will ich, dass die Frage nach institutionalisiertem Rassismus auf politischer und juristischer Ebene gestellt wird.
Es scheint manchmal, als hätte die Polizei in vielen Fällen kein ernsthaftes Interesse daran, rechtsextrem motivierte Taten aufzuklären?
Ich glaube, dass Menschen, die sich gegen Rassismus engagieren, über diese Vorgänge nicht überrascht sind. Wir müssen doch einfach zugeben, dass wir generell und vor allem in den letzten zehn Jahren die Augen verschlossen haben vor dem Rassismus und seinen Folgen in Deutschland. Zum Teil aus Desinteresse und zum Teil mit Kalkül. Rassismus in den staatlichen Institutionen wurde erst recht nicht thematisiert. Weder vom Bundesinnenminister noch von den Landesinnenministern. Aber es wird langsam Zeit, dass diese Fragen gestellt werden.
Sehen Sie eine Möglichkeit, institutionellem Rassismus entgegenzuwirken? Was ist ihre Empfehlung?
Wir sollten eine regelmäßige Überprüfung unserer Polizeibeamten und Polizeibeamtinnen vornehmen. Aber auch Aufklärung und Weiterbildung betreiben. Man muss die Beamtinnen und Beamten ermutigen, dem Korpsgeist zu widerstehen und aktiv zu werden, wenn sie sehen, dass es falsche Kolleginnen und Kollegen gibt. Das ist sicherlich schwierig, aber wenn man sie nicht ermutigt, wird sich nichts ändern. Wir müssen das Rad ja auch nicht neu erfinden. In den 1960/70er Jahren stand die BRD unter dem Radikalenerlass. Damals konnte man nicht Briefträger werden, wenn man auch nur in die Nähe der DKP geriet. Da war der Staat sehr streng. Wir haben ja auch nach der Wiedervereinigung umfangreiche Stasi-Überprüfungen vorgenommen. Dann können wir doch sicherlich auch umfangreiche Überprüfungen von Rechtsextremisten vornehmen.
Sind Sie für ein Verbot der NPD?
Ja. Eine offen rassistische Partei muss verboten werden. Der Staat muss auch in diese Richtung Stärke und Haltung zeigen.
Welche Auswirkungen könnte das ihrer Meinung nach auf die rechtsextreme Szene haben?
Zunächst einmal hat es Auswirkungen auf Staat und Gesellschaft. Auswirkungen auf die Menschen, die begreifen, dass wir keine offene rassistische Partei dulden, die unter dem Deckmantel der Demokratie ihr Unwesen treibt. Das Argument gegen ein NPD-Verbot, es könnten keine V-Männer und V-Frauen mehr eingesetzt werden, überzeugt mich überhaupt nicht, weil sie auf ganzer Linie versagt haben. Ich gehe so weit zu fragen, ob es nicht sein kann, dass nicht nur der Verfassungsschutz die NPD infiziert hat, sondern auch umgekehrt die NPD Teile des Verfassungsschutzes? Ein Verfassungsschutz, der durch V-Männer und V-Frauen nicht die gewünschten Erfolge erzielt, muss sich neu organisieren. Ich könnte mir vorstellen, dass wir statt auf V-Leute mehr auf technische Hilfsmittel setzen. Ich möchte, dass den NPD-Leuten die Maske des Pseudo-Demokratischen vom Gesicht gerissen wird, damit auch gerade die jungen Leute verstehen mit wem sie es zu tun haben: Einer rassistischen, antidemokratischen und unsere Verfassungsordnung bekämpfende Organisation. Die zahlreichen Verbindungen zur NSU belegen das. Ich möchte nicht, dass aus meinen Steuergeldern diese Partei mitfinanziert wird. Wenn der Staat seine Hausaufgaben macht, die V-Leute abzieht und auch die Beweise zusammenträgt, dann sollte das Verbot erfolgreich sein. Aber ich erwarte auch, dass auf die Szene entsprechender polizeilicher Druck ausgeübt wird. Wenn man bedenkt, dass 150 bis 180 Neonazis per Haftbefehl seit Jahr und Tag gesucht werden und erst jetzt ernsthaft etwas dagegen unternommen wird, dann ist das schon beklemmend. Das ist ein weiterer Beleg dafür, dass die von den Rechtsextremen ausgehende Gefahr vollkommen unterschätzt wurde. Und das einige sie vielleicht auch unterschätzen wollten.
Machen Ihnen solche Positionen wie Sarrazins islamfeindliche Thesen Angst, wenn sie an die Zukunft denken? Rechtspopulismus ist ja europaweit im Kommen.
Nein, weder Sarrazin noch die Neonazis machen mir Angst. Aber Sarrazin demonstriert, dass es einen Extremismus der Mitte gibt, der den Konsens der Demokraten sofort zusammenfallen lässt, der bei Themen wie den NSU-Morden gerade noch besteht. Wenn von der NSU-Mordserie gesprochen wird, sind sich alle über dessen Abscheulichkeit einig. Aber wenn man vom Ursprung des Rassismus der Täter spricht, dann vergessen viele, dass Gesinnungen nicht vom Himmel fallen, wie Weizsäcker es einmal gesagt hat. Ich behaupte nicht, dass Zwickau und Sarrazin im Zusammenhang stehen. Zwickau wurde von anderen Protagonisten in den 1980/90er Jahren geschaffen. Wir als Gesellschaft müssen zusammenfinden, um Sarrazins pseudo-intellektuellen Rassismus zu entblößen, bevor dieser Extremismus der Mitte irgendwann dazu führt, dass Minderheiten glauben, den vermeintlichen Willen der Mitte vollstrecken zu müssen. Wir müssen Sarrazin als das bezeichnen und isolieren, was er durch seine Aussagen ist: Ein Rassist.