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NSU-Prozess aus Sicht der Nebenklage „So viel Wahrheit wie möglich“

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Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler vertritt zwei Opferfamilien als Nebenklageanwalt im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München. (Quelle: picture alliance / dpa)

Was läuft im NSU-Prozess gut? Was macht Sie unzufrieden?

Wir kommen gut voran mit der Anklageschrift. Das heißt, ich habe große Hoffnung, dass es im Laufe des Prozesses möglich sein wird, den Angeklagten das nachzuweisen, was ihnen in der Anklageschrift vorgeworfen wird – also beispielsweise der Hauptangeklagten Beate Zschäpe die Mordbeteiligung. Auch bei Ralf Wohlleben sollte es für eine Verurteilung reichen. Unzufrieden bin ich dagegen damit, dass das ideologische Umfeld des NSU viel zu wenig beleuchtet wird. Wir erfahren im Prozess  zu wenig über mögliche Helfer und Helfershelfer der Angeklagten – und ich bin überzeugt davon, dass es bei den meisten Morden Unterstützer und Unterstützerinnen vor Ort gab. Zudem enttäuscht mich, dass es uns wohl nicht gelingen wird, die Rolle des Verfassungsschutzes zu durchleuchten – auch weil hierfür die Unterstützung der Generalbundesanwaltschaft fehlt.

Warum?

Nun, die konzentrieren sich auf die Straftatbestände, die in der Anklageschrift stehen. Und die basiert auf der Idee, dass der „Nationalsozialistische Untergrund“ als Organisation nur aus drei Mitgliedern bestand, nämlich Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, und nur fünf Unterstützer hatten, nämlich die, die mit im Prozess sitzen. Dabei ist ihr Netzwerk natürlich deutlich größer.

Wofür ist die NSU-Nebenklage besonders wichtig?

Für uns geht es an erster Stelle um Aufklärung – genau, wie sie Bundeskanzlerin Angela Merkel  in ihrer Rede auf der zentralen Trauerfeier für die Opfer des NSU im Konzerthaus am Gendarmenmarkt versprochen hat! Es geht um die Fragen: Warum mussten die Opfer sterben? Wer half den Tätern und Täterinnen? Ich möchte mit dem Gefühl aus dem Prozess gehen können:  der Staat hat sein Möglichstes getan, um diese Verbrechen aufzuklären.

Dafür ist es gut, dass es die Nebenklage gibt, denn wir stellen im Prozess Fragen, die sonst nicht gestellt würden – Fragen nach dem Umfeld, nach der ideologischen Einbettung, dem Rassismus  auch in den polizeilichen Ermittlungsmethoden. Diese Fragen werden zwar regelmäßig von der Generalbundesanwaltschaft beanstandet, weil sie nichts zur Sache täten, aber wir sehen das anders. Deshalb stellen wir offenere, weitergehende Beweisanträge. Um Ihnen ein Beispiel zu geben: Wenn ein Verfassungsschutzbeamter im Internetcafé in Kassel sitzt, wo Halit Yozgat erschossen wird, finden wir es wichtig, dass die Akten über diesen V-Mann in den Prozess einfließen. Das ist für die Aufklärung des Umfeldes dieses Mordfalles doch ausgesprochen wichtig.  Zum Glück lässt der Richter diese Fragen auch oft zu.

Was könnte der Richter besser machen?

Um das klar zu stellen: Ich vertraue in dieses Gericht und in diese Richter. Er orientiert sich im bisherigen Prozessverlauf nur häufig an der Generalbundesanwaltschaft. Ich würde mir natürlich wünschen, dass er sich öfter einmal die Argumente der Nebenklage zu eigen machte. Die Freiheit dazu hat er natürlich. Viel mehr ärgere ich mich, dass schon in der Ermittlungsarbeit viele Fehler gemacht worden sind. Und das ist jetzt nicht mehr zu heilen. Am Donnerstag ging es etwa um den Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter. Da haben die Ermittler ganz elementare Hausarbeiten nicht gemacht. Während bei den türkischen Mordopfern das Privatleben komplett durchleuchtet wurde, Ermittler sogar bis nach Kurdistan gefahren sind, um mutmaßliche Verbindungen und Hinweise zu ermitteln, hat man es im Fall Kiesewetter versäumt, sich den privaten Yahoo-E-Mail-Account anzusehen. Der ist nach einer gewissen Zeit der Inaktivität, wie es üblich ist, natürlich gelöscht worden. Dabei wäre der möglicherweise sehr interessant gewesen. Durch solche Ermittlungsfehler wird der Mord an Michele Kiesewetter wahrscheinlich ein vollkommenes Rätsel bleiben. Dazu kommt die Frage: Sind das wirklich alles „Pannen“? Wenn im Jahr 2011 noch massenweise Ermittlungsakten geschreddert werden, kann ich nicht an eine „Panne“ glauben. Als Nebenklage versuchen wir, diese Fragen auch in den Prozess einfließen zu lassen. Dabei ist es frustrierend zu sehen, dass es in den NSU-Untersuchungsausschüssen oft hieß und heißt: „Diese Frage gehört nicht in den Untersuchungsausschuss, sondern in den Gerichtssaal!“ Und hier im Gericht heißt es stattdessen: „Diese Frage gehört nicht hierher, sondern in den Untersuchungsausschuss.“ Viele Fragen werden so nicht beantwortet. Das versuchen wir als Nebenklage so weit wie möglich zu verhindern.

Was wünschen Sie sich vom Prozess?

So viel Aufklärung wie möglich. So viel Wahrheit wie möglich. Ich bin nicht naiv, ich weiß, dass wir die Wahrheit vermutlich nicht erfahren werden, aber wir müssen doch versuchen, uns ihr so weit wie möglich anzunähern. Ich möchte auch, dass aus dem Gerichtssaal ein politisches Signal gesendet wird: Wir dürfen die Menschenfeindlichkeiten in der Gesellschaft nicht als gegeben hinnehmen! Es ist unserer Aufgabe, sie aktiv zu bekämpfen. Und für meine Mandanten und Mandantinnen wünsche ich mir, dass das Urteil ihnen ein wenig Frieden bringt. Wissen Sie, mit den Schüssen wurden ja nicht nur die Leben derjenigen zerstört, die gestorben sind, sondern auch das ihrer Angehörigen. Ich hoffe, dass ein Urteil vielleicht eine heilende Wirkung für sie hat. Und  dafür ist nicht so wichtig, wie viele Jahre die Angeklagten bekommen. Vielmehr bietet so ein Verfahren ja auch die Chance, ihre Taten und Ideologie zu reflektieren und darauf basierend ihre Schuld anzuerkennen und zu versuchen, sie abzutragen.

Sehen Sie die Chance, dass es dazu kommt?

Nehmen Sie etwa den Angeklagten Carsten S., der sitzt mit schreckgeweiteten Augen im Gerichtssaal, wenn all die Morddetails verhandelt werden, und da kann man sehen, es tut sich etwas in seinem Kopf. Das sind keine Monster, die da im Gerichtssaal sitzen, es sind Menschen. Da gebe ich die Hoffnung nie auf.

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