Eine Kolumne von Anetta Kahane
Manchmal habe ich den Eindruck, der Erfolg der Rechtspopulisten wird gern ins Feld geführt, um ungeklärte Probleme der Gesellschaft und des Staates zu adressieren. Rechtspopulismus? Damit, so scheint’s, kann man alle Konflikte auf den Tisch packen und behaupten, sie wären die Ursache des Übels. Ich finde jedoch, wir sollten es andersrum betrachten: In dieser heftigen Zeit liegen längst alle Probleme auf dem Tisch. Es ist einfach so, ob nun mit oder ohne die AfD. Sie liegen da. Also lasst sie uns betrachten! Lasst uns darüber reden und überlegen, auf welche der Fragen wir eine Antwort finden und welche jetzt nun mal zu unserem Leben in einer modernen, globalisierten Demokratie einfach dazugehören. Ich finde es gut, dass viele Dinge jetzt sichtbar sind. Unsichtbarkeit schützt, wie wir wissen, nicht davor, dass das entsprechende Problem verschwindet. Wir rempeln nur dauernd dagegen und wundern uns dann, was so schmerzlich daran ist.Es hat immer diese 20% rechtsaffine Einstellungen in der Bevölkerung gegeben. Jetzt sehen wir sie klar und deutlich. Es gab schon immer Rassismus. Jetzt springt er uns an. Es gab schon immer Konflikte in der Einwanderungsgesellschaft. Jetzt sprechen wir darüber. Das Gleiche gilt für Diskriminierung unterschiedlichster Art. Es gab sie immer, früher sogar noch heftiger, noch viel mehr als Teil der Normalität. Nur war es kein Thema. Das bedeutet logischerweise nicht, dass deshalb früher alles besser war. Im Gegenteil. Die Gesellschaft ist ohne Zweifel offener geworden, die rechtlichen Voraussetzungen besser, die Stimmung liberaler. Gleichwertigkeit der Lebensstile gehört zum Selbstverständnis der Gesellschaft. Und die Unterschiede der Herkunft ebenso. Noch sind diese Aussichten und Hoffnungen keineswegs erfüllt, wir arbeiten ja alle hart daran, doch es hat sich entwickelt! Oder will jemand ernsthaft zurück in frühere Jahrzehnte mit all den mehr oder wenig verdrucksten Diskriminierungen von allem, was nicht „gesund“, heterosexuell, männlich, weiß und im wehrfähigen Alter war? Wer das heute will, wird vermutlich sehr nah an AfD & Co. sein.Und da kommen wir der Sache schon näher. Die Negation der Menschenfeindlichkeit ist Gleichwertigkeit. Gleichwertigkeit zu erreichen, darin sehen wir in der Amadeu Antonio Stiftung unsere Aufgabe. Was das aber in einer diversen Gesellschaft bedeutet, ist viel komplizierter als die Formeln, nach denen bisher gearbeitet wurde. In einer offenen, diversen Gesellschaft kann jede Person gleichzeitig Gegenstand möglicher Abwertung wie auch selbst abwertend gegen andere sein. Die Werte des Grundgesetzes und der Aufklärung, auf dem es beruht, müssen für jeden gelten, und allen gebührt der Schutz vor Abwertung. Da wir nicht mehr in den früheren Jahrzehnten mit ihrem Norm-Mann leben, gelten die Werte kreuz und quer. „Biodeutschen“ ihren Rassismus vorzuhalten ist eben nur ein Schritt. Abwertungen kommen heute von allen Seiten. Frauenfeindlichkeit, Antisemitismus, antimuslimischer und einfacher Rassismus, Homo- und Trans*phobie kommen überall vor: bei Frauen, Juden, Migranten, Muslimen, Homo- und Trans*Personen. Was nützt schon ein Jugendclub ohne Rassismus, wenn dort Juden mit dem Tode bedroht werden? Und was ein tolles Trans*projekt, wenn dort Schwarze gedisst werden? Was sollen Anti-Rechts-Projekte, wenn sich die Leute da einig sind, unter keinen Umständen mit Unternehmen zusammenzuarbeiten. Solches Segmentieren müssen wir überwinden. Gleichwertigkeit, Menschenrechte, Universalismus – das sind die Antworten auf die Menschenfeindlichkeit der AfD und ihrer Umfelder.Das wird sicher spannend, kontrovers und braucht auch für uns viele Debatten. Denn wie in aller Welt sollen wir gegen Rechtspopulismus vorgehen, wenn wir uns unserer eigenen Haltungen nicht bewusst sind?! Dafür sind Debatten da. Dafür liegen die Fragen auf dem Tisch. Lasst sie uns diskutieren!
Herzliche Grüße,Ihre Anetta Kahane