Die Gothic-Szene entwickelte sich in den 1980er Jahren aus der Punkbewegung und verstand sich bereits damals eher als unpolitische Gegenströmung. Im Vordergrund steht ein individuelles Lebensgefühl, transportiert durch Musik und Kleidung, welches von Leuten außerhalb der Szene meist kaum verstanden wird. Das Gefühl, Teil einer kleinen und missverstanden Avantgarde zu sein, gehört zur Gothic-Kultur ? und bietet eine gute Angriffsfläche für rechtsextreme Anschlussversuche.
So kann seit mehreren Jahren auf dem Wave-Gotik-Treffen (WGT) in Leipzig, einem der größten Veranstaltungen der Szene, der einschlägig als rechtsextrem bekannte Produktanbieter „Verlag und Agentur Werner Symanek“ (VAWS) Merchandise-Artikel verkaufen. Trotz vielfacher Proteste von Szenefans kam es allerdings nie zu einem endgültigen Festivalausschluss. Eine weitere Firma, die auf dem WGT neben CDs vorwiegend neuheidnischer Bands auch T-Shirts mit dem „Schwarze Sonne“-Motiv, aber auch Bücher aus dem einschlägig bekannten „Grabert-Verlag“ verkauft, ist „Viking Blood“, berichten Christian Dornbusch und Jan Raabe, Buchautoren und Kenner der Rechtsrock-Szene, die u.a. die Streitschrift „Ästhetische Mobilmachung: Dark Wave, Neofolk und Industrial im Spannungsfeld rechter Ideologien“ verfassten. Kritische Anfragen von Bands und Fans an die Veranstalter bezüglich solcher Verkäufer, kommentiert der Veranstalter im Interview mit dem Musikmagazin „Pentanox“ nur unzureichend: „Wir wollen keine Politik beim WGT, in welcher Richtung auch immer.“
Keine Politik – das funktioniert nicht
Doch nicht nur die Duldung von rechtsextremen Verkäufern auf dem Festival zeigt, dass eine solche politische Neutralität nicht hundertprozentig durchgesetzt wird. Auf der Eintrittskarte des Jahres 2009, der sogenannten „Obsorgekarte“, wurde die „Schwarze Sonne“ abgebildet. Das Symbol ist zwar in Deutschland nicht verboten, jedoch eindeutig nationalsozialistisch konnotiert. Zwar wurde die Verwendung in vielen szeneinternen Foren kritisch bewertet, jedoch als kleines Missgeschick toleriert. So schreibt eine Bloggerin: „Dass es überbewertet wird, das mag sein. Dass et einfach nen … Fehlgriff war habe ich eigentlich auch vermutet, wäre ja auch kein Ding – … passiert. Warum kann man das aber dann nicht als solchen anmerken?! Ich glaube, dann wären auch die Reaktionen nimmer so krass.“
Nur ein Fetisch unter vielen?
Durch dieses unpolitische Selbstverständnis fällt es Neonazis leicht, die Szene für ihre rechtsextreme Propaganda zu instrumentalisieren. Dornbusch und Raabe beschreiben: „In der Darkwave-Szene leben viele Fans nicht nur ihre Begeisterung für Bands oder Musiker aus, sondern auch ihre Fetische und sexuellen Präferenzen, was stets Toleranz voraussetzt. Und die endet dann nicht unbedingt bei Menschen, die in einer der Wehrmacht oder Waffen-SS ähnlichen Uniform auftauchen, da dies zum Teil eben auch nur als Ausleben eines bestimmten Fetisch betrachtet wird.“
Ideologisches über Musik und Fanszines
Es gibt also rechtsextreme Einflüsse auf einen Teil der Szene sind, allerdings wird diese nicht von Neonazis dominiert. Rechtes Gedankengut und Symbolik ist zumeist in der Spielart des „Neofolk“ zu beobachten. Einige Neofolk-Bands thematisieren rechtsextreme und faschistische Menschen- und Gesellschaftsmodelle, völkische Ideologien, sowie NS-Okkultismus – oder fühlen sich zumindst in einem solchen Umfeld zu Hause. Neben Bands wie „Blood Axis“, „Allerseelen“, „Der Blutharsch“ gehören vor allem die Bands „Von Thronstahl“ und „Death in June“ zu diesem Genre.
„Death in June“, deren Name sich auf den Röhm-Putsch im Juni 1934 bezieht und eine Huldigung des SA-Führers darstellt, ist eine „seit beinahe dreißig Jahren bestehende und international viel gehörte Band. Sie verbreitet weniger klare politische Botschaften als vielmehr eine zum Teil am Faschismus orientierte Ästhetik“, so Dornbusch und Raabe. Auch wenn die Band auf Festivals keinen großen Besucherkreis anlockt, so gilt sie in der Szene als Legende.
Die Band „Von Thronstahl“ hingegen, die fast ausschließlich mit dem Musiker Josef Klumb verbunden wird, verbreitet sowohl in ihrer Musik als auch mit Hilfe von Aufsätzen, die auf ihrer Homepage veröffentlicht werden, eindeutig rechtsextreme Positionen. So schreibt Klumb in seinem Aufsatz „Wahlbenachrichtigung“ über seinen Wunsch, eine nationale Diktatur in Deutschland zu errichten. In seinen Texten äußert sich Klumb ähnlich offen. Auf dem Album „Germanium Metallicum“ befinden sich Songs wie „Staatsfeind/ Heimatfreund“, „National Anarchy in the EU“ oder „Respect the Hierarchy“.
Eine positive Resonanz erhielt das Album von der „Jungen Freiheit“: „Noch nie vollführte [Klumb] einen derart wuchtigen Rundumschlag gegen sowohl persönliche Gegner als auch die Feinde Europas – mithin die Feinde der Freiheit überall auf der Welt.“
Verbreitet werden rechtsextreme Inhalte aber nicht nur durch Musik, sondern auch durch szeneinterne Magazine und Fanzines. Als „Vorzeigeprojekt“ kann die Zeitung „Sigill – Magazin für die konservative Kulturavantgarde Europas“ gesehen werden. Die Zeitung hatte in unpolitischen Szenemagazinen wie „Zillo“ immer wieder auf sich aufmerksam gemacht und wurde so in seiner Konzeption das vielleicht ernstzunehmendste rechte Blatt und ein wichtiger Anknüpfungspunkt für Rechtsextreme in der Gothic-Szene. Anfang 2000 wurde das Magazin eingestellt. Aber auch im Nachfolger-Magazin „Zweilicht“ schreiben weiterhin Autoren, die auch beim Blog der Zeitschrift „Sezession“ des „neu rechten“ „Instituts für Staatspolitik“ Texte veröffentlichen, so Dornbusch und Raabe.
Warum sich rechtsextreme Politiker beim Wave-Gothic-Treffen so wohl fühlen
Anteil an der Gothic-Szene nehmen Neonazis aber auch als einfache Gäste. Gerne besuchen Jürgen Gansel (NPD Sachsen) oder Björn Clemens (bis 2007 Mitglied bei Die Republikaner), das Wave-Gotik-Treffen. Clemens beschreibt seine Eindrücke vom WGT 2008 auf seiner Website: „Das ist eine Wohltat: einmal für vier Tage von der Gegenwart der multikulturellen Gesellschaft befreit zu sein [?] Der Zeitgeist hält hier seine Auszeit. Die Farbe schwarz präsentiert das Gegentum, gegen Mc Donalds und Dönerbuden, gegen Weltbank und one world, gegen die Reduzierung des Menschen auf den Verbraucher, gegen die Götzenreligion des Liberalkapitalismus“. Insbesondere die Tatsache, dass unter der ausnahmslos schwarzen Kleidung „nur weiße Haut“ stecke fasziniert ihn, so Dornbusch und Raabe.
Proteste unter Protest
Gegen rechtsextreme Einflussnahme auf die Gothic-Szene formierte sich in den letzten Jahren immer wieder Protest. Doch basierend auf der unpolitischen Szeneeinstellung wirkt auch dieser eher etwas unzureichend. Zwar wurde die Verwendung der ?Schwarzen Sonne? auf der ?Obsorgekarte? 2009 im Vorfeld im Internet viel kritisiert, doch außer der Drohung, künftig dem Festival den Rücken zu kehren, kamen weitere Protestaktion nicht zustande. Dies, so Dornbusch und Raabe, würde allerdings nichts daran ändern, dass weiterhin „extreme Rechte ihren Platz“ auf solchen Veranstaltungen finden. Ähnlich erging es auch der Initiative „Grufties gegen Rechts“, die sich 1998 in Bremen gründete. Die Initiative galt lange als Nestbeschmutzer, fand aber nach einiger Zeit Sympathisanten. Der Erfolg der Gruppe, so Dornbusch und Raabe, bestand vor allem darin, dass Thema Rechtsextremismus in der Szene zu sensibilisieren. Die Gruppe stellte ihre Arbeit 2003 ein.
Wenn Toleranz sich zu Kritiklosigkeit entwickelt
Doch auch wenn die Szene sich nach außen hin gegen Vereinnahmungsversuche durch rechtsextreme Vereine und Initiativen wehrt, so ist sie innerhalb der Szene eher unkritisch. Neonazistische Symboliken werden schlicht zu einem Fetisch erklärt und verharmlost. Zwar ist Toleranz begrüßenswert, sie wird allerdings da kritisch, wo sie sich in Kritiklosigkeit oder Ignoranz verwandelt. Auch wenn Neonazis Veranstaltungen wie das WGT „durch ihre ideologische Brille sehen“, sollten sich die Szenegänger schon fragen, warum auch Menschen wie Jürgen Gansel oder Björn Clemens sich zwischen ihnen wohl fühlen können. Aber vielleicht zeigt eben gerade auch das, bemerken Dornbusch und Raabe, dass rechtsextreme Einflüsse, doch mehr ein Teil der Szene sind, als diese es wahrhaben will.
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