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Österreich Ist die rassistische Bachelorarbeit eine gezielte Provokation von rechts?

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Haupteingang des Johanneums in Graz (Quelle: Georg Mittenecker, CC BY-SA 2.5)

Während Österreich am dritten Mai-Wochenende im Zuge der Enthüllungen um den FPÖ-Vizekanzler vom größten politischen Erdbeben in der Geschichte der Zweiten Republik erschüttert wurde, drohte ein ganz anders gearteter, aber nicht weniger bedenklicher Skandal unterzugehen. An der Grazer Fachhochschule Joanneum wurde bereits 2018 im Studiengang Logopädie eine Bachelorarbeit angenommen und mit der Note „sehr gut“ bewertet, die auf pseudowissenschaftlichen, offen rassistischen Theorien beruht. Der Autor ist u. a. als Autor der rechtsextremen Zeitschrift „Neue Ordnung“ bekannt (DÖW).

Dieser Skandal kam erst am 17. Mai durch erste Medienberichte ans Licht (stopptdierechten.at, Standard), zog aber rasch weite Kreise. Die betroffene Hochschule reagierte auf die Berichterstattung mit zwei Stellungnahmen und gelobte Besserung (FH Joanneum, FH Joanneum); inzwischen hat sich sogar das österreichische Wissenschaftsministerium eingeschaltet (APA-OTS). Diese Reaktion von oberster Stelle ist durchaus angemessen.

Rassismus als Grundlage einer Bachelorarbeit

Es ist ein vor pseudowissenschaftlichem Rassismus triefender Text, der da als Abschlussarbeit eingereicht wurde. Er wurde im Sommer 2018 an der FH Joanneum in Graz eingereicht. Schon der erste Satz des Vorworts, in dem der Verfasser sich als „organische Fortentwicklung all meiner Vorfahren“ bezeichnet, deutet die fragwürdige Richtung an, die über 55 Seiten Fließtext eingeschlagen wird. Wie selbstverständlich werden dort Begriffe wie „Europide“, „Negride“, „Mongolide“ und eben „Rasse“ mit ernsthaftem analytischem Anspruch verwendet – als wenn diese nicht schon seit Jahrzehnten in der Mottenkiste jeder seriösen Forschung verschwunden wären.

Bereits 1995 hat die UNESCO „nachdrücklich erklärt, dass es keinen wissenschaftlich zuverlässigen Weg gibt, die menschliche Vielfalt mit den starren Begriffen ‚rassischer‘ Kategorien […] zu charakterisieren. Es gibt keinen wissenschaftlichen Grund, den Begriff ‚Rasse‘ weiterhin zu verwenden“ (UNESCO). Der brennende Wunsch des Autors, dieses obsolete rassistische Konstrukt dennoch gegen jede Erkenntnis zu analytischen Zwecken benutzen zu dürfen, ist deutlich spürbar – etwa, wenn er energisch kundtut, dass es „in jedem Fall […] nicht plausibel [ist], dass die Genetik keine Grundlage für Rassenklassifikationen“ bieten soll. Diese trotzige These lässt er einfach so stehen, ohne sie irgendwie zu untermauern; stattdessen unterstellt er, die Gegenposition bestünde darin, „vom Menschen als monolithische Einheit (Menschheit) auszugehen, die sich nicht unterteilen lasse“ – was genauso wenig der Realität entspricht.

Mit einer erstaunlichen Ignoranz gegenüber den humanwissenschaftlichen Erkenntnissen der vergangenen Jahrzehnte – wichtige Standardwerke der jüngeren Zeit werden nicht erwähnt, dafür auffallend oft Literatur der 1950er Jahre – wird die Behauptung aufgestellt, die moderne Forschung würde die „Großrassenkreise“, von denen die Anthropologie des 20. Jahrhunderts ausging, im Wesentlichen bestätigen, weshalb „voller Überzeugung von Rasse gesprochen werden“ könne. Auf der Grundlage dieser herbeigeschriebenen Überzeugung untersucht der Verfasser „die innerartliche Variation des menschlichen Vokaltrakts und der Stimme“ – so der Titel der Arbeit – und behauptet, dass diese „rassische“ Variation von „klinischer Relevanz“ für logopädische Zugänge sei (ohne diesen entscheidenden Punkt aber irgendwo zu konkretisieren, wie stopptdierechten.at berichtet).

Was Experten dazu sagen

Seltsamerweise rief dieser höchst fragwürdige Text erst sehr spät, zu spät Skepsis hervor. Erst unmittelbar nachdem der Autor seinen Bachelorabschluss bereits erhalten hatte, wurde die Leitungsebene der FH Joanneum im Juli 2018 von einem Mitglied der Prüfungskommission auf den fragwürdigen Inhalt dieser Bachelorarbeit aufmerksam gemacht. Es wurde daraufhin das Dokumentationszentrum des österreichischen Widerstands (DÖW) konsultiert und um eine Einschätzung zu dieser Sache gebeten: Der wissenschaftliche Leiter des DÖW, Dr. Gerhard Baumgartner, verwies darauf, dass der Autor „in verschiedenen sehr weit rechts angesiedelten Organen keine unbekannte Figur“ sei, und zeigte sich erstaunt, dass „diese eigentlich skandalöse Arbeit“ überhaupt angenommen wurde.

Ergänzt wurde diese Antwort Baumgartners um eine inhaltliche Analyse, die vom Historiker und NS-Experten Dr. Peter Schwarz verfasst und anlässlich des verspäteten öffentlichen Interesses am 27. Mai 2019 veröffentlicht wurde (DÖW). Schwarz bescheinigt dem Autor der Bachelorarbeit „einen stark ausgeprägten Hang zu einer biologistischen Form des Denkens“ sowie „methodologische und wissenschaftstheoretische Defizite […]. Seine grundlegende Schlussfolgerung kommt über das Niveau einander widersprechender Hypothesen nicht hinaus, denen eine naturwissenschaftlich-empirische Untermauerung sowie Beweisführung abgeht.“

Die Analyse kommt zu dem Schluss, dass es sich bei dieser Bachelorarbeit offensichtlich um den Versuch handelt, „pseudowissenschaftliche rassistische Untersuchungen wieder zu rehabilitieren. Mit derselben ‚Legitimität‘ bzw. Begründung könnten genauso gut Untersuchungen zu Ohr- beziehungsweise Nasenformen oder Genitalgrößen nach ‚Rassengesichtspunkten‘ durchgeführt werden.“ Damit fuße die Arbeit letztlich auf pseudowissenschaftlichen Rassentheorien in NS-Tradition.

Konsequenzen bleiben zunächst aus

Trotz dieser sehr eindeutigen Einschätzung, die die wissenschaftliche wie auch ethische Fragwürdigkeit hervorheben, wurden damals (Juli 2018) bis auf die sofortige Beendigung der Kooperation mit dem externen Gutachter aus Leipzig keine weiteren Konsequenzen gezogen. Gegenüber dem SPIEGEL erklärt sich Andreas Peham, ein bekannter Mitarbeiter des DÖW, die damalige Zurückhaltung damit, dass die Fachhochschule wohl den „jahrelangen Rechtsstreit“ gescheut hat, den der Versuch einer juristischen Aberkennung des Bachelortitels nach sich gezogen hätte.

Diese Aussicht auf langwierige und kostspielige Rechtsstreitigkeiten hat die FH Joanneum wohl auch dazu bewogen, über diese Angelegenheit den Mantel des Schweigens zu legen. Die „stille Akzeptanz der Arbeit“ sei einem Rechtsstreit vorzuziehen, wie die Leitung der FH in einer Antwortmail an das DÖW ausführt (Standard). Als Entschuldigung für dieses Zurückstecken wird immer wieder angeführt, dass man keine rechtliche Handhabe habe, die bereits approbierte Abschlussarbeit abzuerkennen. Sie sei zwar ethisch und wissenschaftlich fragwürdig, bewege sich aber noch im Rahmen des strafrechtlich Zulässigen.

Zu diesem Schluss kam das DÖW, das der FH, laut deren Darstellung, empfohlen habe, „von weiteren Konsequenzen gegenüber dem Studierenden abzusehen“ (FH Joanneum). Andreas Peham widerspricht dieser Darstellung gegenüber dem SPIEGEL, relativiert zugleich aber die Zurückhaltung der FH: Für ihn liege der eigentliche Skandal darin, dass diese offenkundig rassistische Bachelorarbeit überhaupt angenommen worden sei. Auch Gerhard Baumgartner betonte bereits in seiner Einschätzung vom Juli 2018, dass den Betreuer*innen und Gutachter*innen „die gesamte Verantwortung“ für diese akademische Misere zukomme.

Wie konnte es so weit kommen?

Wie konnte es aber dazu kommen, dass eine Abschlussarbeit, die auf offen rassistischen Prämissen fußt und auch fachwissenschaftlich fragwürdig ist, überhaupt angenommen und auch noch mit „sehr gut“ bewertet wurde? Um diese Frage zu beantworten, ist ein Blick auf den Entstehungszusammenhang hilfreich.

Bei dem Autor der Bachelorarbeit handelt es sich um den Linguisten Thorsten Seifter, der an der Karl-Franzens-Universität Graz Sprachwissenschaft studiert und dieses Studium 2014 mit dem Master abgeschlossen hat. Nach seinem Studienabschluss verblieb er allem Anschein nach in Graz und publizierte als „Independent Researcher“ zu sprachwissenschaftlichen Themen, u. a. gemeinsam mit dem angesehenen Linguisten Ralf Vollmann, der an jenem Uni-Institut forscht und lehrt, an dem Seifter selbst studiert hat. Die hier im Mittelpunkt des Interesses stehende Bachelorarbeit entstand also lange nach Seifters Studienabschluss an der Uni Graz, im Rahmen eines Zweitstudiums im Fach Logopädie an der FH Joanneum.

Gutachtertätigkeit unter dubiosen Umständen

Eine wichtige Rolle in dieser Affäre spielt offensichtlich der Erstgutachter, dessen Bewertung der Arbeit mit „sehr gut“ maßgeblich war und der gegenüber der FH Joanneum keine Einwände geltend gemacht hat. Interessant sind an dieser Personalie insbesondere zwei Dinge: Dieser externe Gutachter, der am Max-Planck-Institut (MPI) in Leipzig forscht, informierte weder seine direkten Vorgesetzten noch die Institutsleitung über seine Gutachtertätigkeit, wie das MPI in seiner Stellungnahme vom 23. Mai klarstellt (vgl. stopptdierechten.at); und wie Seifter absolvierte er sein Studium am Institut für Sprachwissenschaft der Uni Graz, jedoch nicht vor diesem, wie man meinen würde. Tatsächlich hat er erst 2016 seinen Master gemacht, bevor er im Anschluss daran am selben Institut seine Promotion begann, die er seit 2018 in Leipzig fortsetzt.

Das bedeutet: Ein in der Sprachwissenschaft forschender Absolvent der Uni Graz (Master 2014) lässt seine Bachelorarbeit, die er im Rahmen eines Zweitstudium an einer anderen Grazer Hochschule schreibt, von einem Doktoranden begutachten, der seinen eigenen Master erst zwei Jahre später am selben Institut gemacht hat. Das ist an sich schon ein seltsamer Vorgang, erwartet man von einem Gutachter doch zumindest einen gewissen Vorsprung hinsichtlich Lebenserfahrung und akademischer Qualifikation.

Da der Erstgutachter bereits seit 2013 an der Grazer Uni eingeschrieben war, er und Seifter sich also über mehrere Jahre hinweg im akademischen Umfeld desselben Grazer Instituts bewegten, muss man außerdem davon ausgehen, dass sich beide mehr als nur flüchtig kennen. Diese jenseits aller Rassismus-Vorwürfe an sich schon fragwürdigen Umstände dieser Gutachtertätigkeit lassen den Verdacht aufkommen, dass es sich dabei um ein Gefälligkeitsgutachten handeln könnte.

Möglicherweise sollte mithilfe eines sehr vorteilhaften Gefälligkeitsgutachtens eine wissenschaftlich und ethisch problematische Bachelorarbeit durchgewunken werden. Das ist offensichtlich geglückt; und wäre ein externes Mitglied der Prüfungskommission, vor der Seifter im Juli 2018 seine mündliche Bachelorprüfung ablegte, nicht auf den rassistischen und pseudowissenschaftlichen Charakter dieser Arbeit aufmerksam geworden, hätte wohl niemand außerhalb der FH Joanneum jemals davon Notiz genommen (Standard, SPON).

„Gezielte Provokation“ von rechts

Der österreichische NS-Experte Peter Schwarz, der die hier bereits zitierte Analyse des DÖW erstellt hat, äußert eine interessante Vermutung: Er mutmaßt, dass es sich bei Seifters Bachelorarbeit „möglicherweise […]  sogar um eine gezielte Provokation“ handeln könnte, die auf die „modern verbrämte Wiederbelebung alter rassistischer Kriterien“ abzielt. Dieser Verdacht ist aufgrund des ideologischen Charakters dieser unseriösen Arbeit absolut gerechtfertigt.

Auf eine politische Stoßrichtung deuten etwa polemische Kommentare in den Fußnoten hin, mit denen beispielsweise ähnlich rassistisch argumentierende Forscher und Publizisten vor „empörender Kritik“ und „unethischer Polemik“ verteidigt werden –völlig deplatzierte ideologische Kommentare, die nicht das Geringste zum eigentlichen Thema beitragen. Auch dass in dieser Apologie pseudowissenschaftlicher „Rassenforschung“ mit keinem Wort das millionenfache menschliche Leid erwähnt wird, zu dem diese Art rassistischer „Forschung“ gerade in Österreich und Deutschland geführt hat, spricht für diesen Verdacht.

Furcht vor rechtsextremen Netzwerken?

Es geht dem in einschlägigen rechtsextremen Kreisen bekannten Autor also vermutlich darum, völkisch-rassistisches Denken im wissenschaftlichen Diskurs (wieder) einzuführen. Er inszeniert sich gewissermaßen als einen akademischen Freiheitskämpfer, der gegen die (Selbst)Zensur des Wissenschaftsbetriebs ankämpfen würde und spricht in diesem Zusammenhang auch von der „politischen Korrektheit.“ Das entspricht ziemlich genau dem „metapolitischen“ Kurs der „Neuen Rechten“, die völkisch-rassistische Ideologien durch ihre Etablierung im vorpolitischen Raum zu normalisieren versucht. Die Opferpose ist dafür ein beliebtes Mittel.

Bei diesem „metapolitischen“ Vorhaben in der akademischen Sphäre konnte sich Seifter möglicherweise gesellschaftlicher Rückendeckung sicher sein. Nachdem das DÖW im Juli 2018 gegenüber der FH Joanneum seine Einschätzung abgegeben hatte, ließ deren Leitungsebene die Experten des DÖW wissen, dass es noch einen weiteren Grund gebe, eine „stille Akzeptanz der Arbeit“ zu bevorzugen: Man vermute, dass der Autor „über ein gutes Netzwerk in juristische wie mediale Richtung“ verfüge, dass er gegen die FH mobilisieren könnte (Standard).

Sollte ein faschistisch gesinnter Akademiker tatsächlich so gut in die höheren gesellschaftlichen Kreise von Graz vernetzt sein, dass eine Hochschule mögliche Konsequenzen fürchtet, ist das wesentlich beunruhigender, als es eine rassistische Bachelorarbeit allein jemals sein könnte.

Das Bild wurde mit der Lizenz CC BY-SA 2.5 veröffentlicht.

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