Zum ersten Mal in der Geschichte der Alpenrepublik zieht die FPÖ mit 29,2 Prozent als stärkste Kraft ins österreichische Parlament ein. Schon mehrmals haben die Rechtsextremen mitregiert, doch diesmal schließen alle Parteien eine Regierungsbeteiligung der FPÖ aus. Ob es bei diesen Versprechen bleibt, sehen Beobachter*innen kritisch.
Zu ihnen zählt Veronika Bohrn Mena, sie ist Gründerin von COMÚN, einer Stiftung, die sich in Österreich für Demokratie einsetzt, Projekte und Einzelpersonen fördert und unterstützt, wenn Menschen von Rechtsextremen bedroht und eingeschüchtert werden. Zum Beispiel mit „Gegenrechtsschutz“. Seit September läuft die Veranstaltungsreihe „Umkämpfte Demokratie“ der Stiftung. Mit Belltower.News spricht Veronika Bohrn Mena über normalisierten Rechtsextremismus, eine gefährlich bedrohte Zivilgesellschaft und was Deutschland für den Umgang mit der AfD noch lernen muss.
Belltower.News: Welche Auswirkungen hatten die letzten Jahre und vor allem die letzte schwarz-blaue Koalition auf Österreich?
Veronika Bohrn Mena: Es hat Verschlechterungen in der Sozialpolitik gegeben. Das heißt, es wurden Sozialleistungen, Beihilfen, Versicherungsleistungen gekürzt, von Arbeitslosengeld über Mindestsicherung, Notstandshilfe und so weiter. Das andere ist unsere Sozialversicherung, die politisch umgefärbt wurde. In Österreich haben wir ja eine Pflichtversicherung für alle, nicht so wie in Deutschland, wo es mehrere Krankenkassen gibt, sondern wir haben eben nur eine. Die war vorher selbstverwaltet, durch die Gewerkschaften und die Arbeiterkammer, also quasi durch die Beschäftigten. Die FPÖ hat das so umgebaut, dass jetzt die Arbeitgeber*innen über die Versicherungsgelder der Arbeitnehmer*innen bestimmen. Dieser Umbau hat über eine Milliarde Euro gekostet und gleichzeitig dafür gesorgt, dass die Versicherungsleistungen schlechter geworden sind. Das heißt, man wartet jetzt teilweise bis zu zwei Jahre auf Operations- oder Arzttermine. Es gibt viel weniger Ärzt*innen und die medizinische Versorgung ist wesentlich schlechter geworden.
Und was hat die FPÖ-Regierungsbeteiligung für die Zivilgesellschaft bedeutet?
Die FPÖ hat massiv Mittel gekürzt bei ihnen unliebsamen Institutionen wie dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands, aber auch für viele Frauenhäuser und Organisationen, die sich für Frauenrechte oder Minderheitenrechte einsetzen. Es wurden erheblich finanzielle Mittel und Unterstützungsleistungen von staatlicher Seite gekürzt.
Das Innenministerium war FPÖ-geführt. Welche Auswirkungen hatte das?
Unter dem damaligen Innenminister Herbert Kickl wurden laufend neue Polizisten und Polizistinnen angeworben. Dafür wurde speziell in rechtsextremen Magazinen inseriert und damit haben sie es natürlich geschafft, die Polizei zu unterwandern. Das hat Auswirkungen auf Demonstrationen. Wenn Identitäre in Österreich demonstrieren, dann werden sie von der Polizei hofiert. Wenn Linke auf die Straße gehen oder Klimaschützer*innen, dann werden die sofort mit Pfefferspray niedergesprüht, eingekesselt und angezeigt.
Der Innenminister hat eine Hausdurchsuchung beim eigenen Verfassungsschutz angeordnet, bei der sämtliche Daten über die zu Überwachenden abhandengekommen sind. Alle Informationen über Rechtsextreme wie Martin Sellner und Co. Die ganzen Infos sind dann wiederum bei den Rechtsextremen gelandet. Und auch die Informationen über vermeintliche Linksextremist*innen. Dieser massive Datenverlust ist der Grund, warum deutsche Geheimdienste und Geheimdienste anderer Länder nicht mehr mit dem österreichischen Verfassungsschutz arbeiten wollen.
Wo macht sich der FPÖ-Einfluss noch bemerkbar?
Zum Beispiel in der öffentlichen Verwaltung: Ganz viele Posten wurden bewusst an die eigenen Leute vergeben. Dazu muss man sagen: Die FPÖ rekrutiert ihr Personal vorwiegend aus schlagenden Burschenschaften, das heißt nicht einigermaßen katholisch-konservative Studentenverbindungen, sondern wirklich rechtsextreme, die wiederum eng mit den Identitären verbunden sind. Ohnehin sind die Identitären und die freiheitliche Jugend, also die Jugendorganisation der FPÖ praktisch deckungsgleich. Sowohl inhaltlich, als auch personell.
Das heißt, die FPÖ hat das Land in kurzer Zeit nachhaltig verändert. Das konnte auch mit der grünen Regierungsbeteiligung nicht rückgängig gemacht werden?
Bei den Geldern für die Vereine und Initiativen wurde unter den Grünen wieder ein bisschen mehr ausgezahlt, aber viele Veränderungen sind dauerhafter Natur. Ich befürchte, dass es Jahrzehnte brauchen wird, bis wir wieder auf das vorherige Niveau zurückkommen. Insbesondere dann, wenn wir jetzt schon wieder eine blau-schwarze Regierung bekommen. Ich glaube nämlich nicht, dass wir eine große Koalition bekommen, die viele hoffnungsfroh erwarten.
Sie glauben nicht den Versprechungen der ÖVP vom Wahlabend, dass sie nicht mehr mit der FPÖ koalieren werden?
Die ÖVP hat das schon oft versprochen und hat dann doch eine Regierung mit den Rechtsextremen gebildet. Zum Beispiel 2023 in Salzburg. Auch bei den Wahlen in Niederösterreich 2023 haben sie auf keinen Fall mit der FPÖ gesagt und dann aber wieder mit ihnen koaliert. Erfahrungsgemäß sagen sie bis zum Wahltag nein, dann wird nach der Wahl ein bisschen herum verhandelt, es stellt sich leider heraus, dass die SPÖ nicht entgegenkommend genug war und dann versuchen sie es wieder mit den Freiheitlichen. Das ist das eine und das andere ist, dass die FPÖ ihr gesamtes Wirtschaftsprogramm zu 100 Prozent dem der ÖVP angepasst hat und die ÖVP sich wiederum in ihren gesellschaftspolitischen Positionen, insbesondere natürlich, wenn es um Migration geht, aber auch bei Gesellschaftspolitik im Sinne von geschlechtergerechter Sprache oder frühkindlicher Pädagogik, Homosexuellenrechte, sehr stark an die FPÖ angepasst hat. Dementsprechend sind die Programme dieser beiden Parteien inzwischen in Teilen nahezu deckungsgleich!
Was bedeutet das Wahlergebnis für Ihre Arbeit und die Zivilgesellschaft in Österreich, vor allem wenn es tatsächlich zu einer neuen schwarz-blauen Koalition kommt?
Das Ergebnis ist bedrohlich, weil sich die FPÖ in den letzten fünf Jahren noch einmal weiter radikalisiert hat. Die FPÖ setzt inzwischen ganz stark auf Remigration – also massenhafte Deportationen – und tut nicht mal mehr so, als würde sie sich vom rechtsextremen Rand irgendwie abgrenzen, sondern ganz im Gegenteil. Parteikader bezeichnen die rechtsextremen Identitären zum Beispiel als patriotische NGO und attestieren ihnen gute Arbeit. Bei der Wahlparty der FPÖ waren mehrere Identitäre zu Gast, die neben Kickl standen und für die Kameras das White-Power-Zeichen gemacht haben. Am Freitag vor der Wahl wurde in Wien ein „alter Herr“ einer Burschenschaft beerdigt. An der Beerdigung nahmen mehrere Burschenschafter teil und auch FPÖ-Leute, die auf vielversprechenden Plätzen der Wiener Wahlliste standen und jetzt auch in den Nationalrat einziehen werden. Die haben dort das SS-Treuelied gesungen. Distanziert davon hat sich niemand. Stattdessen wurden die Journalist*innen, die vor Ort gefilmt und dokumentiert haben, der Störung der Totenruhe bezichtigt. Diese Partei hat trotzdem 29 Prozent der Stimmen erhalten.
Mit Blick auf die Erfahrungen aus Österreich. Was raten Sie Deutschland für den Umgang mit der AfD?
Ich möchte eines unbedingt betonen: Man kann eine rechtsextreme Partei nicht dadurch entzaubern, dass man sie regieren lässt. Sondern man normalisiert sie und macht sie salonfähig. Das haben wir in Österreich sehr, sehr schmerzhaft gelernt. Ab dem Zeitpunkt, wo eine rechtsextreme Partei einmal in der Regierung sitzt und mit einer konservativen Partei gemeinsam Politik macht und man so tut, als ob es eine Partei wäre, wie alle anderen auch, brechen alle Dämme. Nachdem die FPÖ 1989, damals unter Jörg Haider, in Kärnten regiert hat, war die Hemmschwelle, die zu wählen, auf einmal nicht mehr da. Und ich warne davor, ihre Sprachbilder zu übernehmen. Das heißt, wenn die FPÖ oder die AfD von Remigration sprechen, darf man nicht einfach diese Wörter wiederholen und verwenden, als ob es normale Begrifflichkeiten wären. Stattdessen müssen sie als rechtsextreme Kampfbegriffe eingeordnet und erklärt werden. Das ist leider über Jahre in Österreich nicht passiert und dadurch haben sich diese Begriffe auch normalisiert.
Ich versuche so ein Gespräch eigentlich immer positiv enden zu lassen. Aber ehrlich gesagt fällt mir das nach Ihren Einschätzungen schwer. Haben Sie noch Hoffnung für die Demokratie und die offene Gesellschaft in Österreich?
Ich hoffe vor allem, dass Reaktionen aus dem Ausland dazu führen, dass wir ein bisschen wachgerüttelt werden. Ich wünsche mir, dass österreichische Journalisten und Journalistinnen so berichten, wie im Ausland berichtet wird, dass die Sensibilität der Medien im eigenen Land steigt. Und auch die der anderen Parteien im eigenen Land. Und ich hoffe, dass so auf die ÖVP eingewirkt wird. Und ansonsten hoffe ich sehr, dass Deutschland nicht den gleichen Fehler macht wie wir. Das hätte für Europa ganz andere Auswirkungen, als wenn das im kleinen Österreich passiert.
Sie werden mit ihrer Arbeit jedenfalls weitermachen?
Jetzt erst recht. Wir werden permanent dokumentieren, was da passiert und das aufzeigen und klar benennen, damit zumindest niemand sagen kann, man hätte es nicht gewusst oder man hätte es nicht bemerkt. Wir werden selbst klar sagen was ist, aber auch andere unterstützen, die das tun. Sei es mit juristischem Beistand oder finanziell, wenn es notwendig ist.