
Hunderttausende Menschen demonstrieren derzeit in Deutschland gegen den wachsenden Einfluss von Rechtsextremen. Sie protestieren gegen die AfD und gegen eine Politik, die bereit ist, mit dieser Partei auch nur punktuell zusammenzuarbeiten und sie so aufzuwerten. Doch während sich die Zivilgesellschaft klar gegen demokratiefeindliche Kräfte positioniert, läuft eine orchestrierte Gegenkampagne, die das Engagement gegen Rechtsextremismus als illegitim darzustellen versucht.
Die Eskalationsspirale dieser Kampagne ist bezeichnend
Zuerst griff das rechtspopulistische Portal „Nius“ das Thema auf und behauptete, die Bundesregierung würde Proteste gegen die Opposition mitfinanzieren. Dann übernahm BILD das Narrativ, präsentierte es einem Millionenpublikum und unterfütterte es mit irreführenden Einzelbeispielen. Schließlich übernahm ausgerechnet, die sich noch als seriös rühmende „Welt“ das Narrativ und sprach von einem „Deep State“ der NGOs, der gebrochen werden müssten – eine Rhetorik, die direkt aus dem Handbuch autoritärer Bewegungen stammt.
Wenige Tage später griff Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg diese Argumentation auf und forderte, Förderprogramme für Demokratieprojekte „scharf zu prüfen und gegebenenfalls ganz zu streichen“. Er erklärte Proteste gegen die Aufkündigung der Brandmauer gegenüber Rechtsextremen automatisch zu parteipolitischen Aktionen – und drohte Organisationen, die an diesen Protesten beteiligt waren, indirekt mit dem Entzug ihrer Gemeinnützigkeit und Fördergelder.
Zündeln mit dem Gemeinnützigkeitsrecht
Die rechtliche Grundlage für Middelbergs Angriff auf die Zivilgesellschaft ist dabei fragwürdig. Die aktuelle Rechtspraxis besagt, dass gemeinnützige Organisationen auch als Grundrechtsträger in eingeschränktem Maße politisch aktiv sein und Einfluss auf die politische Willensbildung nehmen dürfen. Was sie nicht dürfen, ist eine bestimmte Partei zu fördern oder diese abzulehnen – doch genau das passiert hier nicht. Gemeinnützige Organisationen dürfen und müssen gesellschaftspolitische Themen aufgreifen, auf Missstände hinweisen, politische Forderungen stellen und Debatten anstoßen. Auch Demonstrationen, Protestaktionen oder Kampagnen sind erlaubt, wenn sie sich auf gesellschaftliche oder politische Themen beziehen (z. B. das Einreißen der Brandmauer gegen Rechtsextreme und deren Normalisierung). Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs betont zudem, dass die Grenzen zwischen politischer Betätigung und gemeinnütziger Arbeit oft fließend sind.
Doch es geht nicht nur um einzelne Organisationen, Demosprüche oder Transparente, sondern um ein grundlegendes Prinzip: Die im Grundgesetz verankerte wehrhafte Demokratie erfordert, dass sich Gesellschaft und Staat aktiv gegen diejenigen verteidigen, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung untergraben. Träger und Vereine von Demokratieprojekten erfüllen gerade genau diese Aufgabe.
Demokratie-Förderung ist Verfassungsauftrag
Die Bundesrepublik wurde mit der Idee einer wehrhaften Demokratie gegründet – einer Demokratie, die nicht neutral gegenüber ihren Feinden bleibt. Das Grundgesetz schützt nicht nur demokratische Institutionen, sondern fordert dazu auf, aktiv gegen verfassungsfeindliche Bestrebungen vorzugehen.
Programme wie „Demokratie leben!“ und die Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen sind genau aus diesem Grund essenziell. Sie stärken demokratische Strukturen, unterstützen Betroffene und setzen sich gegen Menschenfeindlichkeit ein. Das ist keine parteipolitische Agenda, sondern eine demokratische Notwendigkeit, die keine demokratische Partei infrage stellen kann. Ihre Methoden sind vielfach wissenschaftlich evaluiert und richten sich nach den Grundsätzen politischer Bildung, sozialer Arbeit und evidenzbasierter Präventionsarbeit.
Angriff auf die Zivilgesellschaft nach dem Vorbild illiberaler Staaten
Die Diffamierung zivilgesellschaftlicher Organisationen folgt einem bekannten Muster, das sich in Ländern wie Ungarn oder Russland beobachten lässt: Kritische NGOs werden als „verfassungswidrige Institutionen“ oder „politische Akteure“ diffamiert, ihre Finanzierung wird infrage gestellt, bis sie ihre Arbeit nicht mehr fortsetzen können.
Dass dieses Vorgehen nun in Deutschland getestet wird, ist ein alarmierendes Signal. Wer heute die Gemeinnützigkeit von Initiativen gegen Rechtsextremismus infrage stellt, will morgen keine kritische Zivilgesellschaft mehr haben. Eine starke Demokratie braucht eine engagierte Zivilgesellschaft – und sie braucht Menschen, die sich für ihre Werte einsetzen.