„In den Arbeitsroutinen der AfD-Landtagsfraktionen bestehen nach wie vor große Mängel. (…) vertiefte Sachkenntnisse fehlen“ – so vernichtend fällt das Urteil der soeben erschienen Studie „Parlamentarische Praxis der AfD in deutschen Landesparlamenten“ aus. Wolfgang Schroeder, Bernhard Weßels, Christian Neusser und Alexander Berzel vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) haben die zehn Fraktionen der AfD mit ihren 153 Abgeordneten untersucht, die bis zur Saarland-Wahl im März 2017 in Landtagen vertreten waren. Inzwischen ist die Partei in 13 Länderparlamente eingezogen. 11 Millionen Euro stehen diesen Fraktionen für ihre politische Arbeit zur Verfügung. Die Studie verwendet amtliche und frei zugängliche Daten, die über die Parlamentarier und aus den Parlamenten vorliegen – und Interviews mit Parlamentskollegen aus den anderen Fraktionen.
Geschlecht: Die AfD ist eine Männerpartei
In Parlamenten sind Frauen generell unterrepräsentiert. Noch stärker gilt das für die Fraktionen der AfD: Innerhalb der zehn AfD-Fraktionen liegt der Männeranteil bei 85,6 Prozent – und damit fast 20 Prozent über dem Durchschnitt der Landesparlamente. Diese männliche Dominanz entspricht der Wählerschaft der Partei – 60 Prozent der AfD-Wähler sind Männer. Die AfD ist also eine Männerpartei. Es ist kaum verwunderlich, dass sich dieser Umstand auch in ihrem Programm zur Bundestagswahl niederschlägt: Die Rechtspopulisten kündigen an, sich für Väterrechte stark zu machen (S.38). Geschlechter-Quotenregelungen, etwa in Parlamenten oder Betriebsvorständen, lehnt die AfD als eine Form der „Ungleichbehandlung“ ab (S.12).
Die männliche Dominanz innerhalb der Partei gilt folgerichtig auch für Führungspositionen: Von zehn Landes-Fraktionsvorsitzenden ist Frauke Petry die einzige Frau. Warum sind Frauen wie Beatrix von Storch, Alice Weidel oder Frauke Petry in der öffentlichen Wahrnehmung der Partei dann so präsent? Sie nehmen „in einzelnen Spitzenpositionen eine wichtige öffentliche Funktion wahr, indem sie das Bild vermitteln sollen, dass die AfD keine rechte Partei von gestern ist, sondern vielmehr offen für Frauen und damit eine moderne Partei“, kommentieren die Autoren der Studie.
Frühere Parteizugehörigkeiten der AfD-Parlamentarier
Fast 40% der AfD-Parlamentarier_innen waren zuvor in anderen Parteien engagiert. Ihre früheren Parteizugehörigkeiten legen nahe, dass es sich bei der Partei um ein Sammelbecken für enttäuschte Konservative und Neoliberale handelt: Annähernd die Hälfte (46,3 Prozent) der AfD-Abgeordneten, die schon vorher in Parteien engagiert waren, waren in der CDU/CSU. An zweiter Stelle liegt die FDP (12,2 Prozent), erst an dritter Stelle folgt die SPD (9,8 Prozent). Die Autoren bezeichnen die Partei daher als „‚Fleisch vom Fleische der CDU’“. Der politisch erfahrenste Fraktionsvorsitzende ist zweifellos Alexander Gauland, der bereits 40 Jahre für die CDU aktiv war.
Bei 13 AfD-Abgeordneten, die zuvor einer anderen Partei angehörten (das sind 8,5 Prozent aller Abgeordneten), kann eine frühere Mitgliedschaft in einer rechtsextremen oder rechtspopulistischen Partei nachgewiesen werden. Dazu zählen Die Freiheit, Bund Freier Bürger – Offensive für Deutschland, Pro Deutschland, REP, Schill- Partei, Bündnis Arbeit-Familie-Vaterland. In der Rangfolge ganz oben steht die islamfeindliche Partei „Die Freiheit“ (6 Prozent; 5 Personen). Dazu dürften allerdings noch einige Abgeordnete kommen, die sich im Umfeld rechtsextremer Gruppierungen wie den „Identitären“ bewegen oder dem extrem rechten Burschenschafts-Milieu nahestehen.
Eine Partei, zwei Politikverständnisse: Parlamentsorientiert vs. „bewegungsorientiert“
In der Studie werden zwei Typen von Landesfraktionen unterschieden. Ihre Unterscheidung machen die Autoren besonders am Kommunikations- und Führungsstil der Landeschefs fest. Innerhalb dieser beiden Gruppen lassen sich starke Netzwerke ausmachen. Die parlamentsorientierten Landesverbände wie Rheinland-Pfalz unter Uwe Junge, in Sachsen mit Frauke Petry als Landeschefin oder Berlin mit dem Vorsitzenden Georg Padzerski würden Wert darauf legen, durch Sacharbeit aufzufallen, schnell einen möglichst arbeitsfähigen und professionellen Fraktionsapparat zu installieren und im Plenum argumentativ zu überzeugen. Diese Landesverbände möchten der Partei einen dauerhaften Platz rechts von der Union im Parteiensystem erkämpfen.
Die Landesverbände in Thüringen (Björn Höcke), Sachsen-Anhalt (André Poggenburg) und Brandenburg (Gauland) werden dagegen zum „bewegungsorientierten Spektrum“ gezählt. Diese Fraktionen zeichnen sich weniger durch inhaltliche Mitarbeit in den Parlamenten aus: Sie nutzen den Moment, grenzen sich vom Parlament ab und versuchen, Anhänger_innen auf der Straße zu mobilisieren. Als Idealtypus dieser „bewegungsorientierten“ AfD’ler darf sicherlich Björn Höcke gelten. In Erfurt mobilisierte er Parteianhänger_innen regelmäßig zu Demonstrationen, zuletzt am 1. Mai 2017. Ob sich die Partei in Zukunft weiter radikalisieren oder in Richtung einer konstruktiven Mitarbeit entwickeln wird, sei noch nicht abzusehen.
Fraktionsaustritte: Entweder war die Partei zu weit rechts – oder die Parlamentarier selbst
Bisher ist es zwölf Mal vorgekommen, dass AfD-Abgeordnete ihre Landtagsfraktion verlassen haben. Sieben Parlamentarier gaben als Grund dafür an, die AfD habe sich zu stark in Richtung Rechtsextremismus entwickelt. Weitere drei Abgeordnete wurden aufgrund rechtsextremer oder antisemitischer Positionen aus den Fraktionen gedrängt (Wolfgang Gedeon, Kay Nerstheimer und Siegfried Gentele). Zwei Fraktionsaustritte erfolgten aus gesundheitlichen oder persönlichen Gründen.
Arbeitet die AfD auf einer Sachebene in den Parlamenten mit?
Zu Gute halten kann man der Partei bei der Beantwortung dieser Frage, dass sie bislang keine Ambitionen zur Regierungsbildung erkennen ließ. Es gehört nicht zu den Kernaufgaben einer Oppositionspartei, konstruktiv an der Gesetzgebung mitzuarbeiten, sondern eher darin, die Regierung zu kontrollieren. Das einfachste Mittel für diese Regierungskontrolle sind kleine Anfragen – und dieses Mittel setzt die AfD durchaus häufig ein.
22.600 kleine Anfragen wurden zwischen Oktober 2014 und April 2017 in den zehn untersuchten Parlamenten gestellt – 20 Prozent davon durch die AfD (Gesamt 4.694). Sächsische Parlamentarier sind hier die Spitzenreiter: Jede_r sächsische AfD-Abgeordnete stellte im Durchschnitt 4,2 kleine Anfragen pro Monat. In Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt stammen mehr als 40 Prozent aller kleinen Anfragen von der AfD, in Thüringen ist es mehr als ein Drittel. Hier gehören Kleine Anfragen, zu diesem Schluss kommen die Wissenschaftler, „wohl zur besonderen Strategie der AfD-Fraktionen, um Regierung und Verwaltung unter Druck zu setzen.“ Inhaltlich widmet sich die AfD mit den Anfragen ihren Kernthemen: Mehr als ein Drittel der Anfragen entfällt auf die beiden Themenbereiche Sicherheit und Ordnung sowie Migration.
„Das geht das über Anfängerprobleme hinaus“
Die Studie beschränkt sich nicht auf eine Profilanalyse der AfD-Parlamentarier_innen und die quantitative Einschätzung ihrer Arbeit in den Parlamenten. Spannend ist besonders der Studienteil, in dem Parlamentskollegen um ihre Einschätzung der AfD-Arbeit gebeten wurden. Es ist nicht übertrieben, zu sagen, dass die Bewertung für die AfD’ler verheerend ausfällt. Die Interviews wurden anonymisiert und sind nach Bundesländern zugeordnet. So wird beispielsweise aus Hamburg und Baden-Württemberg berichtet, dass auch nach einer mehr als einjährigen Lernphase noch immer wichtige Fragerunden ohne AfD-Beteiligung stattfinden, schlicht weil Fristen zur Einreichung der Fragen verpasst wurden. Die Kollegen sprechen von teils „heilloser Überforderung“. Die Zusammenfassung der Interviews durch die Wissenschaftler fällt vernichtend aus: „In den Arbeitsroutinen der AfD-Landtagsfraktionen bestehen nach wie vor große Mängel. Die parlamentarische Professionalisierung verläuft schleppend. Zwar werden Kleine Anfragen rege genutzt, weniger jedoch die komplexeren Instrumente, wie Große Anfragen oder Anträge, für die eine höhere inhaltliche Kompetenz vonnöten wäre. Die schwach ausgebaute Kompetenz tritt auch in der Ausschussarbeit zutage, wenn etwa in Beratungen zur Haushaltsaufstellung, einem zentralen Recht des Parlaments, vertiefte Sachkenntnisse fehlen.“
„Das Plenum ist für die AfD der verlängerte Arm von Facebook“
Wiebke Muhsals Auftritt im Niquab im Thüringer Landtag oder der geschlossene Auszug der AfD-Fraktion Sachsen-Anhalts aus dem Plenarsaal, um vor dem Parlament an einer Demonstration teilzunehmen, zeigen: Die Partei provoziert gezielt, ihr geht es um Protest und Aufmerksamkeit statt um Mitarbeit. Redebeiträge im Plenum betrachten die Parlamentarier_innen vor allem als Gelegenheiten, um Botschaften an die eigene Anhängerschaft auszusenden. In Nicht-Öffentlichen Ausschüssen würde die Partei dagegen durch Passivität glänzen. Ein Parlamentarier aus Rheinland-Pfalz formulierte die Strategie der AfD so: „Das Plenum ist für die AfD der verlängerte Arm von Facebook“. Weil sich die AfD von den traditionellen Medien ungerecht behandelt fühlt, sind Social Media-Aktivitäten für ihre Selbstdarstellung von größter Bedeutung. Die Forscher erklären, „im Netz werden aus recht blassen Abgeordneten, die wenig zur Gestaltung konkreter Fragen beitragen können, die selbstinszenierten einzigen Anwälte des Volkes, die vorgeben, unermüdlich darum zu kämpfen, dass sich die etablierten Mächte nicht weiter an den Interessen des Volkes vergehen. In diesem Sinne ist auch die Form bei den Social-Media-Aktivitäten wesentlich pointierter als im Parlament. Nach dem Motto: Im Parlament noch leidlich seriös auftreten‚ gepöbelt wird dann im Netz.
Die Studie kann als PDF hier vollständig eingesehen werden.