Das Interview führte Jan Riebe.
In Schleswig Holstein hat es bislang keine Pegida-Demonstration gegeben. Warum?
Es hat durchaus Versuche gegeben, Pegida auch in Schleswig -Holstein zu etablieren. So wurde 2015 ausgerechnet für den 27. Januar, den Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, die erste „Kigida“-Demonstration für Kiel angemeldet. Davor war „Kigida“ schon in den Sozialen Netzwerken aktiv. Den anvisierten Sprung aus den Sozialen Netzwerken auf die Straßen von Kiel hat es aber dann doch nicht gegeben. Die Demonstration wurde im Vorfeld wieder abgesagt. Was genau zur Absage geführt hat, wissen wir nicht. Womöglich wurde der Anmelder geoutet und zog sich daraufhin zurück. Trotz der Absage gab es eine große Gegendemo mit fast 10.000 Teilnehmenden.
Bei Facebook war „Kigida“ weiter aktiv, noch bis mindestens Mitte Juni 2016 – allerdings mit mehr als bescheidenem Erfolg. Nur knapp über 250 Personen haben die Seite auf Facebook geliked. Ende März 2015 gab es einen zweiten Versuch, „Kigida“ auf die Straße zu bringen. Diesmal fand sich ein anderer Anmelder. Aber auch dieser Demo-Versuch scheiterte schon im Ansatz. Der Anmelder, ein Student, wurde an der Hochschule geoutet. Daraufhin zog er sich zurück. Neben „Kigida“ existiert noch „SH-Gida“ (SH steht für Schleswig Holstein). Hier scheint man eine andere Linie zu fahren. Im Gegensatz zu „Kigida“ war „SH-Gida“ nur ganz kurz aktiv und das auch nur im Netz.
Wenn die Gida-Demonstration in Schleswig-Holstein so gefloppt sind, gab es quasi als Ersatz andere Formen der rassistischen Mobilisierung in Schleswig-Holstein?
In Sozialen Netzwerken im Internet haben sich Personen aus kleineren Orten zu Gruppen („SH wehrt sich“) zusammengetan. Diese sind insbesondere im Zug der Flüchtlings- und Asyldebatte entstanden. Aktuell nach dem Amoklauf in München, den Terroranschlägen in Nizza, aber auch in Ansbach und Würzburg stellen wir hier eine stärkere Aktivität der Gruppen fest. Es gibt auch einige Neugründungen. Dies ist aber weitgehend auf Facebook beschränkt. Lediglich zwei Gruppen, die Grundgruppe „Schleswig-Holstein wehrt sich“ und „Neumünster wehrt sich“ haben bislang versucht, eigene Demonstrationen auf die Beine zu stellen.
Wie sind die Demonstrationen abgelaufen?
Unter dem Motto „Neumünster wehrt sich“ demonstrierten am 14.11.15 etwa 80 Personen gegen „Asylbetrug“, „Masseneinschleusung“ und „Islamisierung unserer Gesellschaft. Die Demonstration war der erste gelungene Versuch der rechten Szene seit 2012, in Schleswig-Holstein landesweit zu einer Veranstaltung zu mobilisieren. An der Demonstration selber nahm eine Mischung an Personen teil: „besorgte Bürger“ wie organisierte Rechtsextreme. Letztere aus Lübeck, Herzogtum Lauenburg und Neumünster. Aus Neumünster nahm beispielsweise auch der NPD-Ratsherr Mark Proch teil (vgl. BNR). Dennoch zeigt die Zahl von 80 Teilnehmenden, dass es eben nicht gelang, viele „besorgte Bürger“ neben der Naziszene zu mobilisieren. Der Misserfolg beschränkte sich nicht nur auf dieaus ihrer Sicht mangelnde Mobilisierung. Die Demonstration wurde zudem wegen Blockaden nach wenigen Metern beendet. Insgesamt nahmen an der Gegendemo vier bis fünfmal so viele Personen teil, wie an der „Neumünster wehrt sich“-Demo. Es gab drei erneute Demo-Mobilisierungen von „Neumünster wehrt sich“, die kurz vorm Aufmarsch dann wieder zurückgezogen wurden. Wir vermuten, dass die lokalen Bündnisse gegen Rechts mürbe gemacht werden sollte. In Neumünster gibt es drei sehr aktive Bündnisse, die die Naziszene beobachten und regelmäßig Gegendemonstrationen veranstalten. Daher sehen wir das als eine gezielte Strategie der rechten Szene, zu Demonstrationen zu mobilisieren und diese dann wieder abzumelden.
Neben „Neumünster wehrt sich“ gab es noch den Versuch einer Demonstration in Kiel von „Schleswig Holstein wehrt sich“. Diese Demonstration hat letztendlich aber nicht stattgefunden. Wir vermuten, dass sie es nicht geschafft haben, genug Leute zu mobilisieren.
Gab es bei der Demonstration Auffälligkeit in Bezug auf Geschlecht?
In Naziszene in Neumünster ist sehr männerdominiert. Dies spiegelte sich auch bei deren Demonstration am 14. September 2015 wider. Maximal ein Drittel der Teilnehmenden waren Frauen. Eine Inszenierung von Geschlecht durch Reden, eine bestimmte Art des Auftretens oder sei es auch nur durch die Übernahme von Ordnerinnen-Aufgaben, Tragen des Fronttransparents oder ähnlicher Dinge konnten wir nicht feststellen.
Ist Neumünster das Zentrum der rechtsextremen Szene in Schleswig Holstein??
Dass die erste Demonstration der rechten Szene in Schleswig-Holstein seit 2012 ausgerechnet in Neumünster stattfand, ist nicht verwunderlich. Neumünster hat eine sehr aktive, auch reisefreudige und vernetzte rechte Szene. Neumünster ist ja auch geschichtlich ein wenig der norddeutsche Verteiler der rechten Szene gewesen durch den „Club 88“. Das hat sich ein Stück weit bis heute gehalten. Der „Club 88“ ist zwar nicht mehr da, aber dafür gibt es den Nachfolger, die Kneipe „Titanic“. Und im „Titanic“ findet die Vernetzungsarbeit scheinbar weiter überregional statt. Aber es ist nicht nur Neumünster, es gibt auch andere Schwerpunktregionen der rechten Szene, so Dithmarschen und Herzog Lauenburg. Aber geschichtlich, traditionell ist Neumünster schon ein wenig die Schwerpunktregion der rechten Szene in Schleswig-Holstein
Du hast erwähnt, dass Mobilisierungen maßgeblich über Soziale Netzwerke im Internet stattfinden. Welche Rolle spielt das Internet denn für die lokale rechte Szene?
Soziale Netzwerke spielen für die rechte Szene eine sehr wichtige Rolle. Gerade im ländlichen Raum ist hierdurch die Vernetzung, der Austausch viel einfach zu gewährleisten als im alten herkömmlichen Sinne. Auch die Propaganda lässt sich so schnell und kostengünstig weit verbreiten. Nach den Ereignissen von Nizza und dem Amoklauf von München gründeten sich viele kleine „wehrt sich“-Gruppen bei Facebook. Da mischen meist Nazikader mit, so auch in Neumünster. Hier ist der NPD Ratsherr Mark Proch aktiv (lässt sich das belegen?). In der Facebook-Gruppe besteht auch ein Kontakt zu „MV-Gida“ und „Wehrt Euch“-Gruppen in Mecklenburg-Vorpommern und Einzelpersonen aus der dortigen Naziszene. Also die Vernetzung ist nicht auf Schleswig-Holstein beschränkt. Aber auch bei den Aufmarschversuchen von „Kigida“ haben die Sozialen Netzwerke eine wichtige Rolle gespielt.
Als wir in der Amadeu Antonio Stiftung angefangen haben, flüchtlingsfeindliche Gewalt in einer Chronik zu dokumentieren, ist Schleswig-Holstein anfänglich mit sehr wenigen Gewalttaten positiv aufgefallen. Unser Eindruck ist aber, dass das aktuell nicht mehr so zutrifft. 2015 haben wir 29 Angriffe auf Asylsuchende und ihre Unterkünfte in Schleswig-Holstein registriert. Im laufenden Jahr waren es bis Mitte Juli schon 21. Die Gewalt nimmt also zu. Ist das auch euer Eindruck?
Ja, sie nimmt zu. Damit einher geht, dass lokaler Nazistrukturen versuchen, Bürgerversammlungen zu Geflüchtetenunterkünften inhaltlich zu dominieren. Sowohl NPD-Spektrum, als auch der „Wehrt Euch“-Gruppen besuchen solche Bürgerversammlungen – aber nicht als offene Nazis, sondern als „besorgte Bürger“. Das ist keine ganz neue Entwicklung, aber aktuell immer beliebter.
Zudem stelle ich fest, dass die Angriffe auf Geflüchtete und ihre Unterkünfte in der Bevölkerung gar nicht mehr als was so besonderes wahrgenommen wird. Es gibt einen Gewöhnungseffekt. Eine erschreckende Entwicklung.
Um nochmal auf Pegida zurückzukommen. Warum ist das Prinzip Pegida in Schleswig-Holstein bislang gefloppt?
Eine Erklärung scheint interner Streit zu sein. Es hat ja zwei verschiedene Anmelder bei „Kigida“ gegeben hat. Diese sollen sich derartig gestritten haben, dass es die ganze interessierte Szene in verschiedene Gruppierungen gespalten hat. Durch den Streit waren sie nicht aktionsfähig gewesen.
Auch nehmen wir eine Veränderung in der rechtsextremen Szene wahr. Bestimmte Nazis aus bestimmten Zusammenhängen tauchen immer wieder gemeinsam auf, mit bestimmten anderen Nazigruppierungen sieht man sie aber nicht gemeinsam. Früher war die rechtsextreme Szene durch kleine, gewaltbereite Aktionsgruppen geprägt. Diese gibt es zum Teil gar nicht mehr. Da muss es interne Auseinandersetzungen gegeben haben. Denn gemeinsam agieren sie nicht mehr.
Die Streitigkeiten scheinen die rechtsextreme Szene in Schleswig-Holstein zu lähmen. Dabei hätten wir erwartet, , dass sie sich zumindest beim Thema Geflüchtete einig sind. Wenn dies der Fall wäre, hätten sie mehr Kraft auf der Straße. Sie sind ja weitaus mehr, als die wenigen, die derzeit auf die Straße gehen. Zudem nehmen wir einen Strategiewechsel wahr. Rechtsextreme versuchen verstärkt, in Kommunalparlamenten Fuß zu fassen. Bei den letzten Kommunalwahlen gelang es der NPD nicht nur in Kiel, sondern auch in Neumünster und Herzogtum Lauenburg, ins Kommunalparlament gewählt zu werden. Sie versuchen sich also mehr als früher in die Kommunalpolitik einzumischen, aber auch via den „Wehrt sich“ – Gruppen aktiv zu bleiben.
Wie sieht es mit dem Gegenprotest aus? Wie erfolgreich ist er gegen rassistische Mobilisierungen in Schleswig Holstein?
Tatsächlich hat die Geflüchteten-Debatte, anders als bei den Nazis, stark mobilisierende Wirkung auf die Anti-Nazi-Protestbewegung gehabt. Bei den Anti-„Kigida“-Protesten lässt sich das ganz gut ablesen. An der ersten Gegendemo nahmen 10.000 Demonstrant_innen teil, an der zweiten 3-4.000 Personen. Das Motto der ersten Gegendemo war „Das ist unsere Stadt. Die Kielregion ist weltoffen“. Das Motto hat viele bewegt, gegen die Weltsicht von „Kigida“ auf die Straße zu gehen. Viele Promis in der Stadt haben sich öffentlich positioniert gegen „Kigida“. Da ist was passiert, was wir schon seit Jahren an Mobilisierung gegen Nazis in Kiel nicht mehr hatten.
Neumünster ist in diesen Zusammenhang auch sehr auffällig. Hier ist die Anti-Nazi-Szene sehr aktiv. Wenn dort ein Hakenkreuz gesprüht oder geklebt wird, das ist garantiert am nächsten Tag nicht mehr da. Die drei Bündnisse gegen Nazis in Neumünster sind äußerst aufmerksam. Und da ist mein Eindruck, es liegt ein ganzes Stück an der Stärke dieser Bündnisse, dass in Neumünster nicht mehr ganz so viel möglich ist. Da hat sich tatsächlich was verändert.
Was sind Gründe, dass der Gegenprotest stärker geworden ist? Gibt es bestimmte Konzepte die in Schleswig Holstein erfolgreich sind?
Das hängt auch mit dem Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus zusammen. Es ermöglicht, dass hier verschiedene Menschen, Institutionen, Gewerkschaften, unterschiedliche Ministerien, aber auch LKA und zivilgesellschaftlichen Institutionen, zusammen sitzen. So werden viele Informationen weitergegeben, Gespräche sind möglich, wo es vorher keine gab. Die Debatte um Geflüchtete hat nochmal zusätzlich Leute dazu gebracht, die sich für gelebte Vielfalt einsetzen. Ich glaube, das der Ansatz des Beratungsnetzwerk ein guter für Schleswig-Holstein ist, den er bringt viele Menschen an einen Tisch zusammen. Außerdem sind die Bündnisse gegen Rechts sehr aktiv in Schleswig Holstein. Das sind meines Erachtens immer noch viel zu wenige, es könnten noch viel mehr sein. Aber die Bündnisse die es gibt, sind extrem aktiv und auch sehr erfahren in Bezug auf Demos anmelden, in Bezug auf Motivation von anderen, in der Vernetzungsarbeit untereinander etc.
In wie fern spielt Pegida in Fortbildungen eine Rolle?
In unserer Fortbildungsarbeit spielt der Vergleich der Strategien von AfD, Pegida, Pro-Gruppen, „Wehrt sich“-Gruppen eine große Rolle. Es geht um Sensibilisierung, was diese Gruppen funktionalisieren, wo Parallelen, wo Unterschiede festzustellen sind. Wir verzeichnen, insbesondere unter pädagogischen Fachkräften, ein sehr großes Interesse an solchen Fortbildungen. Sie wollen erfahren, wie argumentieren solche Gruppierungen, und vor allem, was kann ich dagegen tun? Was kann ich in der Jugendarbeit tun, damit Jugendliche unterschiedliche Positionen kennenlernen und nicht nur via Facebook von rechtspopulistischen oder auch rechtsextremen Gruppierungen beeinflusst werden? Das Bedürfnis nach Handlungsstrategien gegen rassistische Äußerungen ist stark gestiegen. Aktuell werden wir vielfach angefragt, viel mehr als in der Vergangenheit.
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