Unter dem Namen „Wir sind Deutschland“ demonstrierten seit Mitte September 2015 in Plauen anfangs mehrere hundert Menschen, später im Oktober bis zu 4.000 Menschen. Nach dem 20. Aufmarsch am 24. April 2016 mit 120 Teilnehmenden ist vorerst Schluss. Wie die Freie Presse mitteilte, schätzt Mitbegründer Michael Oheim die Situation mittlerweile so ein: „Auf die Straße gehen bringt nichts.“ (FP 20.5.16).
Mit Emma Anderson (EA) und Ronny Gsawitz (RG) vom Journalist*innen-Kollektiv Sechel hat Belltower.news Ende April sich über die sogenannten „Wir sind Deutschland! Nur gemeinsam sind wir stark!“ Kundgebungen gesprochen. Neben den Plauener Protesten haben sie sich auch die Leipziger LEGIDA-Aufmärsche angesehen. Das Interview führte Christian Bach.
Wie schätzt Ihr die Bewegung in Plauen ein, handelt es sich dabei um einen Ableger von „PEGIDA“? Wer organisiert das?
RG: Zunächst würde ich noch nicht von einer Bewegung im sozialwissenschaftlichen Sinne sprechen, ich bevorzuge die Bezeichnung Demonstrationsbündnis. Für eine Bewegung zeigt sich das Bündnis nicht konstant und dauerhaft genug. Außerdem verfügt es nicht über klare Inhalte und Ziele. Bei den Kundgebungen erschien uns „WsD“ als eine eigentümliche Mischung, als relativ breites Bündnis vom Nazispektrum, welches sich allerdings nicht offen präsentierte, über die wegen ihrer Querfrontansätze und Verschwörungsideologie umstrittenen neue „Friedensbewegung“ bis hin zu FDP-Politikern. Vor allem trafen sich da viele Menschen, „besorgte Bürger_innen“, die denken, dass ihre Welt durch Flüchtlinge zerstört wird. Bei „WsD“ handelt es sich nicht um einen „PEGIDA“-Ableger. Eher bemühte man sich in der Öffentlichkeit um Abgrenzung und um die Darstellung als eine Art nichtextremistische „PEGIDA“.
„Wir sind Deutschland“ wurde maßgeblich von Gastronom Michael Oheim und Baufacharbeiter Gunnar Gemeinhard organisiert. Gemeinhardt war im Frühjahr 2015 als parteiloser Kandidat für die Landratswahlen angetreten, hatte dafür Wahlempfehlungen von AfD und SPD erhalten und kam mit 21,6 % auf den dritten Platz. Er war darüber hinaus als Bauleiter für das neue Landratsamt des Vogtlandkreises tätig. Einige der Akteure haben wir auf unserem Blog vorgestellt: www.sechel.it.
Welche Inhalte werden bei „WsD“ vertreten?
RG: Die Organisatoren betonen, dass sie keine Rechten seien, schon gar nicht Nazis. Auf der anderen Seite zieht sich durch die Veranstaltungen ganz klar ein völkischer roter Faden. Es geht immer darum, dass das Volk als Kern der Nation sich gegen die korrupten Politiker und Banker wehren muss: Der kleine Mann, der sowohl von Oben (USA, Merkel) als auch von Flüchtlingen über den Tisch gezogen wird.
Das entspricht ja der doppelten Abgrenzung des Rechtspopulismus.
Während ich auf einer inhaltlichen Ebene keine so großen Unterschiede zu PEGIDA sehe, unterscheidet man sich im Auftreten ganz deutlich: bis zum vorletzten Aufmarsch war es kein Aufzug, sondern eine stationäre Kundgebung. Und es waren bis dahin Parolen und Transparente sowie Banner nicht erwünscht und daran wurde sich auch gehalten. Auf den später mitgeführten Bannern wurde u.a. „Sofortiger Aufnahmestopp für Asylbeweber“, „Auch Toleranz hat Grenzen“, „Waffenexporte stoppen“ sowie „Mehr Demokratie“ gefordert. Die Feindbildbestimmung war hingegen klar, in Sprechchören wurde gerufen „Die Gefahr heißt USA“. Ebenso wurde gerufen „Heimat, Freiheit, Tradition – Multikulti Endstation“, was eine klare identitäre bzw. Nazi-Parole ist. Als Parolen zugelassen wurden, zeigte sich somit, dass es inhaltlich nicht so große Unterschiede zu PEGIDA gibt.
Die Kundgebungen wurden als Diskussionsforum für Bürger_innen dargestellt, d.h. Jede_r durfte reden, wenn er oder sie die Rede vorher eingereicht hat. Das geht vermutlich auf einen anfänglichen Eklat zurück, als Conny Arnold zwar „vielen aus dem Herzen sprach“, wie Gunnar Gemeinhardt nach der Rede einschätzte, diese im Nachgang der Kundgebung jedoch von Antifaschist_innen als NS-Aktivistin aus Rodewisch/ Vogtland geoutet wurde. Danach wurde sich von ihr distanziert, obwohl sie sich nicht extremer ausdrückte als andere. Zum Beispiel die Rede des Sicherheitsunternehmers Norman Rauh zeigte jedoch, dass „Wir sind Deutschland“ regelmäßig auch denjenigen eine Bühne gab, die sich nicht viel Mühe machten, ihren Rassismus hinter Verschwörungstheorien zu verbergen.
Wen ziehen solche Inhalte an, wer ist da eigentlich – im letzten Herbst auch ja zahlreich – auf der Straße gewesen?
RG: Nach Ansicht der Videos und nach meinen Eindrücken vor Ort waren da „ganz normale Leute“ wie es immer so heißt. Nach Angaben von Antifaschist_innen waren aber auch schon Vertreter der lokalen Naziszene dabei, zum Beispiel des „III. Weges“, und die „Freie Presse“ berichtete, dass auch die „Härte Plauen“, eine rechtsextreme Rockervereinigung, die vor zwei Jahren vom Bundesinnenministerium verboten wurde, daran teilnahm.
Ich habe mir die Demonstration angesehen, die Anfang April stattfand. In einer Rede von Dirk Spengler wurde die Bombardierung Plauens zum Ende des 2. Weltkrieges auf die Interessen von Banken und Finanzinstitute zurückgeführt und ein deutscher Opfermythos befeuert. Gesprochen hat auch Rico Albrecht von der „Wissensmanufaktur“, in deren Medienbeirat u.a. Eva Hermann sitzt. Albrechts Rede bezog sich in erster Linie auf die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung, die „eine Einwanderungspolitik“ sei. Die Kurzfassung von Albrechts Theorie: Die BRD-Regierung würde willentlich den IS in Syrien stärken, um eine Migrationswelle zu provozieren. Gleichzeitig würde man Bilder von „hübschen Frauen mit Refugees-Welcome-Schildern“ in aller Welt verbreiten. Ziel sei es, dass möglichst viele junge Männer aus arabischen Ländern nach Deutschland kommen, um … ja warum eigentlich? Albrecht blieb eine Antwort auf diese Frage schuldig. Wenn wir an Ideen wie die vom „großen Austausch“ (Identitäre Bewegung) oder vom „Volkstod“ (Neonazi-Szene) denken, wird klar, in welche Richtung Albrechts Argumentation geht. Mit verschwörungstheoretischen, vermeintlich antiimperialistischen Argumenten zielt Albrecht in eine eindeutig rassistisch, völkisch-nationale Stoßrichtung. Solche verschwörungsideologischen Positionen haben immer auch eine offene Flanke zum Antisemitismus.
Attac hatte vor der sogenannten „Wissensmanufaktur“ um Andreas Popp aufgrund von deren antisemitischen Bezügen gewarnt. Popp und Albrecht beziehen sich positiv auf die antisemitische Hetzschrift „Manifest zur Brechung der Zinsknechtschaft“ von Gottfried Feder, einem der führenden Wirtschaftstheoretiker der NSDAP, den sie als „großen Wirtschaftstheoretiker“ würdigen (vgl. Attac). Verweisen diese verschwörungsideologischen Positionen auf eine Herkunft von „WsD“ aus den Friedensmahnwachen, tauchen entsprechende Akteure auf?
RG: Ja, diese Bezüge gibt es es. Frank Geppert von der Friedensbewegung Halle war da, Ken Jebsen hat dort gesprochen.
Diese Inhalte stoßen also auf großen Zuspruch?
RG: Die Gründe für die relativ große Zustimmung zu „WsD“ in Plauen liegt darin, dass sich diese Demonstrationen als nicht extremistisch darstellen und sich in die Tradition der Demonstrationen vom Herbst 1989 stellen. Vor allem in Plauen wird sich auf den Mythos der „ersten Demos ´89“ bezogen, die damals die „Diktatur der Kommunisten“ abgeschüttelt haben. Jetzt müsse die „Diktatur des internationalen Finanzkapitals“ und die „Merkel-Diktatur“ abgeschüttelt werden.
Besonders wichtig finde ich, dass Plauens Oberbürgermeister Ralf Oberdorfer (FDP) die Kundgebungen begrüßte und sogar besuchte. Er sprach von „einer guten Zusammenarbeit mit WsD“. Das hat auf jeden Fall zu einer Legitimierung beigetragen und ich finde es bemerkenswert, dass ein demokratischer Verantwortungsträger, der seit 15 Jahren im Amt ist, den Mythos auch übernimmt und damit quasi sagt, „der Staat in dem ich Mandatsträger bin, ist eigentlich eine Diktatur, die gestürzt werden muss“. Denn das ist in der Argumentationslogik enthalten.
Nun ist erstmal Schluss mit den Kundgebungen und Demonstrationen. Wie geht es jetzt weiter?
RG: Meines Wissens gab es in Dresden und Bautzen Demonstrationen unter dem Label „Wir sind Deutschland“, die aber weitgehend gescheitert sind und keinen Anklang gefunden haben. Aktuell versucht man auf der Homepage von „WsD“ unter dem Namen „Die neue Mitte“ den Eindruck einer sich ausbreitenden Bewegung zu vermitteln. Neben den „Heimattreuen Niederdorf“, den „Patrioten Stollberg“ wird dort das „Bürgerforum Altenburger Land“ genannt. Daneben gibt es Bemühungen des ehemaligen „LEGIDA“-Moderators und Gründers der „Offensive für Deutschland“ (OfD), Silvio Rösler, „WsD“ in seine überregionalen Stammtische „Weißer Raabe“ einzubinden. Von der ursprünglichen Selbstdarstellung von „WsD“ als „nicht extremistisch“ ist ohnehin nicht mehr viel geblieben: Die letzte Demonstration am 24. April wurde von der „Heimatschutzbrigade Plauen“, einer selbsternannten Bürgerwehr, begleitet und mutmaßlich auch geschützt.
Stichwort LEGIDA, Emma, du hast die Demonstrationen von „LEGIDA“ in Leipzig beobachtet. Wenn du das hörst, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede siehst du da?
EA: Bezüge auf die Wendedemonstrationen von ´89 finden sich da auf jeden Fall auch, ebenso die Wahrnehmung, man werde von unten und von oben unterdrückt. „Merkel muss weg“ spielt eine große Rolle. Die Teilnehmenden-Zahlen haben sich im Unterschied zu „WsD“ etwas konstanter gehalten, obwohl es deutlich mehr organisatorischen Wechsel, persönliche Streitereien, auch mit den Organisatoren der Dresdner „PEGIDA“ gab. „LEGIDA“ gehört zu „PEGIDA“ und sie können sich nicht einfach mit anderen zusammenschließen. Da hat Dresden das letzte Wort. Ich würde die Leipziger Demonstrationen auch nicht als reine Nazi-Veranstaltungen bezeichnen, auch wenn es offensichtlich ist, dass viele Leute zum Beispiel mit Nazi-Tattoos dort teilnehmen. Durchschnittlich sind es Mitte 50-jährige Männer, daneben gibt es auch immer wieder jüngere Männer um die 20 Jahre, die eher dem aktionsorientierten Nazispektrum zugehörig sind. Rechte Hooligans, teilweise eher Bruderschaften wie die „Brigade Halle“ und das jüngere Spektrum laufen bei den Demonstrationen hinten. Vorn sind eher bürgerliches Spektrum, auch mittelalte Frauen mit ihren Partnern vertreten, die, wie auch ein Rollstuhlfahrer mit Friedenstaube, ein ziviles Erscheinungsbild vermitteln sollen.
Das Feindbild in Leipzig ist vordergründig die „Lügenpresse“, vom Staatsapparat gelenkte Medien, die aus Sicht der Demonstrierenden alle Pressevertreter außer die eigenen umfasst. „LEGIDA“ formiert sich auch ganz klar als völkische Bewegung: „Wir werden unterdrückt, wünschen uns einen starken Nationalstaat, der die Bedürfnisse der Deutschen im Blick hat.“ Das klingt zunächst unspektakulär, bietet aber Anknüpfungspunkte an klassisch nationalsozialistische Ideologie und zeigt die Gefahr eines rapiden Rechtsruckes an.
Könnt ihr ein paar Beispiele für inhaltliche Gemeinsamkeiten und Schwerpunkte zwischen „Wir sind Deutschland“ und „LEGIDA“ nennen?
RG: Meiner Wahrnehmung nach werden solche inhaltlichen Klammern oft von Frauen hergestellt, dabei in oft radikalsten Reden. Ich denke da an „Helene aus Chemnitz“. Frauen trauen sich, deutlich zu werden, weil sie als „nicht so politisch“ wahrgenommen werden. Sie kommen damit durch, zu sagen, sie seien ja keine Nazis, sondern Frauen. Ausgehend von einem eher privaten Blick „als deutsche Mutter“ benennt „Helene“ in einem Redebeitrag bei „LEGIDA“ ihre Sorge um die Kinder, die ungesund ernährt und manipuliert sowie von Ausländern bedroht würden. Dann warnte Helene die Teilnehmer_innen vor der „sunnitischen Fertilitätsrate“.“ Sie beendete ihre Rede mit absurd anmutender faschistischer Rhetorik: „Ich kämpfe für mein kleines Kind und für mein Land. Und ich werde kämpfen bis zum letzten Atemzug!“ (vgl. Sechel.it).
Ich möchte noch einen interessanten Punkt ansprechen, die Mythenbildung. Ein interessanter Tipp ist in dem Zusammenhang das Blog von Flohbude. Zum Beispiel berichten Rentner, dass sie beobachtet hätten, dass auf der anderen Seite der Stadt gerade die Antifa-Auszahlung des Antifa e.V. stattfinden würde, sie hätten das selbst gesehen und glauben das ernsthaft. Oder in Leipzig, wo die Menschen bei „LEGIDA“ wirklich denken, dass die mit der Merkel zusammenarbeitende Antifa jedes Mal die halbe Stadt auseinandernimmt. Das ist so fernab jeder Realität und zeigt zugleich, dass Fakten oder Statistiken gegen das Argument „Ich gehe aber mit offenen Augen durch die Welt“ nicht ankommen.
Ich habe mich immer gefragt, wie konnte man im historischen Nationalsozialismus den Gerüchten über die Juden glauben. Heute verstehe ich das. Da steckt keine Geisteskrankheit dahinter, die Form des Gerüchts hat so ein fesselndes Moment. Das verweist auch auf eine Zunahme des Irrationalismus.
EA: Hinzu kommt noch, dass das mit Ablehnung von Intellektualität verbunden wird, Fakten nicht anerkannt und Wissenschaft abgelehnt werden und sich stattdessen auf den „gesunden Menschenverstand“ berufen wird.
RG: Ich finde, das muss man differenzieren. Eine anerkannte Rolle spielt das technische Wissen. Abgelehnt werden „Geschwätzwissenschaften“, wie sie Akif Pirinçci nennt, als verkommener dekadenter Zeitgeist, die Frauen mit haltlosem Geschwätz verführen würden, wobei der gute bodenständige Ingenieur außen vor bleibt. Dazu gehört auch die Journalist_innen-Feindlichkeit.
Aus unserer Sicht sind solche Opferinszenierungen zentral, mit denen dann auch gewalttätiger „Widerstand“ legitimiert wird. Dem liegen häufig auch Vorstellungen einer natürlich eingerichteten Geschlechterordnung zu Grunde, die „aus den Fugen“ geraten ist. Was könnt ihr dazu sagen?
EA: Auf Plakaten wird das eher wenig, dafür aber in Reden thematisiert. Frauen erzählen, „meine Tochter soll jetzt in der Schule lernen, dass schwule Paare auch Kinder adoptieren sollen“. In Reden von Männern werden solche Themen eher abstrakt behandelt, im Sinne von „Genderwahn zerstört das Volk.“ Auf der anderen Seite kann Stephane Simon, ein Redner aus dem Reichbürgerspektrum, der sich selbst als schwul bezeichnet, dort auftreten.
Wie ist das Klima in Leipzig bezüglich Sexismus?
EA: Ich kann als Beobachterin da durchlaufen und mit Teilnehmenden reden, was Fotograf_innen aufgrund des Feindbildes „Lügenpresse“ schon nicht möglich ist. Sobald du eine Kamera in der Hand hast, bist du Feindbild. Es gibt aber extrem viel sexistische und sexualisierte Gewaltandrohung auch mir gegenüber. Ich wurde auch schon angemacht. Zwei weibliche Ordnerinnen hatten mich hingegen schnell auf dem Schirm.
Anfang 2016 wurden bei „LEGIDA“ „Rapefugees“-Plakate gezeigt und mit den Ereignissen der Silvesternacht in Köln rassistische Stimmung gemacht.
EA: Ja, das ist eines der Hauptargumente, warum Flüchtlinge nicht hierher kommen sollen. Aber das war auch schon vor Köln ein Kernthema, als Ausdruck eines allgemeinen politischen Klimas. Sexualisierte Gewalt wird häufig in Reden aufgegriffen, oft wird in Prozenten, in Zahlen, in Gerichtsurteilen, also formell objektiven Fakten gesprochen. Rednerinnen unterstreichen und ergänzen das mit konkreten Erlebnissen und fügen es so als Gesamtbild zusammen.
RG: Das ist nicht losgelöst vom antimuslimischen Rassismus zu betrachten. Bei „WsD“ ist die USA Feindbild Nummer 1. Bei „LEGIDA“ ist der „kulturfremde Einwanderer“ ganz klar die Klammer. Die hegemoniale Chiffre des Kampfes gegen „den Islam“, ermöglicht es unterschiedlichsten Akteuren vom rechten Rand der CDU bis hin zur Partei „Die Rechte“, unter einem Banner marschieren zu können, auch wenn sie ansonsten teilweise ganz verschiedene Einstellungen zu Themen wie Israel, Homosexualität, Volksabstimmungen oder deutscher Außenpolitik haben mögen. Damit einher geht das Feindbild des links-grünen Multi-Kulti-Homo-Individualisten, der die deutsche Kultur und Tradition zersetzt und der in seiner Naivität dem islamischen Mordor freien Lauf lässt (vgl. Sechel.it). Also, auch wenn hier geglaubt wird, dass die USA „unser Volk“ zerstören wollen, sind die konkreten Invasoren „die Muslime“. In diesem Bild sind dabei alle jungen Männer, die kommen, immer Muslime.
EA: Ich würde sagen, dass das bei „LEGIDA“ im Vergleich zu Westdeutschland auf einem klar lookistischen Hintergrund passiert. Am Aussehen von Personen wird die vermeintliche Religion ausgemacht. Trägst du Kopftuch, bist du Muslima. Trägst du kein Kopftuch, aber hast vielleicht schwarze Haare, bist du Muslima. Die Zuschreibung der Religion wird immer auf alle übertragen, es gibt da im Alltag keine Differenzierungen.
Unseren Beobachtungen nach sind die Abläufe und Inszenierungen zum Beispiel von „PEGIDA“ hoch standardisiert, was einen Punkt der Attraktivität ausmachen dürfte.
EA: Das gibt es bei „LEGIDA“ auf jeden Fall auch. Hier wird immer wieder das „PEGIDA“-Geburtstagsvideo vom 19.11.2015 abgespielt. Im Winter gab es immer Glühwein oder Tee und Bratwürste, es gibt immer einen Verkaufs-Stand mit T-Shirts und Buttons wie „Rapefugees not welcome“…
RG: Es beginnt immer mit dem gleichen Lied „Wir sind das Volk – wir lassen uns nicht mehr spalten von den feigen Gestalten!“. Auch dieses Lied verweist darauf, dass der Antisemitismus in der Argumentationslogik bei „LEGIDA“ auf keinen Fall wegzudenken ist, auch wenn der nicht offen geäußert wird. Es gibt überdies immer Unterschriftenlisten gegen die GEZ.
EA: Die Parolen sind auch immer gleich: „Merkel muss weg“, „Lügenpresse“, „Wir wollen keine Asylantenheime“. Das Skandieren von „Lügenpresse“ passiert dabei immer am gleichen Punkt, wenn „LEGIDA“ dort vorbei kommt, wo eine Treppe vielen Fotograf_innen Platz bietet. Zu allen anderen Zeitpunkten ist der Gegenprotest Hauptfeind.
„WsD“ ist vorerst vorbei, ist es auch bei „LEGIDA“ ruhiger geworden? Oder ist die Bewegung noch ungebrochen, beziehungsweise jederzeit wieder aufrufbar?
EA: Es gab verschiedene Auf- und Abschwünge in der Vergangenheit, richtig abgenommen hat es meiner Meinung nach bis April nicht. Ein harter Kern von 400-600 Menschen ist immer da und wenn sich ein Anlass bietet, ist die Zahl nach wie vor nach oben offen.
RG: Man muss bedenken, dass ähnliche Bewegungen und Initiativen überall in Sachsen, in Kleinstädten und Dörfern, ja auch weitergehen.
Letzte Frage: Gab und gibt es Gegenprotest und wie erfolgreich war der?
RG: Zu Plauen ist das schnell erzählt, hier gab es keinen Gegenprotest, auch nicht vernehmbar in der Stadtgesellschaft. Die lokalen Antifaschist_innen sind marginalisiert, gelten ohnehin als Extremist_innen und müssen sich um ihren Selbstschutz sorgen. Es ist sehr schwer.
Aber Leipzig war doch neben München und Köln am Anfang DAS Beispiel für Gegenprotest, was ist daraus geworden?
EA: Beim ersten Auftritt von „LEGIDA“ war die ganze Stadt auf den Beinen, danach hat es rapide abgenommen. Eine Zeitlang konnten erfolgreich viele Menschen mobilisiert werden, meist auch deutlich mehr, als bei den Aufmärschen von „LEGIDA“ teilnahmen. Es gab nochmal zum Geburtstag im Januar und zum Frauenkampftag im März größere Proteste, bei letzterem wurde auch den Antifeminismus von „LEGIDA“ thematisiert. Insgesamt konnte aber der Anspruch, inhaltlich und wirkungsvoll dagegenzuhalten, nicht durchgehalten werden. Größere Akteure bei den Gegenprotesten, die Anlaufpunkte anmelden, sind „Legida? Läuft nicht“ und das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“.
RG: Hintergrund für die Abnahme wirkungsvollen Gegenprotestes sind auch massive Repressionen der Polizei im letzten Jahr. Das führte dazu, dass Leute nicht mehr am Montag in die Stadt gehen. Die genannten Akteure allein haben nicht die notwendigen organisatorischen Potenziale, sie sind immer auf die Zusammenarbeit mit Aktuer_innen aus der radikalen Linken angewiesen. Aber klar: Insgesamt ist Gegenprotest da und „LEGIDA“ wird hier in der Stadt auch als rechtsextrem wahrgenommen. Problematisch ist, dass in Leipzig oftmals die Illusion eines „besseren, toleranten“ Deutschland entgegen gesetzt wird. Kritisch muss allerdings auch die radikale Linke als solche beäugt werden: ihr konnte es nicht gelingen eigene, kontinuierliche Gegenmobilisierungen auf die Beine zu stellen. Ein kleiner Lichtblick sind die Demonstrationen der Antifa-Kampagne „a monday without you“, die an jedem „LEGIDA“-Montag vor dem Beginn des sonstigen Demo-Geschehens Nazis und Rassist_innen in den Stadtteilen entgegen treten, in denen sie aktiv sind.
EA: Vor allem aber gibt es kaum inhaltliche Auseinandersetzung mit „LEGIDA“ und deren Themen. Wir wollen darauf hinaus, dass wir uns mit völkischem Nationalismus, mit antimuslimischem Rassismus und mit dieser Mythenbildung auseinandersetzen müssen. Was bisher passiert ist, ist keine adäquate Antwort und es wird vor allem keine gesellschaftliche Gegenperspektive aufgemacht. Dadurch steigt die Gefahr, dass sich der Rechtsruck verstärkt, wenn wir keine eigenen Antworten bieten und uns stattdessen auf SPD und Grüne verlassen.
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