Ihre Schilder und Transparente gehören fast zum gewohnten Anblick zahlreicher Pride-Demonstrationen. Gruppierungen rund um den Slogan Queers for Palestine nutzen emanzipatorische Demonstrationen zur Verbreitung von Verschwörungsideologien und zur Stimmungsmache gegen Israel. Auch bei zahlreichen antiisraelischen Demonstrationen sind sie mit Schildern mit Aufschriften wie „No Pride in Apartheid“ oder „You can’t pinkwash genocide“ zugegen und teilen sich diese Plattform in teils kruden Allianzen mit Hamas-Sympathisant*innen, die mit Sicherheit nicht für ihre progressive Haltung gegenüber LGBTIQ* bekannt sind.
Insbesondere aktuell, in der ersten Pride-Saison nach dem antisemitischen Massaker der Hamas im Süden Israels am 7. Oktober 2023 und dem darauffolgenden Krieg, ist eine verstärkte Raumnahme antizionistischer Gruppen zu beobachten. Umso mehr lohnt sich der Blick darauf, wofür die Aktivist*innen rund um den Slogan Queers for Palestine stehen. Ein eindeutiges Bild gestaltet sich schwierig, denn es handelt sich nicht um eine feste Gruppe, die ein Manifest teilt oder durch Sprecher*innen vertreten wird, sondern vielmehr um eine Parole und Kampagne, unter der sich verschiedene Gruppen und Individuen sammeln.
Zu beobachten sind dennoch zwei zentrale inhaltliche Argumentationen. Zum einen sehen die Aktivist*innen in Israel die größte Gefahr für queeres Leben im Westjordanland und in Gaza. Dieses Argument entfaltet sich auf zwei Ebenen: So stelle einerseits die israelische Besatzung im Westjordanland das größte Hindernis für progressive Politik in den palästinensischen Gebieten dar, andererseits seien die Militärschläge Israels die größte Gefahr für queere Menschen in Gaza. Beide Seiten des Arguments entbehren jedes Kontextes und stellen nicht nur Israel als alleinigen Aggressor dar, sondern entheben gleichzeitig die Palästinensische Autonomiebehörde einerseits und die in Gaza regierende Hamas andererseits jeder Verantwortung für ihr Handeln.
Zudem werfen Gruppierungen rund um den Slogan Queers for Palestine dem Staat Israel ein Vorgehen vor, dass sie als „Pinkwashing“ bezeichnen: Gemeint ist damit, dass Israel seine mehr oder minder progressive Politik gegenüber queeren Menschen dazu einsetze, einerseits die arabischen Nachbarstaaten als rückschrittlich zu markieren und andererseits die Besatzung in der Westbank zu verschleiern. Bei diesem Vorwurf handelt es sich in erster Linie um eine Verschwörungserzählung, denn er setzt voraus, dass in Israel Politik nur aus Hinterlist gemacht würde – als handele die israelische Demokratie nur aus rassistischem Kalkül. Dies lässt völlig außer Acht, welche zivilgesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen und Kämpfe in dem kleinen Land im Nahen Osten ausgetragen werden und welche Erfolge einzig und allein der israelischen LGBTIQ*-Community zuzurechnen sind. Letztendlich können weder der Staat Israel noch die dortige queere Community gegen den Vorwurf gewinnen: Werden die Rechte von LGBTIQ* geschützt, gilt es als „Pinkwashing“, würden sie eingeschränkt, würde Israel – zu Recht! – dafür kritisiert.
Zum anderen ist eine weitere Argumentation zu vernehmen, die weitestgehend an den Slogan „Palestine is a queer issue“ anschließt, der in den vergangenen Jahren auf mehreren Pride Paraden prominent zu lesen war. Auch dieser stellt nicht etwa queere Menschen in den palästinensischen Gebieten in den Fokus der politischen Forderungen, sondern erklärt Palästina an sich zu einem queeren Anliegen. Den theoretischen Bezugsrahmen dazu bietet die Politik der Allianzen, wie sie israelfeindliche Intellektuelle wie die Queer-Thoretiker*in Judith Butler und die Bürgerrechtsikone Angela Davis seit Jahren preisen. Demnach seien alle Kämpfe gegen Unterdrückung miteinander verbunden und es könne keine Freiheit geben, solange nicht alle frei seien. Was als Grundsatz im ersten Moment schlüssig erscheint, scheitert jedoch ausgerechnet an der Einordnung Israels. Zugrunde liegt eine dichotome Einteilung der Welt in Unterdrückte einerseits und Unterdrückende andererseits. Demnach sei es ein queeres Anliegen, für die „Befreiung“ Palästinas zu demonstrieren, während Israel im gleichen Atemzug zum Unterdrücker und Kolonialstaat erklärt wird. Antisemitische Vernichtungsdrohungen, die sowohl Jüd*innen in Israel als auch in der Diaspora gelten, werden in dieser vereinfachten Vorstellung weggewischt, stattdessen werden antisemitische Tropen direkt auf den Staat Israel übertragen.
Welche Blüten das treibt, wurde bereits in den vergangenen Jahren sichtbar, besonders deutlich wird es aber seit dem 7. Oktober auf zahlreichen Demonstrationen. So beteiligte sich im Februar 2024 ein Demo-Block mit Queers for Palestine-Schildern an einer antiisraelischen Demonstration in Berlin und schloss sich einem Sprechgesang euphorisch an: „Yemen, Yemen, make us proud – turn another ship around!“ Eine derartige Parole, die der jemenitischen Bürgerkriegspartei Ansar-Allah (auch als Huthi-Rebellen bekannt) und deren Terror gegen Frachtschiffe auf dem Roten Meer gilt, macht hellhörig. Damit stimmen die Rufenden ausgerechnet eine Solidaritätsbekundung für eine islamistische Miliz an, die in den von ihr kontrollierten Regionen Jemens schwule Männer aufgrund ihrer Homosexualität hinrichtet. Allein im Januar und Februar 2024 verurteilten Gerichte in Dhamar und Ibb mindestens 22 Männer zum Tode – einige wurden gesteinigt, andere gekreuzigt. Andere wurden zu langen Gefängnisstrafen oder Auspeitschung verurteilt. Ähnlich irritierend erscheint es, dass keinerlei Kritik an Hamas, der palästinensischen Regierung in der Westbank oder der offenen Gewalt gegen LGBTIQ* in Palästina zu hören ist. Denn auch hier ist die Situation für queere Menschen katastrophal. Erst im Oktober 2022 wurde der 25-jährige Ahmad Abu Murkiyeh in der Nähe von Hebron enthauptet. Der junge schwule Mann war zwei Jahre zuvor vor seiner Familie zunächst nach Israel geflohen und stand kurz vor seiner Ausreise nach Kanada. Doch werden keine Fotos von Ahmad Abu Murkiyeh oder anderen verfolgten LGBTIQ* hochgehalten – ist es doch in dieser Situation weitaus schwieriger, Israel die Schuld in die Schuhe zu schieben.
Statt einer emanzipatorischen Kritik an Islamismus, der Solidarisierung mit denjenigen, die unter dem Joch islamistischer Terrororganisationen leiden oder auch der Formulierung tatsächlicher Forderungen an die israelische Politik schieben die Aktivist*innen die Situation von LGBTIQ* in der Region vor, um die Dämonisierung von Jüdinnen*Juden und des Staates Israel zu rechtfertigen. Damit lässt sich der Aktivismus rund um Queers for Palestine vor allem als eines begreifen: Als das „Pinkwashing“ von Antisemitismus.