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PodCasts für den Volksempfänger

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Es gibt auch Neonazis, die mit Computern umgehen können. Das ist banal, aber man muss offenbar darauf hinweisen angesichts der empörten Überraschung, die sich immer wieder breitmacht, wenn die Öffentlichkeit von scheinbar neuen Propaganda-Mitteln der extremen Rechten erfährt. Vergangene Woche wurde publik, dass die NPD eine eigene Wochenschau auf der Internetplattform YouTube plane, zwei Testsendungen gab es bereits. Und sofort raschelte es wieder im Blätterwald. Ein ARD-Sprecher teilte mit, man prüfe rechtliche Schritte, weil das Design an die Tagesschau angelehnt war. Es fehlte lediglich, dass sich ein Hinterbänkler von der Union für das Verbot rechter Videodateien im Internet aussprach.
Nur wer glaubt, alle Neonazis seien tumbe, arbeitslose, desorientierte Jugendliche, konnte über die NPD-Filmchen überrascht sein. Denn die Nutzung der jeweils neuesten Medien durch Rechtsextremisten ist nicht neu. Der Aufstieg der NSDAP gelang einst auch dank modernster Kommunikationstechniken, und das Dritte Reich hätte ohne Volksempfänger und Propagandafilme kaum funktioniert. Und die frühe NPD überraschte bei ihrer ersten Erfolgswelle Ende der 60er Jahre die Konkurrenzparteien und Beobachter durch hochprofessionelle Wahlkämpfe und Werbeaktionen.

Nach dem knapp verpassten Einzug in den Bundestag 1969 aber sank die NPD zur Splitterpartei hinab, und in der liberaler werdenden alten Bundesrepublik verlor sie dann völlig den Anschluss an den kulturellen Zeitgeist. Als Blues und Rock’n’Roll die Hitparaden stürmten, galt dies der NPD nur als amerikanische Unkultur. Sie pflegte das deutschvölkische Erbe, das Wander- und Volkslieder, Marschmusik und Wagner-Opern umfasste. Damals beschimpfte die Parteizeitung Beat und Pop „als akustisches Rausch¬gift“, das sei „der Tiefpunkt eines Verfalls, der mit Schönbergs atonalen Experimenten begonnen hat“. Auch der NPD-Nachwuchs Junge Nationaldemokraten war nicht weiter, er wollte damals die Jugend mit Schallplatten begeistern, auf denen der „JN-Chor NRW“ Lieder im Arbeitskampfstil schmetterte, begleitet von der „Fanfarengruppe des Spielmannszuges Albert-Leo Schlageter“ und dem heutigen DVU-Pressesprecher Bernd Dröse an Klavier und Heimorgel.

Doch das ist lange her. Im Laufe der neunziger Jahre hat sich die NPD rundum modernisiert, unter anderem entdeckte sie ? wie zuvor bereits andere Neonazi-Gruppen ? den aus England kommenden Skinhead-Rock als Rekrutierungsinstrument für die Jugend. Bereits auf ihrem Parteitag 1991 gründete die NPD einen „Arbeitskreis Medien und Technik“, im Januar 1992 startete sie einen Info-Dienst im Btx-Service der Deutschen Post. Der Bundesvorsitzende Udo Voigt erklärte sofort nach seinem Amtsantritt vor zehn Jahren „die verstärkte Nutzung des Kommunikationssystems Internet“ zu einem „Hauptziel der Partei“. Kurz danach ging die NPD als erste rechtsextremistische Partei Deutschlands mit einer Homepage ins World Wide Web.
Trotzdem erschrickt die Öffentlichkeit immer wieder, wenn sie auf rechtsextreme Technikfreaks aufmerksam wird. Der Focus berichtete im Herbst 1993 als erster über das sogenannte „Thule-Netz“, den Verbund eines Dutzends simpler Computer-Mailboxen, in die Rechtsextreme sich mit Modems zum Datenaustausch einwählen konnten; irgendwo lag da auch eine Anleitung zum Bombenbau, offensichtlich abgeschrieben aus einem in der Schweiz frei verkäuflichen Buch. Doch so ziemlich alle Medien zogen in den Folgewochen mit raunenden Berichten nach. Der Verfassungsschutz sah durch die Mobiltelefone und Verschlüsselungssoftware die Freiheitlich-Demokratische Grundordnung in Gefahr. Die bayerische Landesregierung forderte eine Ausweitung der Abhörbefugnisse. Und in Bonn überlegte das Innenministerium, „höhere Ebenen der Kommunikationstechnik“ zu verbieten ? so der damalige Staatssekretär Eduard Lintner (CSU), vermutlich ohne wirklich zu wissen, was er meinte.

Technische Innovationen wurden stets auch von Rechtsextremisten genutzt. Anfang der neunziger Jahre entstand ein Netz von Nationalen Infotelefonen ? Ansagedienste für Termine und Informationen auf der Basis von Anrufbeantwortern. Mitte der neunziger Jahre gründeten Berliner Rechts¬extremisten im Offenen Kanal der Hauptstadt ein „Radio Germania“, und als die Ausstrahlung von der zuständigen Medienanstalt untersagt wurde, wechselten sie ins Internet. Ende der neunziger nahm die Zahl rechtsextremer Homepages rasant zu, was wiederum für besorgte Mitteilungen des Verfassungsschutzes und atemlose Medienberichte sorgte. „Rechtsextremismus im Internet ? Die neue Gefahr“ lautet der Titel eines Buches aus dem Jahr 2001. Dass das Internet insgesamt explosionsartig wuchs und die Steigerungsraten bei den rechtsextremistischen Homepages sogar unterproportional waren, wurde ausgeblendet.

Als Neonazis das beliebte Computerspiel „Moorhuhnjagd“ abwandelten oder erstmals in das Gewand von HipHoppern schlüpften ? die leicht hysterischen Reaktionen waren immer dieselben: Die Öffentlichkeit will Entwicklungen erst nicht wahrhaben, dann schreckt sie plötzlich auf ? und nimmt gern vollmundige Ankündigungen rechter Kader für bare Münze. Deren Projekte dümpeln wegen handwerklichen Ungeschicks, Geldmangel oder interner Streitereien oft vor sich hin ? oder scheitern ganz. Seit langem gibt es auf rechtsextremen Homepages Audiodateien, die NPD zum Beispiel stellt seit Jahren ihre Wahlwerbespots ins Internet ? da waren rechtsextreme PodCasts nur eine Frage der Zeit. Die NPD-Wochenschau wurde von YouTube sofort gelöscht, aber weiterhin finden sich dort Musikvideos der in Deutschland verbotenen Neonazi-Band Landser oder Filmchen von Sommersonnenwendfeiern der heidnisch-rassistischen „Artgemeinschaft“ des Hamburger Anwalts Jürgen Rieger.
Rechtsextremisten haben das Internet nie abgelehnt, lediglich die Anglizismen stören. Deshalb nennen sie es lieber „Weltnetz“ und versenden „E-Post“, ihre „Heimatseiten“ lassen sie nicht von Webmastern pflegen, sondern von „Netzmeistern“. Angesichts einer „übermächtig erscheinenden gleichgeschalteten Presse“, schrieb die NPD-Zeitung Deutsche Stimme im September 2000, sei das Internet der „Schwerpunkt der nationalen Gegenöffentlichkeit“ und ein „wichtiger Gegenpol zum herrschenden Zeitgeist“. Seit Jahren ist das Internet der wichtigste Vertriebsweg für rechtes Propagandamaterial, aber auch für Musik und Szenekleidung. Ähnlich wie bei Sex-Shops ist der anonyme Zugang für die Kunden ein großer Vorteil. Und durch die Ansiedlung von Versandhäusern in Skandinavien oder den USA lassen sich die Verbote des deutschen Strafgesetzbuches einfach umgehen.
Zudem hat das Internet die Kommunikation erheblich verbilligt. Die Internetseite der NPD verzeichnet nach Parteiangaben rund drei Millionen Besucher pro Jahr. „So viele Flugblätter könnten wir niemals drucken oder verteilen“, sagt Pressesprecher Klaus Beier. Vor ein paar Monaten hat die Partei ihren Netzauftritt komplett überarbeitet, er kommt jetzt mit freundlichen Kinderfotos daher und ist erheblich besser gegliedert. Dank steigender Einnahmen aus der Wahlkampfkostenerstattung, so Beier, könne man sich neuerdings eine Redaktion mit zwei Teilzeitmitarbeitern leisten. Die Zahl der Zugriffe habe sich seit dem Einzug der NPD in den Sächsischen Landtag vor zwei Jahren fast verzehnfacht, achtzig Prozent der Anfragen und Materialbestellungen kämen heute auf elektronischem Weg in der Parteizentrale in Berlin-Köpenick an. Zum Jahresende, kündigt Beier an, solle die Wochenschau trotz des Rausschmiss? bei YouTube starten. Sie wird dann sicher weniger dilettantisch sein als die beiden Pilotclips, dass die NPD aber wirklich verführerische Filme hinbekommt, muss sie erst noch beweisen.

Der größte Vorteil des Internets ist, dass sich dort versprengte Einzelkämpfer zusammenfinden können ? und nichts anderes sind Rechtsextremisten im größten Teil der Bundesrepublik immer noch. Das Netz vermittelt Gemeinschaftssinn, wo man sich früher auf einsamen Posten fühlte. Für jede Spielart des Rechtsextremismus finden sich heute Seiten im Netz, nationalbolschewistische Pamphlete werden dort ebenso diskutiert wie die Sorgen von Skingirls mit dem Milchschorf ihrer Babies. Die Kehrseite ist, dass es nach wie vor keine zentrale Plattform der Szene gibt. Und schaut man sich die Foren genauer an, wird auch dort vor allem getratscht und geplappert wie in typischen Chatrooms, das gilt offenbar ebenso für die sagenumwobenen passwortgeschützten Bereiche rechter Homepages. In den vergangenen zwei Jahren haben linke Hacker Dutzende Nazi-Seiten geknackt, haben beispielsweise Adresslisten von Versandhäusern öffentlich ins Netz gestellt und die Inhalte interner Foren. „Da geht es vor allem darum, welche Band auf dem letzten Konzert besonders toll war oder wie das Besäufnis am vergangenen Wochenende verlief“, sagt Ulli Jentsch, der beim Berliner Archiv apabiz arbeitet und sich die Mühe gemacht hat, die hunderten Seiten Protokolle durchzuarbeiten. Das Niveau sei meist „wie am Biertisch oder Montagfrüh auf dem Schulhof“. Jedenfalls wird die Bedeutung des Internets von vielen Beobachtern überschätzt. Wirkliche Strategiedebatten finden nach wie vor eher bei persönlichen Treffen statt oder auf Papier, etwa in der Deutschen Stimme, die heute dank eines angeschlossenen Versandhauses erstmals in der NPD-Geschichte profitabel arbeitet und nicht zuletzt durch die Aufsätze der staatlich finanzierten Fachreferenten der Sächsischen Landtagsfraktion deutlich an Niveau gewonnen hat.

Wer regelmäßig über rechtsextremen Internet-Seiten surft, kann zugucken, wie sie sich weiterentwickeln. Immer mehr Homepages von militanten Neonazi-Kameradschaften haben einen attraktiven Stil und eingängige Sprache gefunden, sie kopieren Logos und Slogans linker Autonomer, längst bieten auch sie Grafitti-Schablonen und Aufkleber mit originellen Sprüchen und chicem Layout an. Auch technisch rüstet die Szene auf, der stellvertretende NPD-Landeschef in Thüringen, Ralf Wohlleben, zum Beispiel werkelt an einem eigenen Internetprovider, womit das häufige Abschalten rechter Homepages durch die großen Telekom-Anbieter künftig verhindert werden soll. Wohlleben hat eine Ausbildung als Fachinformatiker, doch selbst er versteht nicht genug von Datensicherheit, sogar sein Server wurde bereits von der Netz-Antifa geknackt. Bisher fehlen den rechten Nerds meist Kompetenz, Disziplin und Geduld oder schlicht genügend Gleichgesinnte, um voneinander lernen können.

Es gibt Neonazis, die mit Computern umgehen können, aber viele sind es nicht. Noch nicht.

Erschienen in Süddeutsche Zeitung, 5. Oktober 2006

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