Am Samstag, den 23. Juni wurde in der Ukraine ein 24-Jähriger mit 15 Messerstichen ermordet, als Rechtsextreme über das Lager einer Roma-Familie in Lwiw herfielen. Weitere vier Personen wurden bei dem Angriff schwer verletzt, darunter ein 10-jähriges Kind und seine Mutter, die versuchte ihr Kind vor den Messerstichen zu schützen. Die Täter*innen trugen Masken und waren mit Schlagstöcken und Messern bewaffnet.
Trotz des Mordes an dem jungen Rom, habe die Polizei am Wochenende Schlimmeres verhindern können, indem sie den Angriff beendete, so die offizielle Seite. Inklusive des 20-jährigen Anführers konnte die Polizei sieben weitere minderjährige Jugendliche festnehmen. Die ukrainische Menschenrechtsorganisation KHPG zweifelt allerdings an den Angaben der Polizei und übt scharfe Kritik. Einige Stimmen werfen den Behörden gar Mitwisserschaft vor.
Täter: Wie ist die „Nüchterne und wütende Jugend“ mit dem faschistischen „Asow“ verbunden?
Die Täter sollen nach mehreren Medienberichten der Gruppe „Nüchterne und wütende Jugend“ angehört haben, die sich auch „Lemberg Jugend“ nennt, was möglicherweise eine Anspielung auf die Hitlerjugend sein könnte. Laut dem ukrainischen Blog „Zaxid.Net“ ist diese faschistische Gruppe bisher nicht aufgefallen, weshalb man auch nichts über ihre Mitgliederstärke wisse.
In dem Telegram-Kanal der „Nüchternen und wütenden Jugend“, wimmele es laut „Zaxid.Net“ nur so vor neonazistischer Propaganda. Auf selbstgedrehten Videos der Gruppe sollen überdies Symbole der „Misanthropic Division“ zu sehen sein. Viele der „Misanthropen“ -Mitglieder traten zu Beginn des Donbass-Krieges 2014 in das nationalistische „Bataillon Asow“ ein. Hinter „Asow“ steht eine schwer bewaffnete Neonazi-Miliz mit militärischer Kampferfahrung. 2014 wurde es als Freiwilligen-Bataillon vom ukrainischen Militär anerkannt. Unter dem an die Wolfsangel der „SS-Panzerdivision“ angelehnten Logo kämpften die Söldner mit der militanten nationalsozialistische Untergruppe „Misanthropic Division“ gegen prorussische Separatisten in der Ostukraine.
Das „Asow“-Netzwerk warb 2017 auf einem Neonazi-Festival in Themar um Mitglieder und war in diesem Jahr bereits zu Gast im Haus der „Identitären Bewegung“ in Halle. „Asow“ werden gute Kontakte zum „III. Weg“ und zur NPD nachgesagt.
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Pogrome gegen Roma werden für den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine missbraucht
Nach dem tödlichen Überfall äußerten auch internationale Akteure ihr Entsetzen über diesen Mord. Einige Vertreter des ukrainischen Staats wehren sich allerdings gegen Kritik mit einem etwas seltsam anmutenden Argument: Der Chef der Sicherheitsbehörde SBU Hryzak sagte bei einer Pressekonferenz, Russland und seine Geheimdienste könnten hinter dem Angriff auf Roma in Lemberg stehen. Mit dem inszenierten Angriff sollte demnach also die Ukraine destabilisiert und ihr Ruf geschädigt werden. Die Behauptung, die Roma-Angriffe seien nur importiert, ist nicht nur falsch, sie versucht auch das Land von seiner Verantwortung zu befreien. Denn, der Mord am vergangenen Wochenende ist inzwischen das fünfte Pogrom allein innerhalb von zwei Monaten von rechtsextremen Gruppen gegen Rom*nija in unterschiedlichen Regionen der Ukraine:
Angriff der staatlich geförderten neonazistische Gruppe „C 14“
Am 21. April hatten Neonazis der Gruppe „C14“ in Kiew ein Roma-Lager niedergebrannt. Die Rechtsextremen prahlten mit ihrer Tat später auf Social-Media-Plattformen. Ein Video der Tat zeigt, wie maskierte Männer ganze Familien mit kleinen Kindern jagen, sie bewerfen und Zelte in Brand setzten. Auch bei diesem Pogrom gab die Polizei kein gutes Bild ab. Den Namen „C14“ kann man als einen Hinweis auf das Neonazi-Synonym der „14 Wörter zum Erhalt der weißen Rasse“ verstehen. Erst vor wenigen Wochen erhielt diese Gruppe 13.000 Euro von staatlichen Stellen.
Maskierte Männer greifen Roma-Lager an
Am 10. Mai tauchten im Dorf Rudne in der Region Lwiw etwa 30 maskierte Männer auf und drangen in die Hütten von Rom*nija ein, zogen Menschen aus ihren Betten, schlugen sie, setzten die Behausungen in Brand und zerstörten den Besitz der Angegriffenen, woraufhin diese flohen. Die Polizei nahm am Ort des Geschehens niemanden fest.
Sieben Erwachsene und 30 Kinder verlieren ihren Besitz
Am 22. Mai zwangen mit Schusswaffen und Baseballschlägern bewaffnete Männer in Welyka Beresowyzja Roma-Familien zur Flucht in den Wald und zündeten deren provisorische Behausungen an. Die Angreifer gaben Schüsse ab, drei Menschen wurden verletzt. Sieben Erwachsene und 30 Kinder verloren ihren Besitz und ihre Dokumente. Zeugenberichten zufolge wurden die Rom*nija im Krankenhaus abermals angegriffen. Auch hier gibt es schwere Vorwürfe gegen die Polizei.
„Nationalbrigade“ aus dem Kreis von „Asow“ greifen Lager vor Ablauf eines gestellten Ultimatums an
In einem anderen Fall, am 7. Juni haben etwa zwei Dutzend Mitglieder der „Nationalbrigade“, einer rechten Gruppe, die zum Kreis der rechtsextremen ukrainischen Partei „Nationalkorps“ gehört und von ehemaligen „Asow“-Mitgliedern gegründet wurde, ein Roma-Lager in einem Park in Kiew zerstört. Diese sich selbst als Bürgerwehr verstehenden Rechtsextreme, hatte den Roma zuvor ein 24-stündiges Ultimatum gestellt, wartete aber dessen Ende nicht ab. Auf einem von ihnen selbstgedrehten Video sieht man gen Ende auch einige Polizisten. Allerdings greifen die Beamten nicht ein. Vor den Augen der Polizei riefen Mitglieder der Miliz: „Ehre der Nation! Tod den Feinden!“
Politik muss für die Sicherheit der Menschen sorgen
„Es scheint, als ob Morde und Gewalttaten gegen Roma in der Ukraine und in Europa zur Normalität werden sollen. Die Politik und die staatlichen Institutionen müssen endlich ihre Verantwortung für Roma wahrnehmen und den Schutz der Menschen sicherstellen“, so Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma. Und in der Tat, was derzeit in der Ukraine geschieht ist schockierend. Erschreckend ist auch, dass die Täter mit ihren Angriffen öffentlich und teils unvermummt prahlen. Typische Vorurteile gegen Roma, die tief in den europäischen Gesellschaften sitzen, werden durch rechte Gruppen instrumentalisiert. Staatliche Stellen versprachen nun zwar eine entschlossene Reaktion, zivilgesellschaftliche Organisationen zweifeln aber an der Ernsthaftigkeit dieser Versprechen.