Das Internet gilt nach den Worten der Kanzlerin als Neuland und da trifft es sich gut, dass das sächsische Landeskriminalamt am Mittwoch in die Neuländer Straße in Dresden geladen hat. Dort wollen Beamte eine Erkennungssoftware für rechtsextreme Musik vorstellen, die schon vor ihrer Marktreife im Netz den schönen Spitznamen „Nazi-Shazam“ erhalten hat.
Neben der Zentrale des LKA befindet sich hier im Dresdner Norden auch jene des sächsischen Verfassungsschutzes. Man kann das an den Geheimdienstgesichtern der Mitarbeiter erahnen, die am Eingang durchs Drehkreuz schlüpfen. Gestört wird die fast konspirative Ruhe allein durch eine kleine Gruppe von Journalisten, die etwas aufgekratzt auf Einlass warten, als ginge es hier zum V-Mann-Casting.
Aber dann nennt eine Sprecherin den Konferenzraum als Ziel und dort ballert ein Beamer schon mit kryptischen Kringeln, die vertikal an der Wand herunterlaufen – eine neongrüne Matrix aus chinesischen Schriftzeichen. Der Bildschirmschoner gehört zum Rechner von Marcel Karras, dem Entwickler von „Nazi-Shazam“, und wie dieses Programm im Amtsdeutsch bezeichnet wird, das verrät Beamer Nummer zwei. Er schickt die erste Powerpointfolie der Präsentation an die Wand, Thema: „Automatisierte Analyse rechtsextremistischer Musik durch Audio-Fingerprinting“.
Bislang mussten sich Beamte einzeln durch die CDs hören
Namen sind Schwall und Rauch, entscheidend ist die Funktionsweise der Entwicklung von Karras und welchen Gewinn sie im Vergleich zur gegenwärtigen Methode des LKA bedeutet. Bislang mussten sich Beamte einzeln durch jede dieser CDs hören, um indiziertes Liedgut zu ermitteln, sie hatten Textzeilen zu identifizieren und diese dann mit DAREX abzugleichen, einer Datenbank innerhalb der Antiterrordatei. Eine mühselige Arbeit ist das und eine fast aussichtslose wird es, will man neben den CDs auch noch die stetig wachsende Zahl von Online-Radios mit rechtsextremistischer Musik überwachen.
Es braucht etwa eine Mannarbeitswoche, um acht Stunden völkischer Musik zu überprüfen. Mit Nazi-Shazam dauert der Abgleich eines Titels nur noch wenige Sekunden. Die Software nimmt alle 200 Millisekunden eine Art Fingerabdruck der Klangfrequenz. Pro Lied kommen etwa 1200 solcher Fingerabdrücke zusammen, sie werden zusammengefasst in einer gerade mal 15 Kilobyte großen Datei.
Die Beamten des LKA können nun Fingerabdrücke von neuen CDs oder aus Livestreams nehmen und diese durch die Datenbank schicken. Ähneln oder gleichen sich Abschnitte eines Frequenzgebirges mit denen eines bereits indizierten Songs, schlägt die Software an. Schlägt sie nicht an, muss das Lied wie bislang üblich individuell abgehört werden.
Deswegen soll die Datenbank zwei Listen enthalten: Eine schwarze Liste für verbotenes Liedgut, und eine weiße für den Persilschein auf dem kurzen Dienstweg. Karras bringt dafür bei der Präsentation am Mittwoch ein schönes Beispiel: Das Lied „Landungsbrücken raus“ von Kettcar gehört natürlich auf die weiße Liste, auch wenn der Titel anderes vermuten lassen könnte.
René Klose ist Abteilungsleiter beim LKA, sein Dezernat 37 ist unter anderem zuständig für „Mobilfunk- und Internetforensik“. Klose sagt, es gebe „viele Probleme, die sich nur noch lösen lassen, wenn man den Sachverstand eines Kriminalisten mit dem eines Informatikers kombiniert“. Gleich darauf greift er sich eine E-Gitarre und kombiniert den Sachverstand des Kriminalisten mit dem des Hobbymusikers. Klose spielt das Riff von „Highway to Hell“ und schon übersetzt der Rechner das musikalische in ein geographisches Riff.
Die Töne und Obertöne der Gitarre verdichten sich zu einer leuchtenden virtuellen Landschaft und Marcel Karras erklärt, wie sein Programm nun diese Landschaft mit bereits gespeicherten vergleicht: „Wir reden hier über Ähnlichkeiten, nicht über ein exaktes Verfahren“. Deswegen könne es bei entsprechender Qualität der Aufnahme durchaus funktionieren, sogar den Livemitschnitt eines Rechtsrockkonzerts mit der Datenbank zu überprüfen.
Eine Kiste voller CDs zeigt, was man als Rechter so im Repertoire hat
Die Software aber ist nur so gut, wie die dahinter liegende Datenbank. Bei der jüngsten Konferenz seiner Amtskollegen hat Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) deshalb bereits für das Projekt geworben, „der nächste Schritt muss sein, dass der Bund übernimmt“. Die Datenbank soll auf einem zentralen Server eingerichtet werden, auf den dann alle LKAs Zugriff hätten und auf welchem sie neue Musik für alle einpflegen könnten. Was man als strammer Rechtsaußen so im Repertoire haben kann, das zeigt die Kiste voller CDs, die in dem Konferenzraum des LKA aufgeklappt herumsteht. Die Gruppe „Bonzenjäger“ ist im Programm, daneben wallt „Arisches Blut“ und meutern die „Freibeuter“.
„Momentan“, sagt ein Abteilungsleiter des sächsischen LKA, sei es noch so, „dass eine CD, die sich ein sächsischer Beamter angehört hat, einer aus Thüringen dann vielleicht noch mal anhören muss“. Die Software, sagt Marcel Karras, laufe inzwischen zwar recht stabil, aber es stünden erst Fingerabdrücke von 7000 Titeln zum Abgleich bereit. Er hofft nun darauf, dass Behörden aller Länder bald ihre CD-Sammlungen einpflegen. Das aber, sagt Karras, sei „leider wirklich noch Zukunftsmusik“.
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