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Pop-Nazis machen Mode

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Die Polizeibeamten waren ziemlich überrascht, als die etwa 30 schwarz gekleideten Jugendlichen mit roten Fahnen an der Spitze der gut geschützten Neonazi-Demonstration auftauchten. Um Konfrontationen zwischen den Rechten und den vermeintlich linken Gegendemonstranten zu verhindern, versuchte die Polizei, die Gruppierungen zu trennen. Das hätten sie nicht zu tun brauchen, bei der kleinen Gruppe handelte es sich ebenfalls um Neonazis – wie sich später herausstellte.

Während die Szene vor gut einem Jahr – während eines rechten Aufmarsches in Berlin-Treptow – noch zu Irritationen führte, überraschen solche Situationen die Polizei nicht mehr. In Berlin sowie bundesweit schmücken sich immer mehr Rechtsextreme mit als links geltenden Accessoires wie Palästinenser-Tüchern oder Che-Guevara-Shirts.

Dabei machen sich die Nazis besonders antiamerikanische und antisemitische Strömungen innerhalb der Linken zunutze. Deren Symbole werden dabei aus ihrem ursprünglichen Kontext gerissen, vereinnahmt und im Sinne der rechten Ideologie umgedeutet – als Provokation und gleichzeitig als Teil einer rechten Querfront-Strategie.

Diese Übernahme der linken Symbolik ist aber in der Nazi-Szene umstritten. Zugleich hat sich bei jungen Neonazis ein neuer Modetrend durchgesetzt. „Der Trend geht hin zum modischen Outfit und Style, was aber nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass sich da ideologisch nicht viel geändert hat“, meint Falco Schuhmann vom „Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin“ (apabiz). Das Image vom typischen rechten Skinhead stimme schon lange nicht mehr mit der Realität überein. Sind Nazis Pop?

Seine Wurzeln findet dieser Trend in Berlin. Eines der Unternehmen das von dem fragwürdigen Modetrend profitieren ist die Firma Mediatex von Axel Kopelke und Uwe Meusel in Königs Wusterhausen. Zwar wurde kurzeitig das Logo der Mediatex-Marke „Thor Steinar“ aufgrund der zweideutigen Runen-Symbolik verboten. Doch die Mediatex GmbH hat eine neue Kollektion mit verändertem Logo auf den Markt gebracht. Mit Erfolg.

Ebenfalls in Berlin ansässig ist die in der Szene beliebte Modemarke „Rizist“. Daneben existieren allein in Berlin viele Läden, die diese Produkte verkaufen: ?Ha-Ra-Kiri?, ?On the Streets?, ?Nordic Thunder?, ?Kategorie C? und ?Doorbreaker?. Die Umsätze in den Geschäften folgen diesem Trend. Thor Steinar erzielte 2006 einen Jahresumsatz von 2,5 Millionen Euro, hat insgesamt 67 markenrechtliche Eintragungen für verschiedene Logos und Namen der Thor-Steinar-Kollektion.

Der Run auf das „Thor Steinar“-Logo ist zugleich ein Indiz, dass aus der Nazi-Szene sich längst eine einflussreiche Jugendbewegung herausgebildet hat. „Die Tatsache, dass rund 20 Prozent der jugendlichen Erstwähler die NPD gewählt haben, ist doch ein Alarmzeichen“, sagt Hajo Funke, Politikwissenschaftler und Rechtsextremismus-Experte an der Freien Universität (FU). Indem sich die extreme Rechte zugleich offen, modisch und ungefährlich gebe, falle es viel leichter, öffentlich aufzutreten und sich als ernst zu nehmender Diskussionspartner darzustellen. Funke sieht im neuen Nazi-Outfit-Image auch ein strategisches Vorgehen, nämlich „die völkische nationalsozialistische Gesinnung in die Öffentlichkeit zu bringen“.

Die jüngsten Beispiele geben ihm Recht: Ob auf Friedensdemonstrationen oder gegen Hartz IV, überall treten in letzter Zeit Neonazis mit neuer Kleidung und neuem Selbstbewusstsein in Erscheinung. Die Wahlerfolge in Sachsen und Brandenburg geben ihnen zusätzlich das Gefühl, breitere Bevölkerungsschichten hinter sich stehen zu haben. Ein Problem, das auch Schuhmann sieht: „Mit bestimmten ideologischen Einstellungsmustern wie Antisemitismus, Rassismus oder Nationalismus sind die Nazis noch nie überall angeeckt. Nur dieses martialische Skinhead-Outfit stieß immer auf Ablehnung.“

So stellt sich die Frage, wie zukünftig neue Strategien für ein Engagement gegen rechts samt neuem Modetrend aussehen müssen. Funke setzt dabei auf Überzeugungsarbeit und eine frühzeitige „kommunikative Konfrontation“ von rechtsorientierten Jugendlichen. „Mit Nazis diskutieren wird zu nichts führen“, meint dagegen Schuhmann, der auch ein „Kleiderverbot“ à la Thor Steiner ablehnt. Er schlägt stattdessen eine andere Strategie vor, nämlich eine nichtrechte Jugendbewegung wieder zu stärken. Damit könne man die Attraktivität der Nazis und ihrer Accessoires bei den Jugendlichen nehmen und deren „Hegemonie in der Jugendkultur“ zurückdrängen.

taz-Artikel vom 22.01.2005

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