Bundesregierung verharmlost tödliche Dimension rechter und rassistischer Gewalt
Opferberatungsprojekte gehen von mindestens 136 Todesopfern rechter Gewalt seit 1990 aus
In ihrer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Bundestagsabgeordneten Petra Pau (Die Linke) hat die Bundesregierung aktuell erklärt, seit 1990 hätten Sicherheitsbehörden insgesamt 40 Tötungsdelikte mit rechtem Hintergrund registriert. Die Beratungsprojekte für Opfer rechter Gewalt in den neuen Bundesländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und in Berlin halten diese Zahl für „falsch“; sie gehen von mindestens 136 Todesopfern rechter und rassistischer Gewalt aus. „Mit den jetzt veröffentlichten Zahlen der Bundesregierung wird die tödliche Dimension von Rechtsextremismus und Rassismus weiter verharmlost,“ heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Projekte.
Mindestens vier Tötungsdelikte mit rechtem Hintergrund in 2008
Die Beratungsprojekte verweisen dabei zum einen auf mindestens vier Tötungsdelikte mit mutmaßlichem rechtem Hintergrund alleine im Jahr 2008: Am 22. Juli 2008 wurde in der brandenburgischen Kleinstadt Templin ein 55-jähriger Mann getötet. In der Anklage der Staatsanwaltschaft Neuruppin gegen zwei Polizei bekannte Neonazis heißt es dazu unter anderem, das Tatmotiv für den Mord gründe in der rechtsextremen Gesinnung der Angeklagten. Am 1. August 2008 starb in Dessau (Sachsen-Anhalt) ein 50-jähriger Wohnsitzloser an den Folgen brutaler Misshandlungen, die ihm nach Ansicht der Sicherheitsbehörden durch zwei Männer im Alter von 24 und 33 Jahren zugefügt wurden. Bei den Durchsuchungen der Wohnungen der Tatverdächtigen fanden die Ermittler u.a. rechtsextreme Musik. Die Strafverfolgungsbehörden gehen davon aus, dass u.a. eine menschenverachtende Haltung gegenüber sozial Schwachen zur Tat geführt habe. Wenige Tage später, am 6. August 2008 tötete ein 35-Jähriger in Berlin-Marzahn einen vietnamesischen Mann mit mehreren Messerstichen. Zuvor hatte der Täter sein Opfer beraubt und als „illegalen Zigarettenhändler“ bei der Polizei gemeldet und diese aufgefordert, „etwas zu unternehmen“, ansonsten würde er selbst etwas tun. Der Täter hatte laut Medienberichten außerdem mehrfach erklärt, dass „Fidschis“ verschwinden sollten. Neun Tage später, am 17. August 2008 wurde dann in Magdeburg der 20-jährige angehende Kunststudent Rick L. nach dem Besuch einer Großraumdiskothek getötet. Als Tatverdächtiger muss sich seit Anfang Dezember 2008 ein 20-jähriger bekennender Neonazi vor dem Landgericht Magdeburg verantworten. Die Anklage geht u.a. davon aus, dass Rick L. getötet wurde, weil er den vorbestraften Neonazi als „Hobby-Nazi? bezeichnet haben soll.
„Fälle müssen erneut geprüft werden?
Zudem verweisen die Opferberatungsprojekte auf die Ergebnisse eigener Recherchen und die Ausstellung „Opfer rechter Gewalt“ des Vereins Opferperspektive, die mindestens 136 Todesopfer rechter Gewalt alleine für den Zeitraum von 1990 bis zum Jahr 2005 dokumentiert. Beispielhaft für die in der Ausstellung dokumentierten Fälle verweisen die Beratungsprojekte auf den Tod des 48-jährigen Hartmut Balzke im Februar 2003 in Erfurt. Der 48-Jährige starb nach einem Angriff von Rechten auf Punks; doch erst im Sommer diesen Jahres ? fünfeinhalb Jahre nach der Tat ? zog das Landgericht Erfurt einen zur Tatzeit bekennenden Rechten wegen Körperverletzung mit Todesfolge dafür zur Rechenschaft. „Das Urteil und der Prozess wurden erst vor wenigen Monaten bundesweit in den Medien kommentiert,? so die Projekte. „Wie es dazu kommt, dass die Thüringer Sicherheitsbehörden diesen Fall dem Bund nicht nachgemeldet haben, bleibt unerklärlich.? Die Beratungsprojekte erinnern daran, dass Bund und Länder schon im Jahr 2001 zugesichert hatten, alle mutmaßlichen Tötungsdelikte mit rechtem Hintergrund zwischen 1990 und 2001 anhand der seit 2001 bundesweit gültigen Kriterien für „politisch rechts motivierte Kriminalität? erneut zu überprüfen sowie regelmäßige Nachrecherchen zu veranlassen. „Jetzt stellt sich die Frage, ob die Kriterien für politisch rechts motivierte Gewalttaten bei Tötungsdelikten immer noch nicht flächendeckend umgesetzt werden,? so die Projekte. „Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, über die tödliche Dimension von Rechtsextremismus und Rassismus informiert zu werden. Die Angehörigen, Hinterbliebenen und FreundInnen der Toten haben ein Recht darauf, dass die Motivation der Täter klar benannt wird.“