Während die Demonstration von Pro Chemnitz um die Innenstadt zog, hatte der Gegenprotest die Veranstaltung im Stadthallenpark bereits beendet. Der Pressesprecher des Bündnis Chemnitz Nazifrei sowie der Vorsitzende der Chemnitzer Linkspartei waren auf dem Weg durch die Innenstadt, als sie laut eigenen Berichten von einer Gruppe von fünf bis acht Neonazis verfolgt und angegriffen wurden und daraufhin in das nahegelegene „Rothaus“ flüchteten. Die Gruppe folgte ihnen, bewarf die Eingangstür mit Eiern und schmiss die Scheibe eines ungenutzten Raums im ersten Stock ein. Verletzt wurde niemand. Das angegriffene Gebäude des Rothaus e.V. wird von verschiedenen Gruppen und Initiativen genutzt, außerdem haben mehrere Bundes- und Landtagsabgeordnete der Partei Die Linke dort ihre Büroräume.
An der parallel verlaufenden Demonstration von Pro Chemnitz nahmen laut der Polizei bis zu 2.500 Menschen teil, darunter viele Teilnehmer aus rechten Strukturen in ganz Sachsen, wie dem rechten Bündnis „Wellenlänge Heidenau“ oder dem teilweise vom Verfassungsschutz beobachteten Verein „Heimattreue Niederdorf“. Mitglieder dieser Strukturen waren, wie in den vergangenen Wochen auch, wieder für die Ordnerdienste zuständig.
Im Nachgang der letztwöchigen Demonstration war es am Schlossteich nahe der Innenstadt zu einem Übergriff durch eine selbsternannte Bürgerwehr auf Migranten gekommen. Die Täter sollen die Personalausweise der anwesenden Personen verlangt haben und dann handgreiflich geworden sein. Robert Andres, Anmelder der Demonstration, distanzierte sich in seinem Redebeitrag von diesem Angriff, kündigte aber gleichzeitig an, man wolle in Zukunft Bürgerstreifen organisieren, um für Sicherheit in der Stadt zu sorgen. Dafür wurde eine Handynummer verlesen, über die die Bürgerstreifen sowie Seminare zur Vorbereitung inklusive Selbstverteidigungstrainings organisiert werden sollen. Damit springt „Pro Chemnitz“ auf das Konzept der Bürgerwehren auf, dass durch die „Schutzzonen“-Kampagne der NPD gerade ein Revival erlebt.
Am Rande der Versammlung von Pro Chemnitz kam es erneut auch zur Bedrohung von Journalist*innen, wie es seit Beginn der rassistischen Demonstrationen in Chemnitz fast immer der Fall ist. Immer wieder wurde der betroffene Journalist von Demonstrationsteilnehmer*innen, unter anderem dem Chemnitzer AfD-Kreisvorstandsmitglied Nico Köhler, angegangen, bedrängt und bedroht. Besonders tat sich dabei der Dresdner Rechtsanwalt Jens Lorek hervor, der mehrfach von der Polizei aufgefordert werden musste, den Pressevertreter seine Arbeit machen zu lassen. Lorek ist seit Jahren bei Pegida in Dresden aktiv und erlangte einige spöttische Aufmerksamkeit, als er das damals neue „Zählsystem“ der Organisatoren gegenüber der Morgenpost vorstellte und vor laufender Kamera zu sehen war, wie eine Demonstrantin mehrere Münzen in die grüne Tonne warf – ein Vorgang, den der Rechtsanwalt gerade erst dementiert hatte.
Als es am Freitagabend zu einem tätlichen Angriff auf den Journalisten kam, war es auch Jens Lorek der den Täter mit weiteren Ordnern deckte und gegenüber der Polizei sagte, er habe von dem Schlag gegen den Reporter nichts gesehen. Im Nachgang zu dieser Tätlichkeit, von der die Polizei nichts gesehen hatte, wurde dem Journalisten von einem der Polizisten zu verstehen gegeben, dass er, wenn er durch das Anfertigen von Fotos weiter die Demonstrationsteilnehmer*innen provoziere, mit einem Platzverweis zu rechnen habe. Nach den Vorfällen des LKA-Mitarbeiters, der ein Kamerateam des ZDF bedrängt hatte, das danach 45 min von der Polizei an ihrer Arbeit gehindert wurde, sollte das Presserecht der Polizei eigentlich bekannt sein. Rechte bedrängen immer wieder Journalisten, um die ihnen unliebsame Berichterstattung zu unterbinden. Ein vor ihren Augen angedrohter Platzverweis zeigt ihnen, dass sie mit ihrer Einschüchterungstaktik Erfolg haben können, wenn die Polizei mitspielt. Der Pressesprecher der Chemnitzer Polizei sagte gegenüber dem betroffenen Journalisten später, dass seine Arbeit natürlich von der Polizei geschützt werden würde.
Einen weiteren Ausrutscher erlaubte sich die Polizei am „Rothaus“, als einer der anwesenden Beamten der Kriminalpolizei Vermutungen anstellte, dass es sich nicht um einen Angriff durch Neonazis gehandelt haben muss, sondern die Scheibe auch durch den Wind beschädigt worden sein könnte. Mit den letztwöchigen Übergriffen und dem Angriff auf das Rothaus setzt sich unterdessen die Reihe von Gewalttaten im Umfeld der Demonstrationen von Pro Chemnitz fort.