Belltower.News: Sie unterstützen Betroffene von Hassgewalt. Was ist eigentlich Hassgewalt und wo beginnt sie?
Aurélie Wallaschkowski und Kat Dressel: Wir benutzen eine Definition, wonach Hassgewalt auf gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit basiert. Das heißt, dass Rassismus, Antisemitismus, Ableism, LSBTI-Feindlichkeit, Sexismus, Obdachlosenfeindlichkeit und allen anderen menschenverachtenden und vorurteilsmotivierten Einstellungen die Tatmotive von Hassgewalt sind. Hassgewalt kann sich aber auch gegen Menschen richten, die sich für demokratische und menschenrechtliche Grundrechte einsetzten, also Aktivist:innen, Journalist:innen und Politiker:innen. Hassgewalt beginnt schon bei einer Bedrohung, darunter fallen auch Beschimpfungen und Beleidigungen, bis hin zu körperlichen Angriffen und Sachbeschädigung. Typisch für Hassgewalt ist, dass die Betroffenen nicht als Individuen angegriffen werden, sondern als vermeintliche Repräsentant:innen einer Gruppe.
Der Soforthilfefonds ist für Betroffene in Berlin, gibt es in der Hauptstadt besonders signifikante Formen der Hassgewalt?
In Berlin gibt es alle möglichen Arten der Hassgewalt. Durch die Diversität der Stadt sind die Menschen hier von unterschiedlichen Diskriminierungsformen betroffen. Die meisten Anträge kamen bislang von Menschen, die von Rassismus und/oder Transfeindlichkeit betroffen sind. Als Referenzpunkt nutzen wir gerne die Berliner Registerstellen, welche Vorfälle von rechtsextremer und diskriminierender Gewalt bearbeiten und auflisten. Im Jahr 2020 haben sie vor allem rassistische, antisemitische und LSBTI-feindliche Vorfälle registriert. Leider müssen wir aber davon ausgehen, dass die Dunkelziffer der Vorfälle sehr hoch ist. Bestimmte Formen der Hassgewalt sind sichtbarer bzw. herrschen für Sie mehr Sensibilität, als für andere Formen. Zum Beispiel fängt man jetzt erst an, antifeministische Vorfälle aufzunehmen.
Gibt es eine bestimmte Zielgruppe für die Unterstützung?
Wir versuchen, alle Arten von Betroffenengruppen zu erreichen und so die Zielgruppe so offen wie möglich zu gestalten. Die Herausforderung an dem Projekt ist es, das Angebot so niederschwellig zu gestalten, sodass wir auch besonders marginalisierte Betroffenengruppen erreichen wie beispielsweise obdachlose Menschen.
Wie unterstützen Sie die Betroffenen von Hassgewalt genau?
Eine finanzielle Soforthilfe ist unser Hauptthema. Das Maximum bei der finanziellen Unterstützung liegt bei 1.000 Euro pro Einzelfall. Das bedeutet: Wenn eine Person mehrmals Hassgewalt erlebt und daraufhin für unterschiedliche Maßnahmen Gelder beantragen möchte, ist das auch möglich. Wir bieten außerdem Antragsberatung an, in der wir mit den Betroffenen gemeinsam herausarbeiten, welche Art der Unterstützung benötigt wird. Dabei unterstützen wir unabhängig von der Einschätzung von Polizei und Justiz: Wir sind parteiisch und solidarisch mit den Betroffenen. Darüber hinaus fühlen wir uns verantwortlich, Betroffenen eine erste emotionale Unterstützung anzubieten sowie an andere Beratungsstellen oder Initiativen weiter zu vermitteln.
Wofür ist die finanzielle Hilfe gedacht?
Wir können alle Maßnahmen finanzieren, die mit einer Tat oder Bedrohung zusammen hängen. Das kann sehr unterschiedlich ausfallen, da natürlich der Bedarf von den Betroffenen sehr unterschiedlich ist. Beispiele für eine finanzielle Unterstützung wären: Umzugskosten oder Installation von Sicherheitsmaßnahmen bei Bedrohung zu Hause, ein neues Handy oder eine neue Brille bei Sachbeschädigung sowie Anwaltskosten und Therapiekosten.
Wie ist das Projekt Berlin gegen Hassgewalt entstanden?
Es wurde erkannt, dass staatliche Unterstützungsmöglichkeiten nicht an den Bedürfnissen der Betroffenen angepasst sind. Die Antragstellung ist einfach zu kompliziert und viele Menschen erleben eine Retraumatisierung, wenn sie von dem Erlebten nochmal berichten. Für Opferberatungsstellen und zivilgesellschaftliche Unterstützungsangebote wäre der verwalterische Aufwand zu hoch gewesen. Deswegen brauchte es ein Projekt, das beides zusammen denkt. Ein Beispiel dafür, wieso es einen solchen Fonds braucht, ist das Anton-Schmaus-Haus in Neukölln. In dem Haus sitzt der Jugendverband „Die Falken“, aus diesem Grund wurde das Anton-Schmaus-Haus mehrmals Zielscheibe von rechtsextremen Brandanschlägen. Die Falken starteten daraufhin eine Kampagne, um einen Zaun um das Haus als Schutzmaßnahmen finanzieren zu können. Infolgedessen ist unter anderem unser Fonds entstanden.
Wieso ist eine schnelle und möglichst unbürokratische finanzielle Unterstützung so wichtig?
Taten aus Hassgewalt gehen für die Betroffenen oft mit einem Gefühl von Ausschluss, Ohnmacht und Ungerechtigkeit einher. Eine schnelle finanzielle Unterstützung kann zwar das Geschehene nicht wieder gut machen, kann aber zur Verbesserung der Situation beitragen und ist zudem ein Zeichen von Solidarität. Außerdem kann sie auch die Arbeit von Opferberatungs- und Anti-Diskriminierungsstellen, die etwa psychologische Unterstützung bieten, ergänzen.
Was ist Ihre Botschaft an die Berliner Zivilgesellschaft?
Unsere Botschaft an Betroffene ist, dass wir uns mit ihnen ganz klar solidarisieren und sie mit den durch die Tat oder Bedrohung entstandenen Kosten nicht alleine lassen. An den Rest der Zivilgesellschaft wollen wir appellieren, dass die Unterstützung von Betroffenen eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Solidarisiert euch mit Betroffenen von Hassgewalt und bietet Unterstützung an, denn niemand sollte damit alleine gelassen werden!
Weitere Informationen auf der Website des Soforthilfefonds
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