Mit brennenden Fackeln in der Dunkelheit versammelten sich mutmaßlich rechtsextreme Gegner:innen der Corona-Maßnahmen am 3. Dezember abends vor dem Haus der Gesundheitsministerin Sachsens, Petra Köpping. Die rund 30 Sachsen, überwiegend männlich, waren mit Trillerpfeifen, Rasseln, Fackeln und Plakaten vor das Wohnhaus der SPD-Politikerin in der Nähe von Leipzig gezogen. Unter anderem wurde von dem Mob „Frieden, Freiheit, keine Diktatur“ skandiert, bis die Polizei eintraf. Dann versuchte die Personengruppe zu fliehen. Allerdings konnten 15 Fahrzeuge kontrolliert werden, bei 25 Personen wurde die Identität festgestellt und Ordnungswidrigkeiten wurden angezeigt.
„Die Aktion der Querdenker am Freitagabend vor dem Privathaus von Petra Köpping ist unwürdig, abscheulich und absolut nicht tolerierbar. Es ist ein ekelhafter Einschüchterungsversuch. Der Schritt zur Gewalt ist da nur noch ein sehr kleiner. Das ist niemals zu akzeptieren“, sagt der Co-Vorsitzende der SPD Sachsen, Hennig Homann. Die Partei fordert ein konsequenteres Vorgehen gegen Querdenker und einen besseren Schutz von Politiker:innen. Auch Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) hat den Aufmarsch mutmaßlich Rechtsextremer verurteilt: „Mir fehlt jegliches Verständnis, wenn Amts- und Verantwortungsträger und ihre Familien im privaten Raum bedroht werden.“ Daher forderte der Politiker „Schnellprozesse, um Verstöße gegen die Corona-Schutzmaßnahmen sofort und rigoros zu ahnden.“
In Sachsen, wo lange Zeit ein eher lockerer Politikkurs bezüglich Corona gefahren wurde, herrschen zurzeit strenge Regeln. Kundgebungen dürfen lediglich stationär stattfinden, nur mit Ausnahmegenehmigung dürfen es mehr als zehn Teilnehmende sein. Doch es fällt der Polizei schwer, diese Regelungen umzusetzen.
So überstiegen auch am gestrigen Sonntag, dem 5. Dezember 2021, einige Kundgebungen die Teilnehmendenzahl. In Oschatz entlang der B6 versammelten sich rund 50 Personen, die Polizei stoppte diese allerdings nicht und verwies auf die Zuständigkeit der Versammlungsbehörde des Landkreises. In Freiberg kamen am Obermarkt um 16 Uhr rund 150 Personen zusammen. Hier griff die Polizei aber ein. Ein Pärchen, das an einer geschlossenen Weihnachtsmarkt-Bude mit Glühwein angetroffen wurde, widersetzte sich der Polizei. Sie weigerten sich den Platz zu verlassen und ihre Ausweise vorzuzeigen. Der Mann wurde kurz darauf aggressiv und verletzte dabei einen Polizisten leicht, eine Anzeige wurde gegen ihn erstattet. Rund eine Stunde später wollten Polizeikräfte vor dem Bürgerhaus einen Transporter-Fahrer kontrollieren, der laut aus seinem Fahrzeug heraus das „Steigerlied“ abspielte. Der Mann weigerte sich, von dem Platz wegzufahren. Stattdessen fuhr er plötzlich auf eine vor dem Transporter stehende Beamtin zu und stoppte nur kurz vor ihr. Die Polizei leitete Ermittlungen wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung ein. Dazu wurden auch 15 Ordnungswidrigkeiten-Anzeigen wegen Verstößen gegen die Corona-Notfallverordnung aufgenommen. Die betroffenen Personen erwartet nun nach Paragraf 6 der Verordnung jeweils ein Bußgeld in Höhe von 250 Euro.
Weitere Kundgebungen fanden in Pirna, Frankenberg und Borna statt. Diese Kundgebungen wurden von der Polizei aufgelöst, nachdem sie sich überall mehr als zehn Personen versammelt hatten. Es zeigt sich, dass die Polizei auch in Sachsen langsam einen strengeren Kurs gegen die „Querdenken”-Szene anstrebt.
Die Rolle der „Freien Sachsen“
Die entscheidende Rolle für die große Zahl an Protesten gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der vierten Covid-19-Welle übernimmt in Sachsen die rechtsextreme Partei „Freie Sachsen“, die im Februar dieses Jahres gegründet wurde. Auf Telegram ist die Partei sehr erfolgreich. Ihr Kanal hat bereits rund 95.000 Abonnent:innen und wächst weiter schnell. Dort postet die Partei Aufrufe, Informationen und auch Artikel zu Demonstrationen und Kundgebungen in ganz Sachsen. Allein für diesen Montag tauchen Aufrufe für fast 80 Orte in Sachsen auf, für Sachsen-Anhalt sind es 17. Zudem wird heute ein Protest vor dem Landtag in Dresden erwartet, der Grund ist eine erwartete Entscheidung des Parlaments am Mittag über die Feststellung der epidemischen Lage im Freistaat. Die Polizei bereitet sich auf einen Großeinsatz vor. „Auch Extremisten mobilisieren für einen Protest vor dem Sächsischen Landtag. Unsere Gefahrenprognose, Grundlage unserer Einsatztaktik, ist damit eine ganz andere als an den vergangenen Montagen“, sagte Polizeipräsident Jörg Kubiessa. Auch in Chemnitz und Freiberg sollen Proteste stattfinden, für zweiteren mobilisiert das rechtsalternative Compact-Magazin.
Der „Kerzenprotest“
Bei den Kundgebungen werden häufig Grablichter und andere Kerzen auf Marktplätzen abgestellt, aber auch vor Kliniken. Ist Deutschland für die Protestierenden gestorben? Inhaltlich geht es verschwörungsideologisch her, ein Hauptthema ist der eigene Kampf gegen eine angebliche „Diktatur“ in Deutschland.
Derweil forderte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmar am 2. Dezember 2021 in der ZDF-Talkshow Maybritt Illner die Verschärfung der Strafverfolgungsmöglichkeiten angesichts von „Telegram-Gruppen, diese rechtsextremen Gruppen von 30, 40, 80.000 Menschen, die sich zusammengetan haben, um bösartigste Propaganda, aber auch Hass, Hetze und wirklich zersetzende Dinge proklamieren. Wir müssen da etwas tun. Das passt nicht in unsere sonstige Medienregulierung, diese Menschen verstecken sich dahinter, dass es ein Nachrichtendienst ist und kein soziales Netzwerk“. Dass damit die „Freien Sachsen“ gemeint waren, ist offenkundig. Aber auch die SPD in Sachsen fordert ein härteres Vorgehen: „Die SPD unterstützt die Forderung der Innenministerkonferenz nach eine stärkeren Regulierung der Messengerdienste, um die Verbreitung von Hass und Hetze zu stoppen“, so Partei-Vize Homann. Für den sächsischen Innenminister Wöller sind das „längst keine harmlosen Messenger-Dienste mehr“, sondern „Plattformen für Hass und Hetze“. „Diese Grenzüberschreitung seien auch der Versuch, die freiheitliche Demokratie zu delegitimieren“, sagte Wöller weiter. Es brauche in der Gesellschaft mehr Zivilcourage. „Gerade in einer solchen Krise brauchen wir gemeinsame Werte und Zusammenhalt“.