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Queere Solidarität „Pride Soli Ride“ fährt zu CSDs in Kleinstädten

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Am Samstag demonstrierten 1000 Menschen in Bautzen für queere Sichtbarkeit. (Quelle: picture alliance/dpa | Sebastian Willnow)

Ein Gespräch mit der Gruppe „Pride Soli Ride” über den CSD in Bautzen, Solidarität mit Queers in Ostdeutschland und was die Zeit nach den Landtagswahlen bringen kann.

Belltower.News: Als Anfang des Jahres nach der Correctiv-Enthüllung Massen gegen rechts auf die Straße gingen, redeten viele Linke, Queers, von Rassismus betroffene und jüdische Menschen übers Auswandern, wenn Deutschland zu gefährlich würde. Sie organisieren Solidarität in Orte, wo Deutschland schon gefährlich ist. Beobachten Sie eine Abwanderung aus den ostdeutschen Kleinstädten in die größeren Städte?
Pride Soli Ride: Das ist schon lange passiert. Anfang August hat beim Brandenburg Abend im Berliner Club „about blank“ eine 17jährige aus Bautzen von ihren Erfahrungen erzählt vor dem CSD in der Stadt. Sie meinte, es sei total schräg, es gebe die Jugendlichen, die sich engagieren und dann die Älteren, die so ab Mitte 40 aufwärts sind und die Generation dazwischen fehle. Dann hab ich mich so ertappt gefühlt, das bin ich und das sind meine Freunde, die in den Nullerjahren aus der Provinz weggezogen sind. Das war auch richtig damals, weil ich es nicht ausgehalten hab und so alleine und frustriert war. Aber die Leute, also wir, fehlen jetzt offensichtlich in der Zivilgesellschaft und beim Aufbau vom lokalen Widerstand gegen Rechts. Die anderen sind ja geblieben. Und jetzt wird wieder so was passieren, wenn wir es nicht schaffen, das noch rumzureißen, weil es wahnsinnig anstrengend ist, sich immer wieder bestimmten Belastungen auszusetzen.

Belltower.News: Kommt daher auch die Motivation, jetzt vor den Landtagswahlen diese gemeinsamen Anreisen zu den Demos zu organisieren?
Ja, ich glaube, das ist für eine bestimmte Generation schon ganz lange Thema, und die werden gerade deswegen auch wieder aktiver. Es ist ja auch kein Zufall, dass diese Ost Millennial Literatur, diese literarische Auseinandersetzung mit den Baseballschlägerjahren jetzt kommt. Wir sind eben nach Berlin oder Leipzig gegangen, um ein einigermaßen schönes Leben zu haben. Aber das hat es vor Ort nicht einfacher gemacht. Ich werde nie vergessen, wie ich den Neunzigern so mit 13 die einzige Antifademo bei mir im Dorf gesehen habe, weil da ein NPD-Parteitag war. Das war so krass zu sehen, es gibt nicht nur Faschos und Leute, die mit den Faschos abhängen! Es war so wichtig für mich zu merken, ich bin nicht alleine, ich bin nicht falsch. Und das ist heute wieder wichtig, real vor Ort zu sein, dahin zu fahren und den Leuten zu sagen, Yo, es ist übelst krass, was ihr hier auf die Beine stellt. Macht bitte weiter und lasst darüber sprechen, wie wir euch helfen können!

Belltower.News: Vielleicht ein bisschen provokant, aber hilft es wirklich, wenn Berliner*innen quasi Demotourismus betreiben? Sollten die Leute sich nicht lieber mehr in die Strukturen vor Ort einbringen?
Es braucht beides! Wir aus der Großstadt haben es einfacher, wir können abends wieder zurückfahren, aber es hilft tatsächlich, wenn die Leute vor Ort sehen, sie sind nicht alleine. Man braucht bei solchen Events ja schon eine kritische Masse an Leuten, die überhaupt da sind und einfach Gesicht zeigen und womöglich Schutz bieten. Damit die Leute nicht alleine sind, und es so ermöglicht, sich überhaupt hinzutrauen für junge Queers. Und dann braucht man auch Leute, die noch mal den Schritt weitergehen und die Infrastruktur unterstützen: sich in die Struktur einbringen, recherchieren und die Augen aufhalten. Dann können die Leute vor Ort auch einfach feiern. Eigentlich sollte das ja immer so sein, dass man safe ist und offen sein Queersein feiern kann, aber so können wir das eben für einen Tag ermöglichen. Deswegen sind wir auch froh, dass Antifagruppen auf unsere Initiative aufmerksam geworden sind und jetzt auch mitkommen. Das ist dann auch ein besserer Schutz für die „Reisegruppe”.

Jetzt gerade war der CSD in Bautzen, viele werden übers Wochenende die Bilder von Hunderten gewaltbereiten Nazis gesehen haben, die eine eigene Demo kurz hinter dem CSD machen konnten. Wie gefährlich war es vor Ort?
Es war sehr heftig. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal eine so große Gruppe gewaltbereiter und stramm organisierter Nazis gesehen habe, geschweige denn, so nah an denen dran war. Die Polizei hat wirklich nur das Allernötigste gemacht, teilweise war diese Gegendemo nur 10 bis 20 Meter vom CSD entfernt. Wenn da nicht viele stabile Antifas am Start gewesen wären, hätte das ganz anders ausgehen können. Wenn rechte Demos gegen Linke geschützt werden sollen, hat man dagegen weiträumigste Absperrungen. Es gab mehrere Situationen, als rechte Streamer und auch Kleingruppen in den CSD rein sind und wir die selber wieder rausbefördern mussten. Und wenn die Dresdener Antifas nicht das Gleis besetzt hätten und so die Nazis daran gehindert hätten, in unseren Zug zu steigen, hätte das auch schon vorher übelst eskalieren können. Darüber müssen wir viel mehr sprechen, dass bunte CSDs in manchen Gegenden ohne eine entschlossene Antifa, die auch eingreifen kann, nicht möglich wären.

Wie war denn die Stimmung sonst in der Stadt?
Leider wirklich wenig freundlich. Es gab nicht nur die Faschodemo, sondern rundherum auch viele Anwohner*innen, die uns feindselig angeschaut haben. Das müssen sich die Leute, die auf Insta nach den großen CSDs so lapidar „Wir sind mehr“ posten, bitte mal bewusstmachen, dass das leider so (noch) nicht stimmt. Es waren etwa 1000 Queers und Antifas, 700 organisierte Hardcorefaschos, viele davon wahrscheinlich aus der Region und die Mehrheit der Leute drumherum war auch eher queerfeindlich. Das zeigt deutlich an welchen Stellen wir den Leuten, gerade in der ostdeutschen Provinz, solidarisch zur Seite stehen müssen.

Wie gefährlich ist queerer, feministischer und linker Protest zurzeit?
Es wird deutlich schlimmer, die Stimmung wird angespannter und die Ablehnung nimmt zu. Diesen Sommer gab es auf einer Freizeit mit queeren Jugendlichen ständig abfällige Bemerkungen in einem Ort, wo wir schon seit Jahren problemlos hinfahren. Die Faschos, auf die man trifft, werden jünger und dreister. Es gab bei allen CSDs, zu denen wir bisher gefahren sind, nur einmal keine Bedrohung. Anfang August in Rathenow sind zum Beispiel ganz lange jede Menge Leute parallel gelaufen, so eine Mischung aus Leuten mit Deutschlandfahnen, Nazis und Afdlern. Da hätte nur mal jemand ausrasten müssen… Die Polizei konnte uns gar nicht schützen, die waren nur zu zehnt. Als wir sie darauf hingewiesen haben, dass diese Leute am Rand eigentlich was anmelden müssten, haben sie ganz ungehalten reagieren. Da ist also oft nichts zu erwarten. Umso wichtiger ist der antifaschistische Selbstschutz.

Wie läuft das ab, wenn so eine Gruppe Berliner Queers, die sich nicht kennen, nach Brandenburg, Sachsen oder Thüringen zu einem CSD fährt?
Wir treffen uns zur Anreise mit den Leuten am Bahnhof und hoffen, dass da nicht irgendwer vom III. Weg auf uns wartet, das ist bisher noch nicht passiert. Gruppenstärke ist immer von Vorteil. Einige behalten immer die Umgebung im Auge, da ist es dann wirklich gut, wenn erfahrene Antifas dabei sind, die die ganzen Codes der Nazis kennen und auch deren Gesichter. Den Leuten, die noch nicht so erfahren sind, sagen wir, guckt aufeinander, bleibt beieinander, geht aus der Situation raus, seid lieber vorsichtig. Wenn uns etwas verdächtig vorkommt, versuchen wir zu deeskalieren, das Bahnpersonal anzusprechen und nicht in den Konflikt zu gehen. Wenn man mit so einer erkennbar queeren Gruppe unterwegs ist, fängt man sich ja leider schnell einen transfeindlichen Spruch ein. Dann stellt sich ja jedes Mal die Frage, was macht man, drückt man dann den Spruch dagegen, tut man so, als hätte man nichts gehört. Das ist vielleicht frustrierend, aber unsere Strategie ist, sicher anzukommen und uns nicht provozieren zu lassen.

Warum ist die Solidarität für queere Menschen in der Provinz vor den Landtagswahlen besonders wichtig?
Die Prognosen für die Landtagswahlen sind ziemlich verheerend, und es gibt keinen Anlass sich das schönzureden. Die AfD wird viele Stimmen dazu gewinnen, und wenn sie die stärkste Partei in den Landtagen werden, gewinnen sie Einfluss und Finanzierungsmöglichkeiten dazu, selbst wenn sie nicht an die Regierung kommen. Das stärkt dann die lokalen rechten und extrem rechten Strukturen. Und es sind ja nicht nur Rechte, die gendergerechte Sprache, geschlechtersensible Pädagogik und queere Existenzen an sich für überflüssig und „Gaga“ halten, das ist ja leider eher normal. In Sachsen und Thüringen belegen die AfD, die CDU und das BSW die ersten drei Plätze, alles drei Parteien, die queere Lebensentwürfe ablehnen. Das heißt nichts Gutes für die emanzipatorischen Initiativen vor Ort. In solchen Zeiten ist es eben umso wichtiger progressive Kräfte nicht alleine zu lassen, sondern präsent zu sein.

Also auch über die Pride-Season und die Landtagswahlen hinaus?
Auf jeden Fall. Es gibt ja schon Initiativen, wie Polylux, die Geld sammeln für lokale Initiativen in den östlichen Bundesländern oder das Solidarische Bündnis gegen rechts, das solidarische Netzwerk-Arbeit macht und Ressourcen teilt, Brandenburger Antifas unterstützt. Ganz wichtig ist ja die Vernetzung und der Zugang zu Infrastruktur. Dabei muss man die Akteur*innen vor Ort fragen, was braucht ihr? Nach den Wahlen werden die Leute sich sortieren müssen und deswegen muss man eben jetzt schon gucken, wie man sich nachhaltig vernetzen und Support aufbauen kann. Nach den Wahlen werden Gelder für linke Projekte wegfallen, das ist leider realistisch. Und dann sollen die Leute das ehrenamtlich machen und unter dem hohen Repressionsdruck, den es gerade gegen Antifastrukturen gibt? Da braucht s noch viel mehr Solidarität, da müssen wir unsere etwas bequemen Großstadthintern auch mal mehr hochkriegen.

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