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Queers for Palestine Bunte Fassade, blinde Flecke

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"Queers for Palestine" sind überall aktiv. In Berlin, aber auch in Lyon im Juni. (Quelle: picture alliance / Hans Lucas | Matthieu Delaty)

Der sogenannte Nahost-Konflikt lässt unheilige Allianzen entstehen. Zu den ungewöhnlichsten dieser Bündnisse zählt zweifellos die Gruppe „Queers for Palestine“. Es zieht sie zwar nicht im militärischen Sinne ins Feld, da sie sich als Friedensaktivist*innen sehen, aber ihr propagandistischer Feldzug sticht ins Auge. In- und außerhalb der Regenbogen-Community wirbeln sie viel Staub und – aufgrund ihres irreführenden Namens und ihres fragwürdigen Aktionismus –  werfen verschiedene moralische und ethische Fragen auf.

Die Anhängerschaft ist ein bunt zusammengewürfelter Haufen von White Saviors und Migrantifas, die gemeinsam jedweden Buchstaben des Akronyms LGBTQIA vertreten: Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans*, Queere, Intersexuelle und asexuelle Menschen. So weit, so gut. Indem sie unter dem Banner dieser Basisorganisation stehen, erwecken sie allerdings den Eindruck, die Bodenhaftung verloren zu haben. Im Grunde genommen sollten sich glücklich schätzen, dass sie wahrscheinlich nie im Leben den Boden von Gaza betreten würden. Nicht, dass sie solch einen Ausflug ernsthaft vorhätten. Auf dem Boden der Tatsachen liegt nämlich einfach zu wenig Glitzer.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass sich die Anhänger*innen, auch und gerade in ihrer Eigenschaft als queere Personen, eigentlich viel wohler in dem pulsierenden hedonistischen Labyrinth von Tel Aviv als in den verwinkelten Tunneln eines islamistischen Terrorstaates fühlen müssten. Das kann man ihnen nicht übelnehmen, ihre Scheinheiligkeit aber schon.

Weltanschauung und Widersprüche

Palästina und Queersein, schon die Zusammenstellung wirkt wie ein Oxymoron. Die Thematik hat dennoch seit mehr als zwei Jahrzehnten eine politische Dimension. Siehe alQaws. Diese arabischsprachige Abkürzung steht für den „Regenbogen für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in der palästinensischen Gesellschaft“. Entsprungen im Jahre 2001 aus dem Grasroot-Aktivismus, etablierte sich alQaws wahrhaftig als Vorreiter des kulturellen und gesellschaftlichen Wandels im Bereich der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt in Palästina. Es wurde jahrelang als ein eigenständiges lokales Projekt des Jerusalem Open House betrieben, entwickelte sich aber dann 2007 zur offiziell anerkannten NGO und avancierte erstaunlich rasch zur wichtigsten Interessenvertretung für LGBTQ-Rechte in Palästina.

Nach und nach erlangte Queerness in Palästina das Ansehen und ja den Anspruch, eine Befreiungsideologie zu sein. Sie wurde als ein essenzielles Element des palästinensischen Kampfes gegen den „zionistischen Siedlerkolonialismus“ betrachtet. Dass die anfängliche Regenbogen-Rhetorik schließlich der der vermeintlichen Dekolonialisierung diente, war unvermeidbar. Siehe Decolonial Queering: The Politics of Being Queer in Palestine.

Als alQaws florierte, hatte Israel in Gaza das Sagen. Der palästinensische Regenbogen entfaltete sich also unter der Schirmherrschaft der israelischen Besatzer. Allerdings zog sich Israel 2005 aus dem Küstenstreifen zurück. 2006 wählte die Bevölkerung Gazas die Hamas ins Amt – und seit 18 ununterbrochene Jahren übt die Terrororganisation die Alleinherrschaft aus. Es dürfte nicht überraschen, dass die queere NGO alQaws ein Dorn im Auge der Hamas war. Mit der Einführung der Scharia verschärfte sich die Lage der queeren Menschen in Gaza deutlich. Die Sitten wurden durch das „Committee for the Propagation of Virtue and the Prevention of Vice“ (dt. „Ausschuss für die Verbreitung der Tugend und die Verhütung des Lasters“), eine nach Modell der iranischen Mullahs wütende Moralpolizei, aber auch durch bereitwillige Zivilist*innen durchgesetzt. Interessant auch: Dekolonialisierungsaktivist*innen argumentieren gerne, das Gesetz, das zehn Jahre Zuchthaus für homosexuelle Handlungen vorsieht, stamme aus der Zeit der britischen Besatzung. Auf die Frage, warum es auch in den 18 Jahren Hamas-Herrschaft nicht abgeschafft wurde, bleibt indes unbeantwortet.

Wie Augenwischerei Antisemitismus fördert

Keine Geringere als Amnesty International, Liebling der Israel-Kritiker, dokumentiert und verurteilt seit Jahren die Menschenrechtsverletzungen der palästinensischen Behörden und Bevölkerung gegenüber queeren Personen. Aber das lässt einige Linke in der westlichen queeren Szene kalt. Denn sie ätzen eher hysterisch als historisch fundiert gegen die „israelische Apartheid“ und auch das „Pinkwashing“. Letzterer Begriff bezeichnet die vermeintliche Instrumentalisierung queerer Menschen dazu, die Politik Israels gegenüber Palästina zu rechtfertigen. Bisher war ihr Erfolg eher mittelmäßig.

2019, während ich als Gastmoderatorin im RBB live den CSD begleitet, bin ich den Queers for Palestine begegnet. Es war ein wunderbarer CSD, der letzte vor Covid-19, und man erblickte in dem Meer voller Menschen zahlreiche freudig geschwenkte israelische Flaggen. Doch am Rande der Megaveranstaltung taten Queers for Palestine ihren Unmut darüber kund, dass sie nicht zur Geltung kommen durften: ,,Auf die Straße gegen Kriminalisierung und pro-zionistische Hetze!“ Auf einem sonst friedlichen, sonnigen CSD gab es vereinzelte Teilnehmende, die offenbar sehr unglücklich über die israelischen Flaggen waren. Nach meiner Moderation, etwa zwei Stunden später im Tiergarten, wollte eine kleine Gruppe wissen, warum ich BIPoC-FLINTA verraten hätte. (Am Abend zuvor hatte ich eine Mail bekommen, die mich darum gebeten hat, im Fernsehen dazu aufzurufen, Stellung gegen Israel zu beziehen. Natürlich lehnte ich es ab und blockierte den Absender.)

Selbst der Radical Queer March, eine Alternative zu dem als zu kommerziell und zu apolitisch empfundenen CSD, hatte 2019 Bedenken, die Queers for Palestine mitmarschieren zu lassen. Am Mariannenplatz im Herzen Kreuzbergs seien sie nach eigenen Angaben wegen ihrer Unterstützung der BDS-Bewegung ausgeladen worden. BDS (Boycott, Divestment, Sanctions) steht für Boykott, den Abzug von Investitionen und die Implementierung von Sanktionen gegenüber dem israelischen Staat. Der Appell stieß damals auf wenig Resonanz. Doch mittlerweile ist das anders.

Mit dem 7. Oktober 2023, als die Hamas den tödlichsten Massenmordanschlag auf das Judentum seit der Shoah verübte, erhielten Queers for Palestine, Gays for Gaza und ähnliche Gruppierungen schlagartig viel Zulauf. Ob in Manhattan oder Montreal, München oder Melbourne, sind sie durch ihre antiisraelischen Antipathien und ihre Ignoranz vereint. Ihre performative Solidarität sieht nicht vor, dass sie die Hamas kritisieren, geschweige denn, dass sie alQaws Mut machen oder sogar einen Finger krumm machen, um Queers aus Palestine unter die Arme zu greifen.

Seit 2018 helfe ich ehrenamtlich mit bei der Betreuung queerer Geflüchteter. Dazu zählen elf aus Palästina, darunter eine afro-palästinensische Lesbe aus Al-Abeed in Gaza. Die Hetze und Gewalt, der jene Menschen unter der Hamas gerade noch entkommen konnten, machen ihnen heute noch Angst. Aber das passt nicht ins Narrativ der Queers for Palestine.

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