Kaputte Holzlatten und Polizist*innen umgrenzen den schmucklosen Kirmesplatz in Bochum-Gerthe. Bloß 300 „Querdenker*innen“ haben sich an diesem Samstag, dem 21. November 2020, am kargen Stadtrand nahe der Autobahn-Auffahrt und dem örtlichen Gefängnis versammelt. Traurig flattern weiße Luftballons rechts und links von der kleinen Bühne. Vermeintlich Bürgerliche, weniger schillernde Esoteriker*innen und Friedensbewegte hören Ärzt*innen und Anwält*innen zu. Es geht nicht um die große Verschwörung, sondern um lebensnahe Lügen, wie zum Beispiel, dass Kinder angeblich unter den Alltagsmasken sterben.
Die meisten Anwesenden tragen Masken. Eine Frau mit Rastazöpfen, die sich weigert, wird kurzerhand abgeführt. Eine andere Frau singt einen Schlager über Widerstand. Etwas abseits kicken sich ein paar gelangweilte Neonazis eine Kastanie zu. Nach dem lange ersehnten Umsturz sieht es an diesem Samstag in Bochum nicht aus. Nach den pompösen Großdemos in Berlin und einer erfolglosen OB-Kandidatur in Stuttgart macht Michael Ballweg jetzt Basisarbeit.
Denn an der Basis bröckelt es. Weil er sich, wenn auch nur halbherzig, vom „Reichstagssturm“ und den „Reichsbürger*innen“ distanziert hat, ist der rechte Rand der Protestbewegung unzufrieden. Der rechtsextreme Kochbuchautor Attila Hildmann vermutet hinter dem schwäbischen Unternehmer gar den „deep state“. Und nach einem „Strategietreffen“ mit dem „Reichsbürger“ Peter Fitzek gab es Unmut unter den „Querdenker*innen“: Fitzek hat sich 2012 selbst zum Herrscher seines Fantasiestaates „Königreich Deutschland“ ausgerufen – und seine Anhänger*innen mit dem Verkauf von Fantasiegeld um mehrere Millionen Euro betrogen.
Sogar der „Querdenken“-nahe Martin Lejeune, der weder mit Hamas noch Erdogan ein Problem hat, gibt sich in einer Videobotschaft über das Treffen mit Fitzek entrüstet: Die Monarchie sei keine Lösung für „Querdenken“. Aber um die Einführung der Monarchie ging es auch gar nicht: Ballweg wollte mit dem vom Verfassungsschutz beobachteten „Reichsbürger“ und verurteilten Betrüger Fitzek über „Stärken und Schwächen von zinsbasierten Geldsystemen“ und ein „stabiles und unabhängiges Geld- und Finanzwesen“ sprechen, wie aus einer Pressemitteilung von „Querdenken711“ hervorgeht.
Neue Strategien gibt es auch im Umgang mit kritischer Presse – allerdings nicht ganz so, wie es zunächst anmutet: Am Rande der Veranstaltung in Bochum spricht Ballweg freimütig über das Treffen mit Fitzek. Der habe einen Vorschlag für ein neues Geldsystem unterbreiten wollen, dieser sei aber nicht umsetzbar gewesen. „Aber wenn sie Vorschläge für ein neues Geldsystem hätten, können sie die ja einreichen“, so Ballweg.
Ballweg plane auch, „Querdenken“ über die Covid-19-Pandemie hinaus fortzuführen: „Da werden sich viele Dinge daraus ergeben, die ergeben sich ja jetzt schon: Es gibt Anwälte für Aufklärung, die Ärzte für Aufklärung“, sagt er von der Bühne. Und worum soll’s gehen? „Das Grundgesetz war gut und hat uns 70 Jahre gute Dienste geleistet. Aber es hat uns nicht davor geschützt, dass der Bundesrat und die Parlamente sich selbst entmachten.“ Ob man aber die Regierung ja im September nicht einfach abwählen könnte? Ballweg bleibt skeptisch: „Wenn dann noch Wahlen stattfinden“, sagt er.
Die Nazis stehen einsam abseits. „Lügenpresse“ zu rufen, schickt sich hier nicht. Doch kritischer Berichterstattung kann man auch anders beikommen. In seiner Rede zitiert Ballweg Passagen der Berichterstattung über „Querdenken“ und kommentiert sie knapp: Die Bezeichnung „Coronas-Chef-Skeptiker“ sei eine „unwahre Tatsachenbehauptung“, der Ausdruck „Ballweg-Fans“ „ehrverletzend, herabsetzend“. Man werde in der kommenden Woche Musterschreiben für Beschwerden beim Presserat zur Verfügung stellen – eine übliche Strategie der „Querdenken“-Bewegung. „Ich bitte euch alle, diese auszufüllen und abzusenden“, sagt Ballweg seinem Publikum.
Letztlich ist das eine hohle Drohkulisse: Ballwegs Solidarität mit der antisemitischen „QAnon“-Bewegung, die fortlaufende Duldung des Holocaust-Leugners Nikolai Nerling durch zentrale „Querdenker“-Akteure wie Ralf Ludwig und andere Bezüge zu rechtsextremen und verschwörungsideologischen Gruppen sind gut belegt. Dass sich trotzdem Medien von kritischer Berichterstattung abhalten lassen, bleibt mehr als zweifelhaft.
Ballwegs Vorredner Dirk Sattelmaier brachte es etwas deutlicher auf den Punkt: „Wenn ich morgen irgendwas hier in der lokalen Presse sehe, dass hier diese Versammlung nicht regelkonform stattgefunden hat, dann werden wir diese Presse mal angehen – und fragen, was wir denn noch tun müssen“, sagte der Rechtsanwalt. Sattelmaier ist einer der „Anwälte für Aufklärung“. Mit denen soll es laut Ballweg auch nach der Pandemie weitergehen. Das ist keine große Überraschung: Denn um die Pandemie ging es nie wirklich.