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„Race Realism“ Die Rückkehr der Rassenlehre

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Im Deutschen Hygiene Museum in Dresden wird noch bis zum 6. Januar die Ausstellung "Rassismus: Die Erfindung von Menschenrassen" gezeigt. Dieses Bild ist in Bezug auf den Text humoristisch gemeint. (Quelle: Equality and Human Rights Commission (EHRC)/Foto: Ben Nott)

 

Nach heutiger Erkenntnis gibt es keine wissenschaftliche Begründung für die Einteilung der Menschen in Rassen. Und doch existieren „Menschenrassen“ – nicht als biologische Fakten, sondern als Denkstrukturen in vielen Köpfen. Rassistische Ideologien gehen von der menschenfeindlichen Idee aus je nach Ethnie gäbe es unterschiedliche Intelligenz-Voraussetzungen.

Große Teile des nationalistischen Weltbildes der rechtsextremen Alt-Right-Bewegung in den USA und der so genannten “Neuen Rechten” in Deutschland fußen auf der Vorstellung, die eigene “weiße Rasse“ oder das “weiße Volk” sei anderen überlegen. Besonders an der Überlegenheit der eigenen Intelligenz besteht in diesen Kreisen kein Zweifel und je dunkler die Hautfarbe, desto geringer der IQ, so die Vorstellung. Vertreter*innen dieser zutiefst rassistischen Behauptung argumentieren gerne mit kruden wissenschaftlichen Thesen zu Intelligenz und Abstammung. Sie nennen es „Race Realism“.

Oft beziehen sie sich auf „The Bell Curve“ (Die Glockenkurve), ein Wissenschafts-Buch von dem Psychologen Richard Herrnstein und dem Soziologen Charles Murray. Der Titel des Werks bezieht sich dabei auf die Gaußsche Normalverteilung, die unter anderem die Verteilung von Intelligenz beschreibt: Nur sehr wenige Menschen eines Jahrgangs haben einen extrem niedrigen und extrem hohen Intelligenzquotienten. Die große Mehrheit liegt im Mittelfeld. In „The Bell Curve“ behaupten die Autoren, die Intelligenz-Kurve für schwarze Menschen ist eine andere als die weißer Menschen, ihr Mittelwert sei niedriger.   

 

Die Behauptung in „The Bell Curve“: Die Intelligenz-Kurve für schwarze Menschen sei nach links verschoben. Daraus würde folgen, dass POC im Durchschnitt dümmer seien als Weiße. Quelle: Wikipedia, CC BY-SA 3.0

 

Und tatsächlich belegen Untersuchungen aus den USA, dass die Durchschnitts-Intelligenz von Schwarzen etwa 10 bis 15 Punkten unterhalb des Mittelwerts von 100 liegt. Die meisten Wissenschaftler*innen sind sich darin einig, dass dieses Ungleichgewicht an den gesellschaftlichen Benachteiligungen liegt. Wie in vielen Zwillingsstudien geklärt wurde, ist das maximale Intelligenzpotential angeboren, es liegt aber an der Umwelt, ob es sich voll entfalten kann.

 

Sozialdarwinismus und Rassismus pseudo-wissenschaftlich begründet

Herrnstein und Murray stellen dennoch die These auf, arme Menschen seien arm, weil sie nicht intelligent seien. So erklären sie sich dann auch, dass überdurchschnittlich viele Schwarze ökonomisch schlechter gestellt sind als Weiße in den USA. Sie behaupten, der geringe Durchschnitts-IQ bei US-amerikanischen Schwarzen sei genetisch begründet.

25 Jahre vor Erscheinen von „The Bell Curve“ hatte bereits der Psychologe Arthur Jensen von der University of California in Berkeley einen Aufsatz veröffentlicht, der Leistungsunterschiede in den Schulen als erbbedingt darstellte: Die meisten minderbegabten Kinder hätten eine dunkle Hautfarbe, deshalb sei mangelnde Intelligenz ein Merkmal ihrer Ethnie. Aus diesem Grund würde es auch nichts bringen, Kinder aus sozial benachteiligten Minderheiten besonders zu fördern.

Die Annahme, dass ein niedriger IQ die Ursache eines niedrigen sozioökonomischen Status ist verwischt jedoch die Grenzen von Ursache und Wirklichkeit. Wahrscheinlicher ist, dass sich beide Faktoren im Laufe eines Menschenlebens gegenseitig beeinflussen.

 

Armut und Intelligenz wirken wechselseitig

Zu Zeiten der Sklaverei hat die US-Gesellschaft Menschen mit dunkler Hautfarbe Schulausbildung und den Zugang zu Büchern verweigert. Viele Generationen wurden von der weißen Bevölkerungsmehrheit systematisch von der Bildung ausgeschlossen. Die offizielle Abschaffung der Sklaverei hat daran wenig geändert. Auch heute mangelt es der afroamerikanischen-Bevölkerung oft an Förderungen. Da Intelligenz in den ersten 15 Lebensjahren entwickelt wird, ist sie maßgeblich abhängig von Quantität und Qualität des Besuchs von Kindergarten und Schule, so der Psychologe Aljoscha Neubauer von der Uni Graz gegenüber „Spiegel Online“. Aber auch die Ernährung und das Verhalten der Mütter während der Schwangerschaft spielen bei der Intelligenz eines Kindes eine wesentliche Rolle.  

 

Gibt es ein Intelligenz-Gen?

Untersuchungen haben allerdings gezeigt, dass es eine biologische Wurzel, bestehend aus einem oder einigen wenigen Intelligenz-Genen, nicht gibt – ebenso wenig wie beispielsweise ein Mathe-, ein Schwulen-, ein Verbrecher- oder ein Kommunisten-Gen. Offenbar sind es Hunderte, wenn nicht gar Tausende Gene, die für die kognitiven Fähigkeiten eines Menschen eine Rolle spielen – und wie sie das tun, entscheidet sich im Zusammenspiel mit der Umwelt.

 

Benachteiligung der Weißen?

Eine Schlussfolgerung der Befürworter*innen des “Race Realism” in den USA ist,  dass die USA aufhören sollten, den materiellen Lebensstandard armer Kinder zu verbessern, weil dies dazu führe, dass arme Frauen mit niedrigem IQ mehr Kinder bekommen würden. Weiter noch: Antidiskriminierungsmaßnahmen, die dazu dienen sollen, Chancengleichheit in der Bevölkerung herzustellen, seien nicht nur unnütz, sondern auch ungerecht, da so etwa Afroamerikaner*innen Studienplätze oder Jobs erhielten, für die sie aufgrund ihrer geringen Intelligenz gar nicht qualifiziert seien. Förderungsmaßnahmen mit dem Ziel, Intelligenzunterschiede auszugleichen, führten nur zu sozialen Spannungen und zu Hass der eigentlich benachteiligten weißen Bevölkerung auf die afroamerikanische. Außerdem trüge diese Art von Fördermaßnahmen zur Verdummung von Schulen und Universitäten bei. Auch Entwicklungsgelder an afrikanische Staaten solle eingestellt werden, da dies nur verschwendete Gelder seien. Außerdem drängen sie darauf, die Migration in die USA einzudämmen.

 

Der Einfluss auf die US-Politik

Obwohl Fans immer wieder behaupten, Herrnstein und Murry würden systematisch zum Schweigen gebracht, haben ihre Thesen die amerikanische Politik bereits verändert. Der Einfluss von „The Bell Curve“ auf die gegenwärtige US-Politik ist nicht zu übersehen. Die Warnung vor der Verbreitung „schlechter Gene“ durch Einwander*innen aus Südamerika und Afrika wurde von Präsident Donald Trump aufgegriffen, der vor einigen Monaten meinte, es würden zu viel Migrant*innen aus „Shithole“-Ländern in die USA einreisen. Zwar begründet Trump seine Änderungen in der Einwanderungs-Politik nicht spezifisch mit dem IQ, doch sein Streben nach einem „leistungsbasierten“ Einwanderungssystem ist durch die Sorge motiviert, die „falschen“ Leute könnten in die USA migrieren.   

 

Arme Kinder leiden mehr als doppelt so häufig an Lernschwächen

Obwohl die USA etwas reicher sind als Westeuropa, hat es die schlimmste Kinderarmutsrate in der westlichen Welt: 21,1 Prozent, wenn man die Armutsgrenze als Basis nimmt, weniger als 24.000 Dollar Jahreseinkommen für eine vierköpfige Familie. Jedes fünfte Kind gilt als arm, das sind über 15 Millionen Kinder. In Deutschland sind es 6,2 Prozent, in Schweden sogar nur 3,6 Prozent.

Arme Kinder leiden mehr als doppelt so häufig an Lernschwächen. Dabei gibt es unzählige Studien, die nachweisen, dass ein Land am meisten davon profitiert, wenn es in die Bildung von einkommensschwachen Kindern investiert. Eine besonders wichtige Rolle kommt dabei der Schule zu, da sich die Intelligenz eines Menschen erst durch den Schulbesuch entwickeln kann. Dabei ist besonders die Unterrichtsqualität von Bedeutung. In ghettoisierten Gebieten, in den häufig POC und arme Menschen zusammenleben, lässt das Bildungsangebot allerdings oft zu wünschen übrig.  

Noch gravierender fällt die Bilanz aus, wenn man sieht, wo der US-Wohlstand wohnt: Weiße Haushalte mit mittlerem Einkommen besitzen im Schnitt acht Mal so viel Wohlstand wie schwarze und ist zehn Mal so hoch wie der von Latinos der gleichen Einkommensgruppe. Bis heute leben zwei Drittel der Schwarzen in einkommensschwachen Vierteln, die meist mit schlechteren Schulen und weniger Erwerbsmöglichkeiten ausgestattet sind. Schwarze sind fast doppelt so häufig arbeitslos wie Weiße, das gilt sogar für Akademiker.

 

Thilo Sarrazin bringt die Rassenlehre zurück nach Deutschland

Zwar ruft das Buch von Hernstein und Murray nicht direkt zur Eugenik auf, dennoch finden sich in ihren Argumentationen und in ihren Schlussfolgerungen klare Parallelen zu den Konzepten und Praktiken der Eugenik. Eugenik ist die Lehre von der „Reinhaltung“ eines völkischen Genpools. Ihren traurigen Höhepunkt hatte diese als „Wissenschaft“ getarnte tödliche Ideologie während des NS-Regimes, als die Nazis einen Massenmord an selbstdefinierten „lebensunwerten“ Leben begingen, mit dem Ziel der „Rassenhygiene“. Ein Argument der Eugenik-Befürworter war und ist es, dass die natürliche Selektion des Menschen dadurch behindert werde, da die Gesellschaft ihre schwachen Mitglieder schütze. Damit die Gesellschaft sich nicht abschaffe, bedürfe es einer künstlichen Selektion.

2010 brachte Thilo Sarrazin dann die Rassenlehre zurück in den deutschen Mainstream. In seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ warnt er vor dem „dysgenischen Effekt“ – gemeint ist die angeblich drohende Gefahr gesellschaftlicher Verdummung durch steigende Geburtenraten von Migrant*innen und minder intelligenten Deutschen. Die Kernthese lautet, dass die deutsche Gesellschaft schrumpft und verdummt, weil bildungsferne Deutsche und bildungsferne muslimische Migrant*innen mehr Kinder kriegten – somit schaffe sich Deutschland ab. Da Intelligenz größtenteils erblich sei, vermehre sich die „dumme“ Bevölkerung immer mehr, während die „schlaue“ immer weniger werde.

Sarrazin schreibt hier über „Selektion“. „Seine Formulierungen und „Analysen“ erinnern nicht nur an die Eugenik – sie sind Eugenik“, schrieb damals die taz.

 

Die drei Pfeiler des wissenschaftlichen Rassismus

Der Autor Gavin Evans hat sich in dem Gastbeitrag „Die Rückkehr einer Bullshit-Wissenschaft“ auf „Zeit Online“ mit dem Thema befasst und stellt heraus, dass wissenschaftlicher Rassismus auf drei Grundthesen beruht.

1. These:

Die Urahnen weißer Europäer, die vor 45.000 Jahren auf den Kontinent kamen, sahen sich schwierigeren Grundvoraussetzungen ausgesetzt als im heißen Afrika. Die Kälte Europas, soll die treibende Kraft hinter dem angeblich neuen fortschrittlichen weißen Gehirn gewesen sein.

Jüngste archäologische Entdecken widerlegen diese Behauptung. In Südafrika wurden beispielsweise zwei Ocker-Stücke gefunden, auf denen abstrakte geometrische Figuren eingraviert sind. Teilweise erhitzten die Menschen dafür das Material auf 320 Grad Celsius. Das Alter der Fundstücke wurde auf etwa 77.000 Jahre bestimmt. Damit sind diese Zeichnungen ungefähr 40.000 Jahre älter als die ältesten europäischen Höhlenmalereien und wären die ältesten bekannten Kunstwerke der Menschheitsgeschichte

2. These:

Menschliche Körper entwickelten sich weiter, wenn es um Hautfarbe, ethnische Erkrankungen und andere Dinge wie etwa die Laktoseintoleranz geht, so auch das Gehirn.

Bei den meisten evolutionären physischen Änderungen waren einzelne Genmutationen involviert. Intelligenz dagegen besteht aus einem Netzwerk von Tausenden von Genen. „Und noch nie wurden genetische Variationen zwischen Populationen gefunden, die mit Intelligenz in Verbindung stehen“, so Gavin Evans.

3. These:

Je nach Ethnie gibt es unterschiedliche IQ-Durchschnittswerte. So seien etwa Ostasiaten und aschkenasische Juden die intelligentesten Menschen der Erde. Die Dümmsten auf dieser Welt seien die Buschleute aus Afrika.  

Wie bereits ausgeführt gibt es kein IQ-Gen. Intelligenz ist stets ein Zusammenspiel von Genen und der Umwelt.

Nicholas Wade, ein ehemaliger „New York Times“-Wissenschaftsjournalist, hat wohl das gefährlichste englischsprachige Buch zum Thema Rassenlehre der letzten 20 Jahre geschrieben. 2014 veröffentlichte er „A Troublesome Inheritance: Genes, Race and Human History“. Darin behauptet er, menschliche Gehirne hätten sich je nach Rasse unterschiedlich entwickelt. All das sei durch unterschiedliche Anlagen bewiesen, zum Beispiel seien Juden und Jüdinnen von Natur aus klug: „Die Art, wie sich Juden dem Kapitalismus anpassten, ist so ein weiterer evolutionärer Prozess.“ Dass es auf dieses antisemitische vorurteilsbeladene These des gewitzten Judens nicht auch eine so starke Gegenreaktion gab, wie sie „The Bell Curve“ damals entfachte, liegt vielleicht daran, dass es gesellschaftlich akzeptierter ist zu sagen, Juden und Jüdinnen seien schlauer als der Durchschnitt als zu sagen Afrikaner*innen sind dümmer als der Durchschnitt.

 

Ein Grund dafür, dass die Rassenlehre immer noch nicht verschwunden ist, sei die Tatsache, dass die Öffentlichkeit besser über Rassismus Bescheid weiß als über Wissenschaft. „Das hinterlässt eine Lücke, in der sich Leute wie Wade als Verteidiger des vernunftbetonten Nachhakens aufspielen“, so Gavin Evans.

 

Hier die Idee des „Race Realism“ in Verbindung mit der antisemitischen Erzählung der Umvolkung Quelle: Twitter

 

Die Gefahr des „Race Realism“

Wenn solchen rassistische Theorien nicht konsequent widersprochen wird, sickern sie in die Öffentlichkeit und Politik und verschieben so die Grenzen des Sagbaren. Wenn die Öffentlichkeit und Meinungsführer Behauptungen akzeptieren, Schwarze oder Migrant*innen seien von Natur nicht so klug wie der Durschnitt, laufen wir Gefahr, jene Gruppen zu stigmatisieren und mit vorgeblich wissenschaftlichen Argumenten zu diskriminieren.

Rassenlehre, ob nun propagandistisch daherkommend oder im Gewand der Wissenschaft, ist eine unhaltbare, aber wirkmächtige Erfindung. Auch wenn das N-Wort heute in weiten Teilen der Gesellschaft geächtet ist und wir grundlegend von der Gleichheit aller Menschen ausgehen, sind rassistische Denkmuster leider noch immer ein Bestandteil der europäischen Kultur. Rassismus lässt sich nicht damit ausschließen, indem man sagt, man sei nun gegen ihn. Zwar würde sich heute wohl kaum jemand freiwillig als Rassist bezeichnen, doch der Wunsch nach Aufwertung durch Abwertung anderer existiert weiterhin in vielen Köpfen. Und mit dem Race Realism wird er besonders für rechtspopulistische aber natürlich auch rechtsextreme Kreise wieder attraktiv, da er als eine angeblich stichhaltige Wissenschaft daher kommt.

 

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