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Rassismus gegen Sinti*zze und Rom*nja Von massenhafter Diskriminierung und Gleichgültigkeit

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Anfrage eines Berliner AfD-Abgeordneten mit dem Ziel der Zählung von Rom*nja und Sinti*zze in Berlin

Die Leipziger Autoritarismus-Studie erhebt alle zwei Jahre Befragungsdaten über die Diskriminierung verschiedener Bevölkerungsgruppen, darunter auch Rom*nja und Sinti*zze. Hierbei kommt sie 2018 zu folgendem Ergebnis: „Sinti und Roma erfahren in Deutschland noch mehr Ablehnung als Muslime. 56,0% der Befragten hätten Probleme mit Sinti und Roma in ihrer Gegend, 49,2% wollen sie aus den Innenstädten verbannen und 60,4% finden, die Gruppe dieser Menschen neige zur Kriminalität. Alle drei Items zeigen, dass der Antiziganismus in den neuen Bundesländern verbreiteter ist als in den alten, wo der Sockel bereits sehr hoch ist“ (Leipziger Autoritarismus-Studie 2018 als .pdf-Datei). Eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes erkennt außerdem ein durchschnittlich geringes Wissen über Rom*nja und Sinti*zze sowie eine auffallende Gleichgültigkeit gegenüber der Minderheit: „So stark die Ablehnung in der Bevölkerung ist, so ausgeprägt ist die Gleichgültigkeit Sinti und Roma gegenüber.“ (Studie „Zwischen Gleichgültigkeit und Ablehnung“)

Diskriminierende Stereotype über Rom*nja und Sinti*zze sind seit langer Zeit in Europa präsent. Auch im Nationalsozialismus wurde massiv gegen sie agitiert, was im Porajmos, der rom*nja-schen Bezeichnung für die Ermordung von etwa 500.000 Rom*nja und Sinti*zze, mündete. Um Anerkennung ihrer Stigmatisierung und Verfolgung mussten Angehörige der Minderheit jahrzehntelang kämpfen. Vom Beschluss einer Denkmalerrichtung im Jahr 1992 bis zur tatsächlichen Realisierung verstrichen 20 Jahre, in denen die Legitimität eines Denkmals von verschiedenen politischen Akteur*innen wiederholt in Zweifel gezogen wurde. Das Berliner Stadtzentrum solle „keine Gedächtnismeile“ werden, ließ der kulturpolitische Sprecher der CDU, Uwe Lehmann-Brauns, noch im Jahr 2000 verlauten.

Die stereotypen Eigenschaften, die seit Jahrhunderten mit der sehr diversen Minderheit in Verbindung gebracht werden, sind oft abwertend:so wird ihnen zugeschrieben, sie seien „arbeitsscheu“, „unzivilisiert“, „heimatlos“ oder „bildungsfern“. Mobilisieren lässt sich gegen sie demnach nicht „nur“ aus einer rechtsextremen, rassistischen Stoßrichtung, sondern auch aus einer Perspektive, welche den Wert einer Person von ihrem vorgeblichen wirtschaftlichen Nutzen ableitet. In der heutigen Leistungsgesellschaft ist diese Ansicht längst keine Einzelmeinung mehr. Hinzu kommt die Täter-Opfer-Umkehr: Rom*nja und Sinti*zze werden für verantwortlich an ihrer eigenen Lage erklärt, während die Diskriminierung der letzten Jahrhunderte ausgeklammert wird, die bis heute wirkt.

Stellvertretend dafür steht die – oftmals kontra-faktische – Debatte über „Einwanderung in die Sozialsysteme“, die seit 2013 in der Politik und Presse aufgegriffen wird. Die CSU mobilisierte 2013 gegen potenziell Einwandernde aus Bulgarien, Rumänien und anderen osteuropäischen Ländern mit dem Spruch „Wer betrügt, der fliegt“ und schloss damit an rassistische Stereotype gegenüber Rom*nja und Sinti*zze an. Die Konsequenzen tragen alle, die als Rom*nja oder Sinti*zze gelesen werden.

Infolgedessen wurde der Zugang zu einigen Sozialleistungen für Staatsbürger aus dem EU-Ausland massiv beschränkt. Und besonders Rom*nja und Sinti*zze, oder diejenigen, denen ein Rom*nja- oder Sinti*zze-Hintergrund zugeschrieben wird, haben bei Behördengängen oft mit Diskriminierung zu kämpfen. Ihnen wird Betrug unterstellt;  unnötige Unterlagen werden angefordert. Der Verein Amaro Foro e.V., der sich mit Diskriminierung gegen Rom*nja und Sinti*zze in Berlin beschäftigt, hat im Jahr 2017 bei Anträgen von Rom*nja und Sinti*zze eine Bearbeitungsdauer von durchschnittlich eineinhalb Jahren festgestellt – die Bearbeitungsfristen bei als „deutsch“ gelesenen Personen betrage nur vier bis sechs Wochen.

Auch in Bildungseinrichtungen wird regelmäßig eine rassistische Praxis an den Tag gelegt. Neben zahlreichen Beschwerden illustriert das der Fall von Nenad M. aus Nordrhein-Westfalen, der unberechtigterweise elf Jahre auf einer Förderschule verbringen musste, da ihm aufgrund von Sprachbarrieren als Kind eine geistige Behinderung attestiert wurde. Mittlerweile hat er einen Gerichtsprozess gegen das Bundesland gewonnen und einen sehr guten Hauptschulabschluss erlangt – die Erinnerung an jahrelange Benachteiligung bleibt.

Doch nicht nur beim Kontakt mit staatlichen Stellen erfahren Rom*nja und Sinti*zze Diskriminierung. Erst vor kurzem erschien hier auf BelltowerNews ein Artikel über diskriminierende Karnevalsfeierlichkeiten. Mancherorts werden diese unter der Bezeichnung der „Tradition“ jährlich vollzogen. In Rammersweier bei Offenburg orientiert sich die jährliche Karnevalsveranstaltung ausschließlich am Thema einer „Z********-Hochzeit“, während welcher „klauen und ungewaschen sein […] als Selbstverständlichkeiten“ gelten, wie die Lokalzeitung „Schwarzwaldbote“ unkritisch vermerkt. Am Ende der Feierlichkeiten wird eine Statue, welche einen „typischen“ Roma oder Sinti abbilden soll, verbrannt.

Außerdem registriert der Verein Amaro Foro e.V. seit 2014 Vorfälle von Rassismus gegenüber Sinti*zze und Rom*nja in Berlin. In ihrer Zusammenfassung der letzten fünf Jahre stehen Beleidigungen auf Platz 1 der am häufigsten Vorkommnisse. Auf den Plätzen 11 und 13 finden sich Bedrohungen und Angriffe. Die Gleichgültigkeit großer Teile der Gesellschaft gegenüber der Lebensrealität von Rom*nja und Sinti*zze hat offensichtlich gefährliche Auswirkungen, während ihre Anliegen wenig Gehör und kaum Unterstützer*innen finden. Für viele Rom*nja und Sinti*zze ist die Diskriminierung derart spürbar, dass manche, wenn möglich, ihre Zugehörigkeit verbergen. Viele werden trotzdem Opfer von Diskriminierung oder rassistischen Gewalttaten.

Verantwortung für die weite Verbreitung von rassistischem Gedankengut tragen nicht zuletzt die Medien. Im Zusammenhang mit Rassismus gegen Rom*nja und Sinti*zze wird diese Verantwortung scheinbar besonders ungenügend wahrgenommen. In Artikeln werden zahlreiche Stereotype bespielt, bebildert werden sie oft mit Frauen in langen Röcken, Wohnungslosen oder schmutzigen Kindern. Wenn explizit über Rom*nja und Sinti*zze berichtet wird, geschieht dies meistens im Kontext von Armut, Obdachlosigkeit, Nomadentum oder zumindest „exotischen“ Lebensweisen. Erfolgsgeschichten sind derweil stark unterrepräsentiert.

Auch in der Berichterstattung über den Anschlag in Hanau am 19.02.2020 waren die drei Opfer mit Roma-Hintergrund stark unterrepräsentiert. Und als sich Horst Seehofer mit Verteter*innen der deutschen Muslime und der türkischen Gemeinde in Hanau traf, war der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma nicht dabei, obwohl schon zuvor eine Presseerklärung bezüglich der Opfer mit Roma-Hintergrund veröffentlicht wurde. „Es war also früh publik und öffentlich und daher ist es eine unentschuldbare Nachlässigkeit, dass es keine Einladungen gab“, erklärt Joachim Brenner vom Förderverein Roma e.V. im Interview mit der Wochenzeitung “Der Freitag”.

Zudem gab es im Januar 2020 eine weitere Anfrage der AfD, die auf eine Zählung der Minderheit abzielte. Dieses Mal stellte sie der Berliner Abgeordnete Tommy Tabor. Über das Ziel der Anfrage lässt sich nur mutmaßen. Allerdings sind solche Erhebungen in Deutschland – mit gutem Grund – verboten, weswegen auch in diesem Fall keine Informationen an die AfD weitergegeben wurden. Bereits 2018 wurde aus der sächsischen AfD-Landtagsfraktion eine ähnliche Anfrage gestellt (vgl. Belltower).

Emran Elmazi, Referatsleiter Dialog im Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma, fordert die Einrichtung einer Monitoring-Stelle zur Erfassung von rassistischen Vorfällen gegen Rom*nja und Sinti*zze, um die Sichtbarkeit dieser Form der Diskriminierung zu erhöhen. Denn die Ungewissheit über die Größe des Problems ist noch umfangreicher als bei anderen Formen der Diskriminierung. Daher ist es umso dringlicher, Rom*nja und Sinti*zze zu Wort kommen zu lassen und ihre Forderungen nach Minderheitenschutz ernst zu nehmen. Ansätze für die Bekämpfung von (strukturellem) Rassismus gibt es viele – es mangelt am politischen Umsetzungswillen und der Bereitschaft sich politische Fehler der jüngeren Vergangenheit einzugestehen.

Neben der bundesweiten Erfassung und Analyse von rassistischer Gewalt gegen Sinti*zze und Rom*nja muss diskriminierungssensible Bildungsarbeit gestärkt werden und vor allem muss der institutionelle Rassismus in Polizei- und Leistungsbehörden bekämpft werden. Denn nur, weil die allgemeine Gleichgültigkeit gegenüber der Diskriminierung von Sinti*zze und Rom*nja das Problem in die Unsichtbarkeit treibt, bedeutet das nicht, dass die Betroffenen nicht unter den Verhältnissen leiden. Stattdessen muss dieses Thema mehr Aufmerksamkeit erlangen und rassistischen Stereotypen über Rom*nja und Sinti*zze in allen Gesellschaftsbereichen muss endlich breiter Widerspruch begegnen.

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