Die Schule ist ein Haifischbecken – friss oder du wirst gefressen. Das ist vielleicht etwas drastisch formuliert, doch mit diesem Gefühl bewegen sich viele Schüler*innen durch den Schulalltag. Doch was ist, wenn sogar die Besitzer*innen des Aquariums gegen dich sind?
Eigentlich sollte die Schule ein sicherer Ort zum Lernen sein. Doch was, wenn zu den Kämpfen, die Schüler*innen in der Schule zu bestreiten haben, auch noch Diskriminierungserfahrungen dazu kommen? Das betrifft nicht nur das soziale Miteinander unter den Schüler*innen – auch das Lehrpersonal fällt immer wieder durch diskriminierende Äußerungen und Handlungsweisen auf.
Strafarbeit wegen Türkisch auf dem Schulhof
In Baden-Württemberg musste eine Drittklässlerin eine Strafarbeit schreiben, weil sie auf dem Schulhof mit einer Mitschülerin Türkisch gesprochen hatte. Die Familie kontaktierte daraufhin die Lehrerin und holte sich einen Anwalt, welcher Widerspruch gegen die Strafarbeit und eine Dienstaufsichtsbeschwerde einlegte. Als es zu einer Ablehnung des Widerspruches kam, reichte dieser eine Klage ein, welche nun nach 2 Jahren mit einem Vergleich beigelegt wurde. Der Familie wurde recht gegeben. Auch das Land Baden-Württemberg erkannte an, dass die Strafmaßnahme rechtswidrig war.
Unerwünschte Sprache
Doch die Erfahrung, dass die Herkunftssprache nicht erwünscht ist, bleibt. Leider ist es eine Erfahrung, die viele migrantisierte Personen in öffentlichen Institutionen machen. Aus Angst vor Diskriminierung wird vermieden, sich in bestimmten Sprachen zu unterhalten.
Die Erziehungswissenschaftlerin und Leiterin des Projektes „ju:an“ Rosa Fava sieht dieses Problem auch in Bildungseinrichtungen, wie sie gegenüber Belltower.News berichtet: „Es gibt den Begriff des monolingualen Habitus, dass es gerade in Deutschland eine strenge Festlegung auf Einsprachigkeit gibt, anstatt die in Familien gegebene Mehrsprachigkeit oder auch Dialekte zu fördern und darin eine Kompetenz zu sehen.“
Und das, obwohl die eigene Herkunftssprache Teil der Identität und daher auch wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung eines Menschen ist. Kübra Yücel schreibt in ihrer Kolumne in der taz: „Was wäre geschehen, wenn man in den Migrantenkindern keine Probleme, sondern Potenzial und Zukunft gesehen hätte. Hätte man aufgehört, Misserfolge auf ihre ethnische Herkunft zu reduzieren, die sie weder ausgesucht haben noch ablegen können.“
Wow, du sprichst Französisch
Das Phänomen betrifft jedoch nicht alle Sprachen gleichermaßen. Während von den einen erwartet wird, auf dem Pausenhof ausschließlich Deutsch zu sprechen, wird von anderen die Bilingualität als besondere Fähigkeit gefördert. Dieses Phänomen wird als Neo-Linguizismus bezeichnet. Es ist ein besonderer Ausdruck von Rassismus, bei dem bestimmte nicht-deutsche Sprachen abgewertet werden, während in westeuropäischen Sprachkenntnissen oftmals besondere Kompetenz gesehen wird. „Türkisch lernt man nicht, Türkisch verlernt man.“, so Yücel.
Erfolg in der Schule ist auch eine Frage des „deutsch“ seins
Dabei wäre es gerade Aufgabe der Bildungseinrichtungen, die Sprachfähigkeiten aller Schüler*innen zu fördern und sensibel mit dem Thema Rassismus umzugehen. „Die Schule hat eine große Bedeutung, wenn es um Rassismus geht. Die Schule entscheidet letztendlich über Lebenschancen, nämlich über Abschlüsse, die man bekommt oder nicht bekommt. Und deshalb ist der Rassismus, den man an Schulen erfährt, ganz besonders wirksam. Gerade in der Schule ist der Begriff des institutionellen Rassismus sehr wichtig“, so Fava.
Dies kann sich ganz deutlich auf die Noten auswirken. In einer Studie der Uni Mannheim wurden die Diktate von Grundschulkindern von angehenden Lehrkräften bewertet. Migrantisierte Kinder erhielten bei gleicher Fehlerzahl schlechtere Noten als ihre „deutsch” gelesenen Mitschüler*innen.
Angst um den Abschluss
In der Schule existiert ohnehin ein enormes Machtgefälle. Dieses wird weiter verstärkt, wenn Rassismus hinzukommt und macht es Betroffenen umso schwerer, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Laut Fava benötigt es daher eine unabhängige Beschwerdestelle auf kommunaler und Landesebene sowie eine Diskriminierungsbeauftragte oder einen Diskriminierungsbeauftragten an jeder Schule. „In der Schule geht es ja auch immer um Bewertung und da haben natürlich viele Angst, eine Diskriminierung, die von einer Lehrkraft ausging, zu melden, da sich das dann unmittelbar auf die Note auswirken könnte. Das gefährdet eventuell auch den Abschluss oder die Versetzung. Dabei handelt es sich um ganz berechtigte Ängste. Auch deswegen ist es wichtig, dass es von unabhängiger Stelle eine Möglichkeit gibt, die Dinge zu bearbeiten.“
Anti-Diskriminierungs-Workshops richten sich zumeist an Schüler*innen – wären für das Lehrpersonal jedoch mindestens genauso wichtig. Genauso wie eine rassismus-sensible Lehrausbildung. Das würde vielleicht auch migrantisierten Lehrkräften den Arbeitsalltag etwas einfacher machen, welche im Lehrerzimmer Diskriminierung erfahren.
In dem Fall in Baden-Württemberg waren es engagierte Eltern, welche die Diskriminierung, die ihre Tochter erfahren hatte, sichtbar machten. Doch nicht alle Familien haben die Ressourcen, welche es benötigt, um sich bis zum Gericht durchzukämpfen. Und so wird es viele Drittklässlerinnen geben, welche ähnliches erleben, ohne dass wir je davon erfahren.