Mehr als 60 Verletzte gab es nach den Ausschreitungen am 07. Januar 2010 im süditalienischen Rosarno. Jugendliche hatten mit Luftgewehren aus einem fahrenden Auto heraus auf Saisonarbeiter*innen geschossen. Daraufhin kam es zu tumultartigen Reaktionen der Arbeiter*innen, von denen im Winter viele aus Ghana, Nigeria, Togo und dem Sudan nach Italien kommen, um unter unmenschlichen Bedingungen bei der Orangenernte Geld zu verdienen. Am darauffolgenden Tag wendete sich das Blatt: mit Steinen, Traktoren, Schlagstöcken und Gewehren ging die Dorfbevölkerung auf die Erntehelfenden los. „Wenn ich nicht gehe, werde ich sterben“, sagt ein 25-Jähriger aus Ghana der Nachrichtenagentur AFP. Fünf Personen wurden wegen schwerer Verletzungen ins Krankenhaus gebracht.
Unter Beifall weggeschafft
Unmittelbar nach den Übergriffen wurden die Saisonarbeiter*innen in Bussen aus Rosarno weggebracht – unter dem jubelnden Beifall der Bevölkerung. Inzwischen reagierten die Einwohner*innen Rosarnos mit einer Demonstration. Sie seien nicht rassistisch, sondern mit dem „Migrantenproblem“ alleingelassen worden, sagen sie. Laut der Tageszeitung „Corriere della Sera“ stand auf dem Fronttransparent der Demonstrierenden „Verlassen vom Staat, kriminalisiert von den Massenmedien – 20 Jahre Zusammenleben sind kein Rassismus“. „Sie sind keine Rassisten? Warum greifen sie dann nur uns Schwarze an und nicht die anderen Einwanderer“, zitiert dagegen die linke Tageszeitung „il Manifesto“ einen der verletzten Migranten aus Rosarno. Mittlerweile herrsche in der Süditalienischen Stadt wieder „Ruhe“, verkünden die Ordnungskräfte, die als Anstifter der Unruhen auch die lokale Mafia `Ndrangheta sehen. Dass in der Nacht zum 12. Januar das Auto eines Immigranten und landwirtschaftlichen Hilfsarbeiter aus Ghana angezündet wurde, habe laut Polizei nichts mit den vergangenen Ereignissen in Rosarno zu tun.
Unmenschliche Arbeitsbedingungen
Aber das Problem sind nicht Migrant*innen, sondern die Arbeitsbedingungen unter denen sie versuchen etwas Geld zu verdienen. Für rund 20 Euro am Tag ernten sie die Zitrusfrüchte Rosarnos, das für seine Plantagen berühmt ist. Während der Ernte leben sie in Unterkünften, in die Rosarnos Bürger*innen wohl nicht mal einen Fuß hineinsetzen würden. „Wir sind keine Tiere“, riefen die Erntehelfenden während der Auseinandersetzungen. Damit meinten sie die menschenunwürdigen Bedingungen, unter denen sie in Süditalien leben und arbeiten müssen. Sie wollen aber auch kein „Freiwild“ sein, auf das man einfach schießen kann – so, wie es in Rosarno geschehen ist. Eine Reaktion des italienischen Staates: Das verfallene Fabrikgebäude, in dem die Migrantinnen und Migranten leben mussten, wird nun abgerissen.
Übergriffe auf Sinti und Roma
Italien ist in letzter Zeit häufiger aufgrund von rassistischen Übergriffen in die Schlagzeilen geraten. Nach einer tödlichen Vergewaltigung einer Italienerin im Jahr 2007 durch einen rumänischen Rom, kam es in einigen Städten Italiens zu antiziganistischen Überfällen. Seit Jahrzehnten leben Sinti und Roma in Italien in Camps, die nun Zielscheibe der dort ansässigen Bevölkerung geworden sind. In den 70er Jahren wurden Sinti und Roma bestimmte Plätze zugewiesen, auf denen sie Wohnmöglichkeiten errichten konnten. Woanders wurde es ihnen verboten. Diese Camps bestehen bis heute und haben keine Integration oder friedliches Miteinander hergestellt, sondern eine Art Ghetto geschaffen. An die Bedürfnisse von Sinti und Roma, die nach Italien gekommen sind, um Arbeit zu finden und sich ein neues Leben aufzubauen oder vor Verfolgung im Kosovo geflüchtet sind, wurde dabei nicht gedacht. Vielmehr wurde an dem alten Stereotyp vom „nomadischen Volk“ festgehalten, das sowieso nicht anders wohnen könne als in Zelten. Wie in Rosarno wurden unter dem oft auch gewaltvollen Druck der Bevölkerung aus den umliegenden Wohngegenden einige der Camps geräumt. Dabei war aber oft unklar, wohin die dort wohnenden Sinti und Roma denn nun gehen sollten. Die Diskriminierung von Sinti und Roma sowie das Problem der Gettoisierung war damit alles andere als gelöst.
Warten auf die italienische Politik?
Die Reaktionen von der italienischen Regierung auf die Übergriffe der Vergangenheit und Gegenwart waren weniger rühmlich als man es sich wünschen würde. Ob sie einen Vorschlag haben wird, um die Situation der Arbeitssuchenden während der Erntesaison zu verbessern, ist unklar. Auf die Übergriffe auf Siedlungen von Sinti und Roma jedenfalls reagierte sie mit „Sicherheitspaketen“, mit denen „kriminelle Ausländer“ leichter auszuweisen sind. Und als Reaktion auf die Ereignisse von Rosarno wird laut „Corriere della Sera“ Mauricio Sacconi, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales, bald einen Plan für eine bessere Integrationspolitik vorlegen. Für ihn bestehe diese aus „Repression gegen den Zustrom illegaler Einwanderer und verbesserter Integration“. Was in Italien „Repression gegen illegale Einwanderer“ heißt, ließ sich schon oft in den Schlagzeilen beobachten. Doch hier sind wir bei einem europäischen Problem angelangt: eine Flüchtlingspolitik, die akzeptiert, dass Menschenrechte verletzt werden.
Stereotype bekämpfen
Eine Kritik am Rassismus hört man von Regierungsseite selten. Es ist eine kritische und couragierte Öffentlichkeit gefordert, die sich Rassismus entgegenstellt. In Rom demonstrierten am 12. Januar auf der Piaza Navona einige hundert Menschen gegen Rassismus. Wie die Tageszeitung La Repubblica berichtete, war das Ziel, sich mit den Saisonarbeiterinnen und –arbeitern in Rosarno zu solidarisieren. Immerhin. Auch die katholische Kirche schritt ein und verurteilte die „widerwärtigen rassistischen Vorkommnisse“, wie im „Osservatore Romano“, der Zeitung des Vatikans, zu lesen war. Die Italienische Opposition unterstützt die Aufforderung des Ägyptischen Außenministers, „Maßnahmen zum Schutz der Immigranten und Minderheiten zu ergreifen“. Italien solle die Integration all derer vorantreiben, die „bei uns und für uns arbeiten – unabhängig der ethnischen Herkunft und des Glaubens“, sagte Alessandro Maran von der Partito democratico. Denn um Rassismus zu bekämpfen, muss vor allem gegen die Stereotype, die in einer Gesellschaft herrschen vorgegangen werden. Es muss allgemein akzeptiert werden, das egal welcher Herkunft, wir alle Menschen sind, die Respekt verdient haben. Stigmatisierung und Gettoisierung können nicht Bestandteil einer Integrationspolitik sein.
Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).