Es ist die Nacht zum 23. November 1992: In Mölln verüben zwei junge Männer rassistisch motivierte Brandanschläge auf zwei Wohnhäuser. Aus dem ersten Haus, das in Flammen aufgeht, können sich die Bewohner noch retten. Doch im zweiten Haus, das Haus der Familie Arslan, werfen die beiden Täter Molotow-Cocktails in den Hauseingang – der Fluchtweg ist damit versperrt. Faruk Arslan ist beim Ausbruch des Brandes nicht anwesend. Er verliert seine Mutter Bahide Arslan, seine Tochter Yeliz und seine Nichte Ayse Yilmaz. Der siebenjährige Sohn Ibrahim kann aus dem ausgebrannten Haus nach den Löscharbeiten gerettet werden, weil seine Großmutter ihn noch in ein nasses Tuch wickeln konnte. Seine Frau Hava Arslan kann ihren sechs Monate alten Sohn und sich selbst nur retten, indem sie ihr Baby aus dem Fenster des zweiten Stockwerkes in die Arme von Helfenden wirft und danach selbst hinterher springt. Sie wird dabei schwer verletzt. Sowohl der erste Brand, als auch der zweite Brand, eine halbe Stunde später, werden der Polizeiinspektion in Mölln und der Freiwilligen Feuerwehr durch einen anonymen Anruf gemeldet. In beiden Fällen endet das Telefonat ohne weitere Angaben mit dem Hitlergruß. Trotz dieser Tatsache verdächtigt die Polizei zunächst Faruk Arslan den Brand gelegt zu haben. Dann fahndet sie in der türkischen Community Möllns nach den Tätern. Schließlich werden die zwei Neonazis Michael Peters und Lars Christiansen als Täter ermittelt. In einem ersten Geständnis, welches sie kurze Zeit später widerrufen, geben sie jedoch Wissen Preis, welches nur die Täter haben können. Am 8. Dezember 1993 werden sie deshalb des dreifachen Mordes in Tateinheit mit versuchtem Mord in 39 Fällen und der besonders schweren Brandstiftung schuldig gesprochen. Der 25-jährige Michael Peters erhält die Höchststrafe. Lars Christiansen, der zum Tatzeitpunkt 19 Jahre alt war, wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt. Beide Täter sind mittlerweile aus der Haft entlassen und haben so ihre Strafe verbüßt. Die überlebenden Familienmitglieder müssen bis heute mit dem Verlust leben und sind seither schwer traumatisiert.
Eine polemische Bildsprache war der geistige Brandstifter
Mölln war der erste Brandanschlag mit rassistischem Hintergrund in Deutschland, bei dem Menschen ums Leben kamen. Der Anschlag ereignete sich zu einer Zeit, in der eine aufgeheizte Debatte um ein verschärftes Asylrecht in Deutschland geführt wurde. Wortführer dieser Diskussion waren nicht wenige Politiker, die mit ihrer polemischen Bildsprache Ressentiments bis hin zum Hass vieler Menschen auf Asylsuchende noch weiter schürten. Mit dieser Rhetorik wurden Asylsuchende als Menschen gezeichnet, die sintflutartig und damit unkontrollierbar nach Deutschland kämen und das deutsche Asylrecht massiv missbrauchen würden. Dass diese Debatte nicht nur negativen Einfluss auf das Leben der Geflüchteten in Deutschland nahm, sondern mehr und mehr auch auf Menschen, die bereits seit Jahrzehnten ihren Lebensmittelpunkt hier gefunden hatten, zeigte sich bei dem Brandanschlag auf das Haus der Familie Arslan in Mölln. Sie lebte und arbeitete bereits seit Jahrzehnten in der schleswig-holsteinischen Stadt.
Nach dem Brandanschlag in Mölln gab es zwar viele Solidaritätsbekundungen, wie etwa eine Großdemonstration in München, bei der 400.000 Menschen eine Lichterkette bildeten, doch vor allem fühlten sich Rechtsextreme in ihren menschenverachtenden Ansichten bestätigt. Sie sahen sich als Vollstrecker eines Volkswillens. Eine gefährliche Allianz aus Neonazis und Menschen aus der Mitte der Gesellschaft war in den 1990er Jahren für eine Serie von Brandanschlägen verantwortlich. So blieb Mölln nicht der einzige rassistisch motivierte Brandanschlag. Solingen,Rostock und Lübeck folgten.
Freundeskreis unterstützt die überlebenden Familienmitglieder
Im November jährt sich der tödliche Angriff auf das Haus der Arslans zum 20. Mal. Anlässlich dieses Datums hat sich aus Freundinnen und Freunden, die die Familie seit mehreren Jahren begleiten, ein „Freundeskreis im Gedenken an den rassistischen Brandanschlag von Mölln 1992“ gegründet. Der Freundeskreis will den überlebenden Familienmitgliedern mehr Gehör in der Öffentlichkeit verschaffen. Denn über Jahre wurden diese bei den jährlichen Gedenkveranstaltungen kaum miteinbezogen. Erst in den letzten Jahren hat sich die Situation gebessert. „Seitdem sie Freunde gewinnen konnten, die sie begleiten, können sich die Überlebenden mehr Gehör verschaffen. Zum 20. Jahrestag haben wir den Freundeskreis geschaffen, um das Gedenken jetzt und in den kommenden Jahren im Sinne der Überlebenden, antirassistisch und antifaschistisch, zu gestalten“, so der Freundeskreis über sein Engagement. Mit seiner Unterstützung ist es gelungen, dass zum ersten Mal seit 20 Jahren auch die offiziellen Gedenkfeierlichkeiten vollständig von der Familie gestaltet und damit den Wünschen der Familie vollständig entsprochen wurden. Denn nicht Andere sollen bestimmen, wie an das Geschehene erinnert oder wie darüber gesprochen wird, sondern sie als Betroffene selbst: „Für uns als Angehörige des Brandanschlags ist es wichtig, die Erinnerung zurück zu erkämpfen. Indem wir die Erinnerung lebendig halten, rücken wir unsere Perspektive als Opfer und Überlebende in den Vordergrund. Unsere Vorstellungen von Erinnerung sollen Maßstab für das Gedenken an den 23. November 1992 sein.
Konzert im Gedenken an Bahide und Yeliz Arslan und Ayse Yilmaz
So hat die Familie zusammen mit dem Freundeskreis zum 20. Jahrestag des rassistischen Brandanschlages nun in der Woche vom 16. – 23. November 2012 verschiedene Gedenkveranstaltungen realisiert. Unter anderem findet am 17. November 2012 ein Konzert zum Gedenken an die ermordeten Angehörigen statt. Mit dem Konzert will die Familie ein deutliches Signal gegen Rassismus und andere Formen der Menschenfeindlichkeit setzen. Ermöglicht wurde das Projekt vor allem auch dadurch, dass alle Beteiligten das Anliegen der Familie zu ihrem gemacht haben und ehrenamtlich dafür arbeiten. Bei dem Konzert treten verschiedene Künstlerinnen und Künstler, wie Murat Kayi, Neonschwarz, Sisters und Jan Delay feat. Delaydies & DJ Mad auf, die alle auf ihre Gagen verzichten. Das Konzert findet im Anschluss einer bundesweiten Gedenkdemo in Mölln statt.
Kurzzeitig drohte der Veranstaltung bereits in der Planungsphase das Aus, da finanzielle Mittel von Seiten der Stadt wegbrachen. Die Stadt Mölln konnte zwar die Veranstaltungsräume kostenfrei zur Verfügung stellen, weitere finanzielle Unterstützung wurde jedoch mit Verweis auf die aktuelle Haushaltslage abgelehnt. Zum Glück fanden sich Unterstützer, die finanzielle Hilfe anboten, um so das Konzert doch noch realisieren zu können. Die Amadeu Antonio Stiftung ist einer von diesen, da sie das Anliegen der Familie und des Freundeskreises teilt, dass vor allem die Familie Arslan selbst bestimmen sollte, in welcher Weise sie an ihre verstorbenen Familienmitglieder erinnern möchte. Denn nach jahrelanger Bevormundung und fehlender Berücksichtigung sollten alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, dass ihr dieser Wunsch nun endlich erfüllt wird.
Anna Brausam
Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).