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Rassistische Gewalt Klima des Hasses

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 August 1992. Über mehrere Tage werfen Neonazis, Jugendliche und „ganz normale Bürger“ Steine und Brandsätze in die Wohnungen vietnameischer Vertragsarbeiter und die Zentrale Aufnahmestelle für Asylsuchende. Begleitet von Rufen wie „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“ brandet immer wieder Beifall auf, für die ungebremste Aggression, den unverhohlenen Rassismus. Die Polizei greift nicht oder nur zögerlich ein.

Ganz Deutschland verfolgt live im Fernsehen, wohin die menschenverachtende Hetze von Politik und Medien führen kann. Die von rassistischen Ressentiments geprägte „Asyldebatte“ befeuert den tiefverwurzelten Hass vieler Deutscher auf „die Ausländer“. Eine gesellschaftliche Stimmung, die den Angreifern von Lichtenhagen eine Legitimation vermittelt: „Wir führen nur das aus, was sich alle wünschen!“

Zwanzig Jahre später

Im „Freigarten“ des Peter-Weiß-Hauses (PWH) in Rostock ist nicht viel los. Kein Wunder, es ist noch früh am Tag. Später wird hier buntes Treiben herrschen, auf dem großen Grill werden Würstchen und vegane Burger brutzeln, im großen Saal geben die „Breitlings“ ein Konzert. Seit 2008 ist das PWH ein Ort, der Menschen aller Altersgruppen, unterschiedlicher Herkunft, Meinung und Bildung zusammenbringt und zudem verschiedene gemeinnützige Bildungs- und Kulturträger unter einem Dach vereint.

Auch „Soziale Bildung e.V.“ (SoBi) hat hier sein Büro. Der Verein ist vor allem in der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung tätig, organisiert Workshops und Filmabende, Lesungen und Studienfahrten. Der „Politische Donnerstag“ bietet jede Woche allen Interessierten die Möglichkeit, eigene Themen einzubringen und zu diskutieren.

Christoph Schützler ist seit Jahren bei SoBi engagiert. Als die rassistischen Ausschreitungen Rostock-Lichtenhagen traurige Berühmtheit verschafften, waren Schützler und seine Freunde damit beschäftigt, ein Asylbewerberheim bei Güstrow vor neonazistischen Angriffen zu schützen. „Die Großdemonstration in Rostock-Lichtenhagen war meine erste große Demo“, erzählt er.

„Viele Jugendliche wissen gar nicht, was damals in ihrer Stadt geschehen ist“

Das Thema hat ihn bis heute nicht losgelassen. Gemeinsam mit dem Team von SoBi hat er ein Projekt, anlässlich des 20. Jahrestages des Lichtenhagener Pogroms, entwickelt. „Viele Jugendliche wissen gar nicht, was damals in ihrer Stadt geschehen ist“, sagt Jule, Teamerin bei SoBi. In Workshops sollen Schülerinnen und Schüler für das Thema sensibilisiert werden. Entscheidend sei vor allem, zu verstehen, dass die Pogrome nicht aus dem luftleeren Raum entstanden. „Das damals war eingebettet in einen gesellschaftlichen Kontext, für den nicht zuletzt die Politik verantwortlich war.“ Die herrschenden Umstände Anfang der 1990er Jahre, die ein Klima des Hasses schafften, die Rassismus alltäglich werden ließen, werden bis heute weitgehend verschwiegen. Die Leute von SoBi wollen sich damit nicht abfinden. „Wir müssen uns auch fragen: Wie wird heute mit Asylsuchenden umgegangen?“, sagt Christoph Schützler. Er sieht alles andere als hoffnungsvoll aus, als er betont: „Das Thema ist immer noch brandaktuell!“ Der Nährboden, auf dem damals der Mob explodierte, ist noch lange nicht trockengelegt.

Sonnenblumenhaus – Fehlende Erinnerung

Ortswechsel. Nur wenige Meter vom Bahnhof Rostock-Lichtenhagen ragt das Sonnenblumenhaus in den Himmel. Nichts verrät, was hier vor zwei Jahrzehnten passierte. An den Autos vor dem Baumarkt wehen kleine Deutschlandfahnen, zwei Grundschüler spielen auf dem Parkplatz. Ob sie jemals erfahren werden, dass an genau dieser Stelle einst tausende Menschen einen rassistischen Gewaltexzess bejubelten? Bislang erinnert nichts daran. Keine Tafel, kein Gedenkstein, kein Mahnmal. Initiativen, die für einen würdigen Gedenkort kämpfen, blieben bis heute ohne Erfolg. Dass die Stadt dieser Tage erklärt, es sei „etwas in Planung“, ist ein Anfang. Ein erster Schritt nach zwei Dekaden.

Ein fatales Signal für die Gesellschaft

Und die Neonazis? Bis heute feiern Rechtsextreme die Vorfälle von Lichtenhagen als einen ihrer größten Erfolge. „Für die Neonazis ist das bis heute ein Ereignis, wo sie in die Gesellschaft hineinwirken konnten, sie etwas erreichten“, sagt Jule von SoBi. Die große Zustimmung, aber auch die mangelnde öffentliche Sanktionierung werten die Rechten noch immer als Beweis für den „wahren Volkswillen“. Die meisten Täter von damals wurden nie zur Rechenschaft gezogen. Nur 40 Jugendliche wurden verurteilt, nur vier von ihnen erhielten Haftstrafen ohne Bewährung. Auf politischer Ebene war die einzige Konsequenz eine Änderung des Grundgesetzes, die das Recht auf Asyl massiv einschränkte. Ein weiterer Erfolg für die Rechtsextremen und ein fatales Signal für die Gesellschaft.

Davon auszugehen, dass Pogrome gegen Asylsuchende oder Menschen mit Migrationshintergrund der Vergangenheit angehören, dass sich Szenen wie in Rostock-Lichtenhagen nicht wiederholen könnten, ist ein verhängnisvoller Irrtum. Aktuell reicht ein Blick nach Leipzig, um diesen naiven Fehlschluss aufzudecken: Die Entscheidung der Stadt, eine völlig marode Sammelunterkunft für Asylsuchende zu schließen und die Menschen in kleinen Wohneinheiten, dezentral in Leipzig unterzubringen, rief sogleich wütende Bürgerinnen und Bürger auf den Plan. „Wir haben ja nichts gegen Ausländer, aber…“, argumentieren diese und lassen dann unverhohlen rassistische Vorurteile vom Stapel, die beim angeblichen Wertverlust ihrer Grundstücke anfangen und bei Angst vor Krankheiten, Kriminalität und der Gefährdung der Kinder nicht Halt machen.

Leipzig zeigt, wie wichtig es ist, auch „20 Jahre danach“ über die Pogrome in Rostock-Lichtenhagen als mahnendes Zeichen zu sprechen, denn weder in Leipzig noch anderswo, darf derartiges wieder passieren. Der Kampf gegen den alltäglichen Rassismus ist dabei die beste Prävention. Denn wer die Geschichte kennt, kann Ideen entwickeln, wie Vergleichbares in Zukunft zu verhindern ist.

Anna Brausam, Diana Buhe, Ulla Scharfenberg

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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