Am 12. August 2012 wurde in Eberswalde eine Gedenkfeier für Amadeu Antonio anlässlich seines 50. Geburtstags gefeiert. Er selbst konnte nicht teilnehmen, weil er am 6. Dezember 1990 an den Folgen eines rassistischen Angriffs starb. Er war damit eines der ersten Todesopfer rechter Gewalt seit der Wiedervereinigung. Die Tat hat die Stadt verändert. People of Color mussten erfahren, dass es in Deutschland sogenannte No go Areas gibt. Und die politischen Verantwortlichen der Stadt? Die taten und tun sich bis heute schwer eine würdige Form des Gedenkens zu finden und sich mit dem Motiv der Tat auseinanderzusetzen. Denn rassistische Taten entstehen nicht im luftleeren Raum, sie sind eingebettet in einen gesellschaftlichen Kontext, der sehr facettenreich ist: Da gibt es viele Bürger*innen, die sich gegen jegliche Form der Ungleichwertigkeit von Menschen aussprechen, aber eben auch jene, die in ihrem Alltag rassistische Stereotype artikulieren, manchmal aus Unwissenheit heraus und manchmal sehr bewusst und damit einen Beitrag leisten, jene in ihrer Meinung zu bekräftigen, die eine gefestigte rechtsextreme Ideologie vertreten. Aus diesem Grund ist es notwendig über den alltäglichen Rassismus und rechtsextreme Strukturen in einer Gesellschaft zu reden – Schweigen ist keine Option.
Rund 40 Interessierte besuchten den Workshop
Als der afrikanische Kulturverein „Palanca“ und die Initiative „Light me Amadeu“ vor zwei Jahren vorschlug, ein Teilstück der Eberswalder Straße, den Tatort, in Amadeu-Antonio-Straße umzubenennen, wurde deutlich, dass die Stadt noch viel Arbeit vor sich hat. Eine oftmlas von rassistischen Vorurteilen und Ressentiments geladene Debatte brach sich Bahn. Eine Einigung wurde bisher, auch nach monatelanger, intensiver Diskussion nicht gefunden. Die Stadt entschied sich deshalb dazu, zwei Workshops zu veranstalten, um in diesen den Versuch zu unternehmen, die kontroversen Punkte in der Debatte zu klären. Die Ergebnisse sollen in ein Erinnerungskonzept einfließen, das im Oktober erarbeitet werden soll. Diesen Montag fand nun der erste Workshop statt. Rund 40 Interessierte sind gekommen, um unter der Moderation von zwei externen Erwachsenenpädagoginnen zu diskutieren. Unter den Interessierten waren der Bürgermeister Friedhelm Boginski (FDP), Vertreter der Stadtversammlung, Unterstützer und Initiatoren verschiedener Initiativen (Palanca e.V., Light me Amadeu, Jugendbündnis Für ein tolerantes Eberswalde), Bürgerinnen und Bürger, die eine Straßenumbenennung befürworten und Gegner der Umbenennungsaktion.
An Amadeu Antonio erinnern, heißt Auseinandersetzung mit alltäglichem Rassismus
In der ersten Sitzung wurde nicht über das pro und contra einer Straßenumbenennung gesprochen, sondern es ging um eine viel grundlegendere Frage: „Warum ist es notwendig an Amadeu Antonio zu erinnern?“ Dass es wichtig war, zunächst diese essentielle Frage zu stellen, zeigte der Verlauf des Workshops. Denn da wurde von einigen Teilnehmern gefragt: „Was macht Amadeu Antonio so besonders, dass er ein eigenes Erinnerungskonzept bekommt?“ Dass es in der Debatte um den ermordeten Angolaner nicht um „Besonderheiten“ geht, sondern darum, die Dimension der Tat aufzuschlüsseln, war ein Anliegen des Workshops. Ein Erinnern ist notwendig, um eine Auseinandersetzung mit alltäglichem Rassismus damals und heute zu bewirken. Denn nur wer die Vergangenheit kennt, kann Anknüpfungspunkte für die Zukunft entwickeln präventiv gegen Alltagsrassismus und jegliche Form der Menschenfeindlichkeit vorzugehen. In diesem Geschichtsbewusstsein liegt die Kraft, die Menschen für innergesellschaftliche Ungleichwertigkeiten zu sensibilisieren und sie in ihrem zivilgesellschaftlichen Engagement zu bestärken. Gelingt Eberswalde dieser Schritt, ist der Slogan der Stadt „weltoffen und tolerant“ nicht nur ein Lippenbekenntnis, sondern kann Schritt für Schritt auch realisiert werden. Dass die Stadt noch viel Arbeit vor sich hat, zeigt bereits die Tatsache, dass John Munjunga, der Vorsitzende des Vereins „Palanca“, als einziger People of Color die Veranstaltung am Montag besuchte. So erklärte er, dass andere Schwarze der Veranstaltung bewusst fern geblieben sind, weil sie die verbalen Attacken und Diffamierungen nicht mehr ertragen.
Ein differenziertes Verständnis von Gewalt ist notwendig
Auf argumentativer Basis ist es vielen Teilnehmern des Workshops jedoch gelungen jenen den Wind aus den Segeln zu nehmen, die mit ihren Argumenten das Wesentliche in der Debatte aus den Augen verloren haben. Der stete Einwand, dass ein Erinnerungskonzept an Amadeu Antonio, auch das Erinnern an andere Todesopfer von Gewalt fordere, konnte im Laufe des Workshops intensiv besprochen werden. Deutlich wurde dabei, dass der Begriff „Gewalt“ differenziert betrachtet werden muss.
Ein Tötungsdelikt durch rassistische Gewalt benötigt eine andere Art der Aufarbeitung und der Sensibilisierung in der Gesellschaft als eine Sexualstraftat. Die Erinnerung an Amadeu Antonio in Form einer Straße und der Implementierung eines Antirassismuskonzeptes schließt Todesopfer anderer Gewaltverbrechen nicht aus, ist jedoch Gegenstand separater Debatten. Eine Auseinadersetzung mit Opfern von sexuellem Missbrauch ist folglich eine eigene Diskussion, die geführt werden muss; vor allem auch um dieses Themenfeld nicht den Rechtsextremen zu überlassen. Dass derartiges bereits passiert, zeigt der Eberswalder Verein „DREIST“, der sich um einen differenzierten Umgang mit dem Thema sexualisierter Gewalt bemüht. „DREIST“ leistet dabei einen wichtigen Beitrag für eine geschlechtsspezifische Bildungs-, Sozial- und Beratungsarbeit.
Doch momentan steht nicht die Würdigung anderer Opfergruppen zur Diskussion, sondern ein würdiges Erinnern an Amadeu Antonio zu finden. Aus diesem Grund muss sich Eberswalde in der aktuellen Debatte auf eine intensive und konstruktive Auseinandersetzung mit Rassismus und gesellschaftlicher Ausgrenzung konzentrieren, um erfolgreiche Konzepte zu deren Bekämpfung zu erarbeiten. Denn Rassismus existiert damals wie heute und fordert immer noch seine Opfer.
Das Erinnern dient uns allen als Mahnung
Das Erinnern an Amadeu Antonio muss uns deshalb allen als Mahnung dienen, stets gegen rechtsextreme Strukturen, Alltagsrassismus und Menschenfeindlichkeit entschieden einzutreten. Wie dieses Erinnern in Zukunft aussehen kann, wird nächsten Montag in einem zweiten Workshop diskutiert werden. Alle sind dazu herzlich eingeladen. Und vielleicht gelingt es der Stadt bei diesem zweiten Workshop auch People of Color mit an den Tisch zu bekommen. Denn sie sind eine der Gruppen, die den rechten Terror tagtäglich erfahren. Darum bleibt zu hoffen, dass an sie direkt herangetreten wird und sie dadurch den Eindruck gewinnen können an einer derartigen Veranstaltung, ohne die Gefahr rassistischer Ressentiments, teilnehmen zu können.
Anna Brausam
Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).