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Rassistische Gewalt Zwei rechte Angriffe pro Tag

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Es sind traurige Rekorde, von denen die Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt berichten müssen: Die Berliner Beratungsstelle „Reach Out“ zählte 2013 so viele rechte Angriffe wie noch nie seit ihrer Gründung, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern haben die höchsten Zuwächse an rechter Gewalt im Vergleich (+ 43 Prozent bzw. + 40 Prozent). Zum ersten Mal stellten die Beratungsstellen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Brandenburg ihre Statistiken gemeinsam vor. Warum keine westdeutschen Bundesländer vertreten sind, hat einen einfachen Grund: Im Westen gibt es keine vergleichbare Beratungsstruktur, als die ostdeutschen Beratungsstellen 2001 eingerichtet wurden, sah man keinen Bedarf für eine ähnliche Struktur in den alten Bundesländern. „Die Einschätzung, dass es nur in Ostdeutschland ein Problem mit rechter und rassistischer Gewalt gibt, war schon damals falsch. In Westdeutschland gibt es keine vergleichbaren Strukturen der Opferberatungsstellen wie in Ostdeutschland und auch keine verlässlichen Zahlen über rechte, rassistische und antisemitische Gewalt. Wir fordern, dass Opferberatungsstellen auch dort gefördert werden“, erklärte Sabine Seyb von „Reach Out“ bei der Pressekonferenz.

Die Zahlen im Überblick

Konkret haben die Beratungsstellen für 2013 folgende Zahlen dokumentiert:

Dabei speisen sich die Statistiken aus Medien- und Polizeiberichten, Hinweise von Kooperationspartner auf lokaler Ebene (z.B. Einzelpersonen oder Antifa-Gruppen) sowie von den Betroffenen selbst.

Setzt man die Zahlen ins Verhältnis zur Einwohnerzahl der jeweiligen Bundesländer, dann nehmen Sachsen, Berlin, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern mit jeweils mehr als fünf Angriffen pro 100.000 Einwohner die traurigen Spitzenplätze ein – gefolgt von Brandenburg (3,4) und Thüringen (2). Insgesamt wurden seit 2003 über 8.300 Angriffe gezählt und dokumentiert.

In 64 Prozent der Fälle handelte es sich bei den Angriffen um Körperverletzungen, bei 27 Prozent um massive Bedrohungen sowie Nötigungen.

Ein Beispiel: Am 21.09.2013 wurde ein 34-jähriger Imbissbetreiber türkischer Herkunft beim Abschließen seines Geschäfts im Bahnhof unvermittelt aus einer Gruppe Neonazis rassistisch beschimpft und von mehreren Angreifern brutal mit Fäusten, Tritten und Flaschen attackiert. Vergeblich versucht seine Freundin, dazwischen zu gehen und muss mit ansehen, wie die Unbekannten weiter auf den 34-Jährigen eintreten, als er bereits schwer verletzt am Boden liegt. Der Betroffene muss mit lebensgefährlichen Verletzungen notoperiert und danach in ein künstliches Koma versetzt werden.

„Trotz der Aussagen der  Betroffenen und Zeuginnen und Zeugen konnte oder wollte die Staatsanwaltschaft kein rassistisches Motiv erkennen. Dies verdeutlicht ein zentrales Problem im Umgang mit Betroffenen rechter Gewalt“, so Robert Kusche, Geschäftsführer der Opferberatung des RAA Sachsen. Er kritisiert außerdem: „Auch in Berlin wurde wieder eine rassistische Tat bekannt, bei dem die Betroffenen am Tatort von der Polizei zunächst so behandelt wurden als seien sie die Täter.“

Zwar gingen die Beratungsstellen davon aus, dass das kontinuierliche Monitoring rechter, rassistischer und antisemitischer Angriffe erheblich dazu beitrage, das Dunkelfeld zu erhellen, so Kusche weiter. Neben der hohen Dunkelziffer gibt es aber ein weiteres Problem: Die teilweise offen geführten rassistischen Diskurse um Asyl in Deutschland schaffen den Nährboden für rassistische Ideologien und führen in der Konsequenz zu rechten Straftaten.

Problem Rassismus

Viel zu selten wird Rassismus als Tatmotiv von den ermittelnden Behörden bzw. der Staatsanwaltschaft anerkannt – dabei steigen gerade rassistische Gewalttaten in einem besorgniserregenden Maße: um mehr als 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Fast die Hälfte aller registrierten Angriffe war rassistisch motiviert. „Rassismus als Motiv wird oft gar nicht anerkannt. Das liegt daran, dass die Ermittlungsbehörden eine andere oder zuweilen auch gar keine Sicht auf die Situation haben“, erlärt Sabine Seyb dazu.

Im Zentrum rechter Gewalt stehen allerdings nicht nur Migrant*innen, sondern auch nicht-rechte und alternative Personen (134 Angriffe, + 18 Prozent) sowie Menschen, die von den Täter*innen als politische Gegner*innen angesehen werden (140 Angriffe, + 19 Prozent).

Bei 57 Gewalttaten war Hass auf Homosexuelle das Motiv, in 17 Fällen Antisemitismus und in elf Fällen Sozialdarwinismus. Zudem registrierten die Beratungsstellen acht Angriffe gegen Menschen wegen einer Behinderung.

Fazit: Das Klima wird rauer

Zwar haben die Debatte um die NSU-Morde sowie das kontinuierliche Monitoring der Beratungsstellen dazu beigetragen, dass das Dunkelfeld rechtsextremer Angriffe erhellt werden konnte. Hinzu kommt das Betroffene ebenso wie Zeuginnen und Zeugen Übergriffe öfter zu melden scheinen. Dennoch belegen die Zahlen, dass das Klima für Menschen, die in das entsprechende Schema von Rechtsextremen fallen, rauer wird. Umso wichtiger ist das Angebot der unabhängigen Beratungsstellen – auch, weil es gewährleistet, dass die Empfehlungen des Bundestagsuntersuchungsausschusses zum NSU sowie die EU-Richtlinie zum Opferschutz tatsächlich im Sinne der Betroffenen umgesetzt werden. Aus der Statistik für das Jahr 2013 ergeben sich für die ostdeutschen Beratungsstellen folgende Forderungen:

  • Die Beratungsstrukturen müssen in Gesamtdeutschland aufgebaut werden und dürfen sich nicht nur auf die neuen Bundesländer beschränken.
  • Die Polizei muss bei jeder Straftat Rassismus als Tatmotiv aktiv ausschließen.
  • Institutioneller Rassismus muss als das benannt werden, was er ist – eine dementsprechende Sensibilisierung ist notwendig.
  • Todesopfer rechter Gewalt sollten als solche anerkannt werden – noch immer gibt es eine große Lücke zwischen den offiziellen Zahlen und den Listen, wie sie etwas von ZEIT und Tagesspiegel geführt werden. Die Nicht-Anerkennung als Todesopfer rechter Gewalt ist ein weiterer Schlag ins Gesicht der Angehörigen.
  • Nach dem Ende des NSU-Untersuchungsausschusses und dessen Abschlussbericht darf nicht einfach zur Tagesordnung übergegangen werden. Stattdessen sollte eine dauerthafte Enquete-Kommission im Bundestag eingerichtet werden, die das Thema Rassismus im Fokus der Öffentlichkeit hält.

Die Beratungsstellen im Netz

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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