Am 27. September meldete die Göttinger Polizei in sechs dürren Zeilen einen Brand in der Straße „Ritterplan“. Bei dem in der Nacht zuvor im Erdgeschoss eines Wohn- und Geschäftshauses – es handelte sich um den Afro-Shop „O.J.Markt“ – ausgebrochenen Feuer sei der hintere Ladenbereich in „Mitleidenschaft gezogen“ worden. Ein technischer Defekt werde nicht ausgeschlossen.
Zwei Tage später glaubten die Beamten Gewissheit zu haben ? der Brand sei „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ auf einen technischen Defekt zurückzuführen, erklärte die Polizei-Pressestelle. Zweimal waren die Ermittler vor Ort. Spuren eines Brandbeschleunigers oder andere Hinweise auf einen Anschlag fanden sie nach eigenen Angaben nicht.
Einen Anschlag vermutet hingegen Joseph Akhigbe Michael, der Inhaber. „Für mich ist die Version der Polizei kaum zu glauben“, sagt er. Der Nigerianer, der vor 12 Jahren nach Göttingen kam und mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis in der Universitätsstadt lebt, hatte den Laden 2006 eröffnet. Jetzt steht er vor den Trümmern seiner Existenz. Mobiliar und Waren im Wert von rund 65.000 Euro wurden nach bisherigen Schätzungen durch die Flammen zerstört. Während eine Versicherung für die Gebäudeschäden aufkommt, sind die Waren nicht davon abgedeckt.
Auch Freunde und Kunden von Joseph A. Michael äußerten Zweifel an der Darstellung der Polizei. Sie verweisen auf einschlägige Drohungen des Vermieters und seine Kontakte zur NPD. Der spät adoptierte Landadlige Jochen Freiherr von W. ? er ist Verleger eines Kulturmagazins, Chefredakteur einer Presseagentur und einer TV-Produktionsgesellschaft, vermittelt nebenbei Wohnungen und betreibt einen Paketannahmedienst ? hatte die Immobilie im „Ritterplan“ im Juli 2007 erworben.
Unmittelbar darauf erhöhte W. die Miete für den Afro-Shop um 200 auf 700 Euro. Gleichzeitig forderte er eine im Mietvertrag gar nicht vorgesehene Zahlung einer Kaution über zwei Monatsmieten. Als Michael die erhöhten Zahlungen verweigerte, brach W. einen Psycho-Krieg gegen seinen Mieter vom Zaun. Er klebte Zettel mit der Aufschrift an die Scheibe, dass der Laden zu vermieten sei und der Pächter ihm 5.000 Euro schulde.
Mobbing auf offener Straße
Auch fing W. Kunden am Eingang ab, um diesen sein angebliches Leid zu klagen und sie so vom Betreten des Shops abzuhalten. Beim Göttinger Amtsgericht sind zudem Bemühungen des Verlegers aktenkundig, Michael bei den Behörden zu denunzieren. „Er hat unter anderem behauptet, ich hätte keine Papiere, ich würde illegal Leute beschäftigen oder meine Lebensmittel seien abgelaufen“, erzählt der Nigerianer. „Nichts davon stimmte“.
Als das Gericht den Rufmord per einstweiliger Verfügung stoppte, wandte sich Vermieter W. im Sommer schriftlich an die Göttinger NPD. „Mittlerweile ist durch das fehlende Geld mein Konto gesperrt und mir droht die Zwangsversteigerung meiner Immobilie! Kann ich bei Euch irgendwelche Hilfe bekommen?“, quengelte er in dem Schreiben.
Die Neonazi-Partei veröffentlichte das Schreiben auf ihrer Internetseite und versah es genüsslich mit rassistischen Kommentaren: „Besonders empörend an dieser Geschichte ist, dass der Mietpreller, der seiner Zahlungspflicht nicht nachkommt, vom brd-Staat (sic!) auch noch die Prozesskosten bezahlt bekommt, mit denen er als Betrüger gegen seinen Vermieter, also das Opfer seines Betruges, vorgehen kann.“
Neonazis helfen gerne
Michael berichtet zudem von immer massiveren persönlichen Drohungen, die sein Vermieter gegen ihn ausgestoßen hat. „Ich hetze dir die Russen auf den Hals“, soll W. gesagt haben. Freunde des Nigerianers bezeugten, sie hätten den Verleger vor dem Brand mehrfach in Begleitung von Neonazis gesehen. Noch zwei Tage zuvor sei der Afro-Shop von Rechtsradikalen fotografiert worden. Vor dem Laden installierte W. zudem eine Kamera.
Ausländerfeindlich sei er gar nicht, beteuerte der Freiherr. Er habe „sogar mal ’ne ausländische Frau gehabt“. Dass er auf der Straße schon mal „mit Negern spreche ich nicht“ gerufen hat, räumte der 54-Jährige ein. Die „Neger“ selbst hätten ihn auf die Idee gebracht, sein Leid der NPD zu klagen. „Sie haben mich doch immer als Nazi beschimpft.“ Seit dem Brand ist W. für Journalisten allerdings nicht mehr zu sprechen.
Mit dem Uslarer Anwalt Klaus Kunze hat sich der Verleger einen Rechtsbeistand gewählt, der schon häufig Neonazis verteidigt hat und als Stammautor bei der rechten Wochenzeitung Junge Freiheit bekannt ist. Auch W.s andere Helfer aus der rechten Szene blieben rührig. „Mehrfach wurden stadtbekannte Neonazis vor Joseph Michaels Wohnung gesehen, einmal waren sie sogar im Hausflur“, berichten Unterstützer.
Kulturinitiativen solidarisieren sich
Dieser Tage erhielt W. Post von 15 Göttinger Kulturinitiativen. „Wir sind entsetzt über die Ihnen zugeschriebenen Äußerungen, Vorgehens- und Verhaltensweisen“, heißt es in dem Offenen Brief. Die Initiativen fordern den Verleger zu einer Stellungnahme und einer öffentlichen Entschuldigung auf. Anderenfalls wollen sie die Zusammenarbeit mit W.s Magazin „K 3“ einstellen und dort auch keine Anzeigen mehr schalten. Viele Kneipen haben das kostenlos vertriebene Blatt mittlerweile aus ihren Auslagen und Zeitschriftenständern entfernt.
Bereits Anfang Oktober demonstrierten hunderte Unterstützer des Nigerianers, darunter auch viele Gewerkschafter, in Göttingen gegen Rassismus. „Ob es nun ein technischer Defekt war oder nicht ? es kann nicht sein, dass Ausländer auf diese Weise schikaniert und eingeschüchtert werden“, sagen sie. Für einen neuen Afro-Shop und Treffpunkt für die afrikanische Gemeinschaft in Göttingen ist inzwischen eine Spendenaktion angelaufen. Im Dezember soll der Laden wieder eröffnet werden.
In der Nacht zum 9. November brannte W.s. Wohnhaus in der Ortschaft Reyershausen, etwa zehn Kilometer von Göttingen entfernt, aus. Aus den rauchenden Trümmern bargen Feuerwehrleute mehrere Gewehre und drei Waschkörbe voller Schrotpatronen und Kugeln. W. besaß nach Angaben der Polizei Besitzerlaubniskarten für alle geborgenen Waffen und auch eine Genehmigung zum Aufbewahren der Munition. Die Ursache des Feuers ist noch unklar.