Die sogenannte „Identitäre Bewegung“, Nikolai Nerling (Der Volkslehrer), Leonard Jäger oder Michelle Gollan, sie und noch viele weitere extrem rechte Influencer*innen versuchen durch Straßenumfragen das ideologische Fundament der eigenen Anhängerschaft zu festigen. Dabei sind Straßenumfragen generell ein beliebtes Videoformat und müssen nicht per se problematisch sein.
Haben sie mal kurz ne Minute Zeit? – Eine Person mit Mikrofon und Kamera kommt auf einen zu und lächelt gewinnend. Schon im Fernsehen hatten Straßenumfragen häufig das Ziel, Ahnungslosigkeit oder besonders abwegige Antworten dem Spott des Publikums freizugeben. Das Format ist auch im Kurzvideoformat beliebt. Creator*innen suchen für ihre Videos Freiwillige in der Fußgängerzone. Das Versprechen nach Sichtbarkeit und ein kurzweiliger Spaß sind Überredung genug. Nichtsahnende sollen in Kamera und Mikro sprechen. Ihre Sichtweise auf bestimmte Sachverhalte darlegen. Was mit dem Inhalt letztendlich passiert, darüber haben die Interviewten keine Handhabe.
Straßenumfragenformate zählen zu dem Repertoire der Unterhaltungsformate. Die Grenze des, mit anderen Lachen, zu, über sie lachen, verläuft hier meist fließend. Insbesondere bei politischen Themen werden hier nicht selten Wissenslücken oder abenteuerliche Welterklärungsmuster offenbart. Zuschauende werden über Befragte gestellt und zu den Wissenden gezählt. Wer ausgewählt wird oder welche Antwort, ja welcher Anteil dieser, das liegt bei der schneidenden Person und das sind gegenwärtig zunehmend Creator*innen.
Doch nicht nur extrem rechte Influencer*innen bedienen sich diesem Stilmittel: „Ist nur ein YouTube-Kanal, ist nix Schlimmes“, versichert etwa der AfD-Bundestagsabgeordnete Roger Beckamp dem sichtlich verunsicherten jungen Mann, den er auf einer Demonstration interviewt. „Ich bin hier, weil ich mich für die Demokratie und gegen Faschismus einsetzen möchte“, sagt der Befragte schließlich. Beckamp, der die Gelegenheit wittert, stellt eine gezielte Frage: „Und was ist Faschismus genau?“ Es folgt die unvermeidliche Überforderung. Der junge Mann ist offensichtlich überrumpelt, dreht sich Hilfe suchend zu seiner Begleitung und bittet um Unterstützung. Der 15 Sekunden lange Clip endet abrupt, doch für die Zuschauer*innen ist zu diesem Zeitpunkt schon alles gesagt. In der Kommentarspalte wird dann fleißig verallgemeinert: „immer wieder unfassbar! die wissen alle nicht warum sie das überhaupt machen!“[sic].
Die ungleiche Ausgangslage wird dabei vollständig ignoriert. Der Interviewte ist ein sichtlich nervöser Protestteilnehmer, der einem erfahrenen Politiker gegenübersteht und das auch noch vor der Kamera. Diese Asymmetrie wird von vielen Zuschauer*innen nicht wahrgenommen. Der entscheidende Punkt liegt jedoch im Schnitt. Das Video endet genau zu dem Zeitpunkt, an dem der Befragte ins Straucheln gerät, der Moment, in dem er die Kontrolle verliert und seine Unsicherheit sichtbar wird.
Noch deutlicher wird die Macht des Schnitts in einem TikTok-Clip, mit dem die rechte Influencerin Michelle Gollan ihr YouTube-Video über die „Letzte Generation“ bewirbt. In dem Videoausschnitt wird eine Unterstützerin der Klimabewegung befragt. Nachdem sie ihre Begeisterung für die „Letzte Generation“ äußert, folgt eine schnelle Schnittsequenz, in der ausschließlich die Füllwörter und Lautpausen des Interviews herausgepickt werden. Das Ganze ist unterlegt mit heiterer Musik, die den Zuschauenden sofort vermitteln, dass hier etwas Lächerliches dargestellt wird, die Befürworterin der Demonstration.
So wird der Eindruck erweckt, die befragte Person sei unsicher, unvorbereitet und möglicherweise wenig kompetent in ihrer Haltung. Das Video dient als Teaser für das komplette YouTube-Video, wobei die Unterstützerin gezielt als karikierte Protagonistin präsentiert wird. Gleichzeitig werden mögliche negative Vorannahmen über die Unterstützer der „Letzten Generation“ für den Zuschauer scheinbar bestätigt. Es handelt sich um einen gezielten Versuch, die Person und die Bewegung, für die sie eintritt, lächerlich dastehen zu lassen.
Dieses Videoformat ist vor allem darauf ausgelegt, Jugendliche anzusprechen. Die kurzen Clips sind so konzipiert, dass sie auf Plattformen wie TikTok und Instagram möglichst viral gehen und ein breites Publikum erreichen. Videos, die Fremdscham auslösen, sogenannter Cringe Content, sind besonders bei Jugendlichen beliebt und bilden den Rahmen dieser Videos und der Unterhaltungsfaktor steht vermeintlich im Vordergrund, dabei wird aber subtil rechte Ideologie vermittelt.
Bereits Nikolai Nerling, auch bekannt als „der Volkslehrer“, bespielte so die eigene Anhängerschaft, indem er etwa auf Anti-rechte-Veranstaltungen ging und dort Demokrat*innen interviewte, um sie der Lächerlichkeit preiszugeben. Auch ein vermeintliches Comedy-Projekt der rechtsextremen Identitären Bewegung provozierte bereits vor fünf Jahren mit solchen Videoformaten.
Ziel ist es, die demokratische Zivilgesellschaft oder Menschen mit Migrationsbiografien vorzuführen. Es werden von Einzelaussagen und Einzelpersonen Schlüsse über ganze Gruppen gezogen und als Gefahr oder Objekt der Verachtung inszeniert. Die Rechtsextremen können dabei bei den Zuschauenden bereits bestehende Ressentiments bestätigen oder neue Legitimierung für Hasskampagnen und antidemokratische Positionen schaffen, ohne sich selber groß zu äußern. Der Schnitt und die Darstellung bilden den Kontext und die Menschenfeindlichkeit.
Rechte Influencer*innen nutzen Straßenumfragen auch als Plattform für die eigene Überhöhung. Durch die gezielte Auswahl und Bearbeitung von Clips präsentieren sie sich und ihre Community als vermeintlich überlegene Gegenspieler einer ‚unwissenden‘ oder ‚lächerlichen‘ Gegenseite. Dieses Gefühl der Überlegenheit wird in Kommentarspalten und innerhalb der eigenen Anhängerschaft weiter verstärkt. Die Inszenierung als souveräne, schlaue und wissende Gruppe ist dabei ein verbindendes Element. Diese Überheblichkeit dient nicht nur der Selbstvergewisserung innerhalb der rechten Szene, sondern auch der Überzeugung und Rekrutierung neuer Anhänger*innen. Schließlich lachen Zuschauer*innen lieber über andere, als selbst potenziell zum Ziel des Spotts zu werden
Auch so kann Selbstverharmlosung funktionieren – man zeigt mit dem Finger auf andere, desavouiert sie und muss sich selbst scheinbar gar nicht mehr positionieren,
Schlüsse werden nur angedeutet. Souveränität bleibt der interviewenden und schneidenden Person vorenthalten.
Rechtsextremen kommt dieses Format entgegen. Sie können Menschen exponieren, lächerlich und verächtlich machen, ähnlich wie Libs of TikTok. Einem Kanal, der in den USA dadurch bekannt wurde, queere Erzieher*innen und Lehrer*innen im Stile des Hatefluencing als Feindbild zu markieren. Betroffen sind arglose Demonstrationsteilnehmende, engagierte Menschen, marginalisierter Gruppen und Organisationen und Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus einsetzen. Allen gemein ist, dass Ihnen nicht bewusst scheint, in wessen Mikrofon sie sprechen und für welchen Kanal ihr Beitrag verwendet wird.
Im schlimmsten Fall werden sie jedoch nicht nur exponiert, sondern Aussagen werden entkontextualisiert, mit Täuschungsabsicht verkürzt oder auf die boshafte Art ausgelegt.
Abschließend noch ein paar Hinweise, wie man sich selber schützen kann, nicht Teil dieser Strategie zu werden.
1. Wer filmt?
Lass dir einen Presseausweis zeigen oder google die Person und das Format, um sicherzugehen, dass du nicht getäuscht wirst.
2. Stelle Fragen
Unseriöse Akteur*innen vermeiden oft klare Antworten oder geben irreführende Informationen. Achte auf die Überprüfbarkeit ggf. getätigter Aussagen.
3. Veröffentlichung nur gegen Freigabe
Gebe zur Absicherung an, Beiträge, in denen du sprichst und zu sehen bist, erst vor Veröffentlichung freizugeben, um Entkontextualisierung und missbräuchliche Absichten frühzeitig zu identifizieren. Lehnen die Creator*innen dies ab, kann dies als Hinweis auf unseriösen Umgang mit dem Videomaterial gedeutet werden und dir helfen eine Entscheidung darüber zu treffen, ob du dich mit dem Vorgehen ohne diese Möglichkeit sicher vorkommst.
4. Erkenne potenzielle Anzeichen
Achte auf typische Symbole, Schlagwörter oder Kleidung, die mit rechtsextremen Ideologien in Verbindung gebracht werden könnten. Wenn jemand plötzlich suggestive oder provokative Fragen stellt, die auf Vorurteile abzielen, unterbrich das Gespräch und halte fest, dass das Filmmaterial nicht veröffentlicht werden darf.
5. Vermeide Interaktion
Grundsätzlich bist du nicht verpflichtet, im öffentlichen Raum Fragen zu beantworten. Höflich, aber bestimmt abzulehnen, ist vollkommen legitim. Ein einfacher Satz wie „Ich habe keine Zeit“ oder „Nein, danke“ kann helfen, die Situation zu beenden. Notfalls auf Bildrechte bestehen.
6. Mach andere darauf aufmerksam
Hast du eine*n rechtsextremen Content Creator*in identifiziert, informiere deine Umgebung oder Veranstalter*innen, damit diese sich ebenfalls schützen können und ggf. die Polizei rufen.
7. Melde problematische Vorfälle
Wenn du merkst, dass jemand gezielt rechtsextreme Ideologien verbreitet oder andere belästigt, informiere die Mobile Beratung. Plattformen wie „Meldestellen für Hassrede“ oder Antidiskriminierungsstellen können ebenfalls unterstützen.
Wichtig ist, dass du dich sicher fühlst und auch auf dein Bauchgefühl achtest. Bleib wachsam und lass dich nicht in ungewollte Gespräche verwickeln. Ist das Videomaterial erst einmal veröffentlicht, ist es schwierig dagegen vorzugehen.