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Rechte Millenials haben einen neuen Star Alexander Dugin

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Screenshot aus dem YouTube-Video "Meeting Aleksandr Dugin" von Brittany Pettibone.

 

Von Christoph M. Kluge

 

Der alte Mann mit dem Rauschebart genießt die Aufmerksamkeit der jungen Frauen sichtlich. Stark gestikulierend erklärt Dugin sein düsteres Weltbild. Der ehemalige Professor der Moskauer Lomonossow-Universität spricht lang und ausführlich, er predigt geradezu. Lauren Southern und Brittany Pettibone hängen ehrfürchtig an seinen Lippen, während der rechtsextreme Philosoph krude Thesen aufstellt. Nachfragen stellen die selbsternannten „Journalistinnen“ nicht. Das mehrstündige Interview erscheint in Form etwa 10-minütiger Clips nach und nach auf YouTube, zwei sind bereits online. Dieses erstaunliche Aufeinandertreffen sehr unterschiedlicher Generationen und Strömungen von Rechtsextremen wirft ein Schlaglicht auf deren globale Vernetzung.

 

Aufstieg der Nazi-Nerds

Die „Alt-Right“ fristete lange Zeit ein Schattendasein in der amerikanischen Politik. Ihre Anhänger diskutierten auf Internet-Boards wie Reddit oder 4chan über rassistische und antisemitische Ideen. Doch in der wirklichen Welt traten sie kaum in Erscheinung. Das änderte sich im Präsidentschaftswahlkampf 2016. Zahllose Alt-Right-Aktivist*innen unterstützten Donald Trump mit Propaganda-Memes und verbreiteten Verschwörungstheorien über seine Konkurrentin Hillary Clinton. Das Spektrum der beteiligten Figuren ist breit und reicht von Neonazis sowie Ku-Klux-Klan-Fans bis zu rechten Hipstern. Letztere versuchen, mit einem modernen und freundlichen Auftreten ein Massenpublikum für ihre Ideen zu begeistern.

Southern und Pettibone gehören zu diesem Hipster-Flügel, der in der Szene mitunter etwas verächtlich als „Alt-Light“ bezeichnet wird. Das bedeutet jedoch nicht, dass ihre Botschaften harmlos wären. In viralen Videos verbreiten sie rechte Verschwörungstheorien und Hetze. Southern zum Beispiel reiste vor kurzem nach Südafrika, um zu beweisen, dass dort ein geplanter „Genozid an Weißen“ stattfinde. Vor Ort interviewte sie Aktivist*innen einer kleinen, rassistischen Organisation namens „Suidlanders“, die diese hanebüchene Behauptung aufstellten. Solche Trips werden durch Spenden von Fans und Crowdfunding finanziert. Die beiden Frauen sind also so etwas wie rechtsextreme Travel-Bloggerinnen.

 

 

„Trump-Wähler sind die letzten Menschen“

Auch Alexander Dugin war lange Zeit nur eine Randfigur der Rechten. Bis etwa 2014 kannten nur wenige Insider seine esoterischen Schriften. Das änderte sich mit dem Ausbruch des Ukraine-Konflikts. Plötzlich waren Dugins Ideen populär, weil er radikal antiwestlich auftrat und mit großem Pathos zur Vernichtung der USA und der gesamten westlichen Welt aufrief.

Doch der Ton ist inzwischen ein anderer. Im Interview mit Southern und Pettibone sagt Dugin, dass der Aufstieg von Donald Trump sein Bild der Vereinigten Staaten grundlegend gewandelt habe. Der „Trumpismus“ könne die Welt retten, glaubt er nun. Zwar sei Präsident Trump – als Person – in seinen Möglichkeiten beschränkt. Der „tiefe Staat“ aus Militär und Geheimdienst habe ihn bereits „als Geisel genommen“. Offenbar spielt Dugin auf die Ermittlungen wegen der russischen Einmischung in den Wahlkampf an. Die setzen die Trump-Administration unter Druck. Auch die amerikanische Rechte verbreiten die Verschwörungstheorie vom „tiefen Staat“, um das Justizministerium und den Sonderermittler Robert Mueller zu diskreditieren.

Dugin jedoch glaubt an den Trumpismus als politische Bewegung. Sein erklärtes Feindbild sind die „Liberalen“. Mit diesem Begriff fasst er seit jeher alles zusammen, was er als demokratisch, progressiv und im weitesten Sinne westlich versteht. Der „Post-Feminismus“ verwische die Grenzen zwischen Mann und Frau, während der „Multikulturalismus“ die „kollektive Identität“ der Völker untergrabe, fabuliert er. Doch damit nicht genug. Dugin versteigt sich zu der irren Behauptung, dass die „Liberalen“ eigentlich gar keine richtigen Menschen mehr seien. Sie hätten sich längst in „posthumane“ Lebensformen verwandelt. In den Anhängern von Donald Trump hingegen erkennt Dugin „die letzten Menschen“. Nur die Trumpisten widersetzen sich der gigantischen Verschwörung.

Bisher hatten sich Dugins Fantastereien um einen mythischen Kampf der „Atlantiker“ gegen die  „Eurasier“ gedreht. Der sollte als Dritter Weltkrieg zwischen den USA und Russland ausgefochten werden. Aber das scheint nun nicht mehr so wichtig zu sein. Das verworrene Weltbild des rechtsextremen Philosophen hat sich in den letzten Jahrzehnten immer wieder gewandelt. Einer irren Prophezeiung folgt die nächste. Dass er sich regelmäßig selbst widerspricht, stört seine Anhänger nicht. Im Gegenteil, gerade an den besonders grotesken Behauptungen finden Teile der neurechten Szene Gefallen.

 

Dugins Freunde in der Alt-Right

Sie sei ausdrücklich davor gewarnt worden, sich mit Dugin einzulassen, erklärt Lauren Southern ihren Followern in einem anderen Video. Übersetzer*innen seiner Werken hätten teuer bezahlt. Wissenschaftliche Karrieren seien zerstört worden. Die YouTuberin nennt zwar keine Namen. Doch vermutlich spielt sie auf die prominenteste Dugin-Übersetzerin der USA an: Nina Kouprianowa wurde in Moskau geboren und emigrierte in den 1990er Jahren mit ihren Eltern zunächst nach Kanada. Heute wohnt sie in der Kleinstadt Whitefish im US-Bundesstaat Montana und engagiert sich in den sozialen Netzen als begeisterte Putin-Anhängerin. Die russische Invasion der Ukraine verteidigte sie als „Befreiungskrieg“. Kouprianowa ist aber auch die Ehefrau des Nationalisten Richard Spencer.

Spencer nimmt für sich in Anspruch, den Begriff „Alt-Right“ überhaupt erfunden zu haben. Auch er bewundert den russischen Präsidenten, in dem er einen Beschützer weißer Christen sieht. Spencer bezeichnete Russland als die „einzige weiße Macht der Welt“ („the sole white power in the world”). Der 40-Jährige ist der Kopf des rassistischen Think-Tanks „National Policy Institute”. Das NSI hat seinen Hauptsitz in Alexandria, Virginia, nur etwa drei Autostunden entfernt von Charlottesville. Dort demonstrierten im August 2017 Tausende Rechtsradikale. Neben der berüchtigten antisemitischen Parole „Jews will not replace us!” riefen sie auch „Russia is our friend!” Spencer war einer der Organisatoren der Veranstaltung, bei der eine Gegendemonstrantin getötet wurde.

Richard Spencer promotet Alexander Dugins Ideen in den USA und brachte einige von dessen Büchern in seinem Verlag heraus. Spencers Website altright.com veröffentlicht zudem regelmäßig Gastartikel von Dugin. Dieselbe Seite berichtete auch wohlwollend über die Reisen von Lauren Southern, vor allem ihre Projekte in Europa.

 

Die Dugin-Connection der Identitären

Im deutschsprachigen Raum sind die YouTuberinnen Southern und Pettibone am ehesten bekannt für ihre Rolle bei medienwirksamen Aktionen der „Identitären Bewegung“. Die rassistische Gruppierung um den Österreicher Martin Sellner fordert die vollständige Abschottung Europas gegen Migranten. Im vergangenen Jahr charterten die Identitären ein Schiff, um gegen Flüchtlingsrettung im Mittelmeer zu protestieren. Southern und Pettibone stießen hinzu und rührten die Werbetrommel für die „Defend Europe“ genannte Kampagne. So konnten sie Geldspenden aus den USA mobilisieren. Danach folgten weitere gemeinsame Publicity-Aktionen. Auch privat sind Pettibone und Sellner inzwischen offenbar ein Paar.

Martin Sellner ist heute das bekannteste Gesicht der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ in Österreich, vor allem durch seine Präsenz in den sozialen Netzen. In den Hintergrund gerückt ist hingegen sein Mitstreiter Alexander Markovics, der bis vor wenigen Jahren noch gemeinsam mit ihm in der Öffentlichkeit stand. Markovics interviewte 2014 Alexander Dugin für die Website der Identitären. Bald danach zog er sich aus dem Rampenlicht zurück und gründete das „Suworow Institut“. Der obskure Think Tank bezeichnet sich als „Gesellschaft zur Förderung des österreichisch–russischen Dialogs“. Tatsächlich verbreitet Markovic die Ideen von Dugin, denn nur die können seiner Ansicht nach Europa vor Verfall und „Überfremdung“ retten. Gleichzeitig tritt der Rechtsextremist im russischen Auslandssender RT als vermeintlicher Experte zu Migrationsfragen auf.

Die beiden Aktivisten gehen arbeitsteilig vor: Sellner bemüht sich um Netzwerke im Westen, Markovics baut unterdessen den Kontakt zu Dugin-Anhängern in Russland und Ungarn aus. Doch beide Welten scheinen einander näher zu kommen.

 

Vorbild Russland

Es gibt zahlreiche Verbindungen zwischen der amerikanischen Alt-Right, den Identitären und den Anhängern Dugins. Jetzt unternehmen Southern und Pettibone den direkten Versuch, aus dem Politguru einen Star für rechtsextreme Millenials im Westen zu machen. Das ist unter ihren Fans nicht unumstritten. Aus einigen Kommentaren unter den Videos spricht offene Ablehnung. Die Alt-Right ist auch von libertären Ideen beeinflusst und einige Anhänger treten auf ihre Weise für individuelle Bürgerrechte ein – wenn auch nur für die eigene Bevölkerungsgruppe. Dugins Gerede von „Kollektivismus“ halten sie für versteckten Kommunismus, den sie strikt ablehnen. Doch letztlich sind die Pseudo-Theorien des Gurus so nebulös und wirr, das jeder irgendwie autoritär denkende Mensch etwas für sich darin entdecken kann, wenn er nur möchte.

Viel wichtiger als Dugin und sein esoterisches Raunen ist jedoch: Der provokative Moskau-Besuch der amerikanischen Internet-Sternchen und die Diskussionen darum zeigen, dass das Interesse der neurechten Szenen an Putins Russland wächst. Der autoritäre und reaktionäre Regierungsstil des Kremls wird als Vorbild für die Zukunft Europas und der Vereinigten Staaten gesehen. Die unberechenbare Politik von US-Präsident Trump bestärkt die Rechten in der Hoffnung, dass ihr Traum bald Wirklichkeit wird: der Untergang der westlichen Demokratien.

Christoph M. Kluge ist Literaturwissenschaftler, Historiker sowie freier Journalist in Berlin und beobachtet die neurechte Szene. Mehr von Christoph auf seiner Website Leverage.  

 

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