Die Fragen beantwortet Cornelius Peltz, Soziologe und Buchautor. Er ist seit langen Jahren in der Arbeit gegen Rechtsextremismus und für demokratische Kultur akti v. Er veranstaltete unter dem Titel „Demokratie ist Pop“ – Jugendbildung für Respekt und Courage Workshops für Schule und Jugendarbeit und beriet Eltern rechtsextrem orientierter Jugendlicher.
MUT: Wie sieht Rechtsextremismus in Bremen derzeit aus?
Der Verfassungsschutz betrachtet den Rechtsextremismus in Bremen, eher als ein randständiges Problem. Die Kolleginnen und Kollegen, die in Bremen und im Umland zu den Themen Rechtsextremismusbekämpfung und Demokratienetwicklung arbeiten, kommen jedoch zu einer anderen Einschätzung. Rechtsextremismus in Bremen hat unterschiedliche Erscheinungsformen. Einerseits gibt es die rechtsextremen Parteien, die versuchen, Einfluss zu gewinnen, insbesondere die Partei „Bremen muss leben“. Bei der Bürgerschaftwahl erteilten ihnen die Wähler*innen allerdings eine deutliche Abfuhr. Geschäftsführer der „Deutschen Konservativen“ ist der Journalist und Buchautor Joachim Siegerist.
Andererseits gibt es freie Kameradschaften (z.B. die Kameradschaft Wesersturm) sowie rechtsextreme Skinheadgruppierungen (z.B. Hammerskins und Backstreet Skinheads).
Geht man von den Wortführern in allen Bereichen aus, lässt sich der harte Kern der extremen Rechten in Bremen auf 20 Personen schätzen. Das Mobilisierungspotential liegt mit ca. 300 Personen weit höher. In diese Zahl rechne ich auch Personen aus der gewaltbereiten und teilweise rechtsextrem orientierten Hooliganszene ein.
Wie zeigt der Rechtsextremismus sich hauptsächlich? Gibt es Schwerpunkt-Regionen?
Die Region Bremen-Nord war und ist Treff- und Ausgangspunkt rechtsextremer Akteure und Aktionen gewesen. Im Jahr 2000 plante ein Neonazi dort einen Rohrbombenanschlag auf ein Hochhaus, in dem viele Migrant*innen wohnten. Der Anschlag konnte kurz vorher verhindert werden. Zudem lebt der stellvertretende Vorsitzende der NPD Bremen-Stadt und Betreiber des „Heimdall-Shops“ in Bremen-Nord.
Zweites Aktionsfeld der extremen Rechten (insbesondere der NPD) sind derzeit vor allem die sozial eher benachteiligten Stadtteile Gröpelingen und Walle. Hier leben viele Menschen mit einem Migrationshintergrund. Spannungen und Auseinandersetzungen zwischen Alteingesessenen und MigrantInnen nimmt die NPD zum Anlass, ihre „nationale Propaganda“ in Form von Demonstrationen und Infoständen in der Öffentlichkeit zu transportieren. Zudem versucht die NPD in Gröpelingen eine Immobilie als Parteizentrale zu erweben.
Der Agitation der NPD steht im Stadtteil jedoch ein breites „Bremer Bündnis gegen Rechts“ gegenüber, das u.a. den Ankauf einer Immobilie zu verhindern sucht.
Welche sind die wichtigsten rechtsextremen Organisationen?
Die DVU ist seit 1999 durch Sigfried Tittmann in der Bremer Bürgerschaft vertreten. Tittmann ist mittlerweile stellvertretender Bundesvorsitzender der DVU. Die DVU gilt in Bremen – ähnlich wie die Partei „Bremen muss leben“ – eher als Altherrenpartei. Für die extreme Rechte ist die NPD von größerer Bedeutung. Im Rahmen des „Deutschland-Paktes“ zwischen DVU und NPD ist die NPD bei der Bürgerschaftswahl aber als Partei nicht angetreten, stellte jedoch eigene Kandidaten auf den Listen der DVU auf, insbesondere bei der Wahl zum Beirat in Gröpelingen.
Weitere rechtskonservative Parteien in Bremen sind u.a. „Bremen muss leben“, die „Deutsche Christliche Partei“ sowie der „Verein Bürger in Wut“.
In der freien Szene sind die so genannten freien Kräfte (Kameradschaften und Skinheadfraktionen) von zentraler Bedeutung. Hervorzuheben sind hier die Kameradschaft Wesersturm sowie die „Backstreet Skinheads“.
Eine Scharnierfunktion zwischen subkulturellen Zusammenhängen und organisierten Rechten scheint die Hooligangruppierung „Standarte“ einzunehmen. Mitglieder der Standarte sind u.a. einschlägig bekannte Neonazis. Pikant ist, dass Einzelpersonen als Türsteher auf der Bremer „Discomeile“ arbeiten. Im Januar 2007 verübten Mitglieder der Standarte einen brutalen Überfall auf eine Fanfeier im Ostkurvensaal des Bremer Weserstadions, weil zuvor Mitglieder Standarte des Saales verwiesen wurden, da sie Kleidungsstücke der Marke „Thor Steinar“ trugen und sich weigerten, diese auszuziehen.
Außerdem kommen drei bekannte Rechtsrock-Bands aus Bremen: „Endstufe“, „Endlöser“ und aus dem Hooligan-Milieu „Kategorie C“, die sich inzwischen in zwei Bands aufgesplittet hat: „KC – Hungrige Wölfe“ und „Vollkontakt“.
Gibt es „lokale Spezialitäten“ der Szene?
Zu den NPD-Aktivisten in Bremen gehört Gabriela Yardim. Die Frau war mit einem Türken verheiratet. Ihr Engagement wird in der rechten Szene vor diesem Hintergrund kontrovers diskutiert.
Eine weitere Besonderheit ist die starke Verbundenheit der Bremer und der niedersächsischen rechtsextremen Szene. Stadt und Umfeld müssen z.B. bei Aktionen immer zusammen gedacht werden. Die niedersächsischen Rechtsextremen sind jederzeit für Aktionen in Bremen aktivierbar. Andersherum wird der „Heisenhof“ in Verden immer mehr zu einem rechtextremen Jugendfreizeitheim und offeriert sich interessierten Bürgern als freundliche Anlaufstelle der Rechtsextremen.
Welche aktuellen Trends, Strategien beobachten Sie? Als wie bedrohlich schätzen Sie Rechtsextremismus in Bremen derzeit ein und warum?
Auffällig ist, dass die Rechtsextremen enorm an Selbstbewusstsein gewinnen und offensiv gegen ihre (politischen) Gegner vorgehen. So klagte beispielsweise ein stadtbekannter Hooligan erfolgreich gegen eine bremer Monatszeitschrift, in der er als Neonazi betitelt wurde, diese Bezeichnung jedoch nicht ausreichend belegt werden konnte. Während der Gerichtsverhandlung hielten sich zahlreiche Szeneaktivisten vor dem Gerichtssaal auf und anwaltlich wurde der Hooligan durch Gisela Pahl vom „Deutschen Rechtsbüro“ vertreten.
Die extreme Rechte in Bremen setzen zunehmend auf die „Strategie der Wortergreifung“ im Rahmen öffentlicher Veranstaltungen und Internetforen. In diesen Diskussionen gerieren sie sich als „Kümmerer“ und „wahre Demokraten“. Neben der Wortergreifung setzt die extreme Rechte auch auf die „Strategie der Einschüchterung“. Sie besuchen u.a. Veranstaltungen (versuchen zu filmen und zu fotografieren), bei denen beispielsweise über Rechtsextremismus in der Region informiert wird. Sie treten zunehmend nett und adrett auf und werden immer geschickter in ihren Argumentationen. An anderer Stelle werden in Bremen einschüchternde Anti-Antifa-Strategien eingesetzt: Rechtsextreme kommen zu Veranstaltungen gegen Rechtsextremismus und filmen die Teilnehmenden und veröffentlichen in Internetforen Namen und Adressen von politischen Gegnern.
Im Fall des Standarteüberfalls auf die Feier einer antirassistischen Fangruppierung führte die massive Gewaltausübung dazu, dass die betroffenen Personen aus Angst vor weiteren Repressionen bisher von Anzeigen abgesehen haben.
In der öffentlichen Wahrnehmung wird der Rechtsextremismus in Bremen (noch) weitgehend als wenig präsent und gefährlich eingeschätzt. Zudem gibt es in Bremen ein gut funktionierendes Netzwerk, das sich auf unterschiedlichen Ebenen für Vielfalt und Demokratie und gegen Menschenfeindlichkeit und Gewalt engagiert. Nicht zuletzt der „Standarteüberfall“ zeigt aber, dass es Situationen gibt, in denen ein antirassistisches Selbstverständnis ausreicht, um auch in Bremen, Opfer brutaler Gewalt zu werden. Wenn man dann berücksichtigt, dass einzelne rechtsextreme Gewalttäter als Türsteher arbeiten und damit eine nicht unerhebliche Definitionsmacht bekommen, stimmt das mehr als nachdenklich…
Interview: Simone Rafael
Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).