Christiane Ritter ist Mitarbeiterin des Netzwerks für Demokratie und Courage Saar e.V., das mit Schulprojekttagen unter dem Titel „Für Demokratie Courage zeigen“ Demokratie mit Spaß erlebbar machen will und gleichzeitig präventiv gegen Rechtsextremismus und Diskrimierung arbeitet.
Wie sieht Rechtsextremismus im Saarland derzeit aus?
Hier gibt es hauptsächlich die NPD und eine sehr aktive Szene der freien Kameradschaften. Der harte Kern besteht aus rund 20 Leuten, aber das Umfeld, das diese Köpfe mobilisieren können, ist sehr groß und reicht bis zu gewaltbereiten Fußballfans, unter die sich derzeit auch wieder vermehrt Neonazis mischen.
Wie zeigt der Rechtsextremismus sich hauptsächlich? Gibt es Schwerpunkt-Regionen?
Im Saarland bedienen NPD und Kameradschaften ganz unterschiedliche Szenen. Die NPD wendet sich bewusst vor allem an das bürgerliche Spektrum, die Kameradschaften sind im Bereich der Jugend- und Subkulturen aktiv. Schwerpunktregionen sind Saarlouis und das Köllerbachtal, wo zwei Kameradschaften schon sehr lange aktiv sind. Saarbrücken und Völklingen sind die Standorte, an denen die NPD stark aktiv ist. In Völklingen sitzt sie auch im Stadtrat. Im Sulzbachtal gibt es sehr aktive rechte Skinheadcliquen, die auch physisch gefährlich werden können.
Welche sind die wichtigsten Organisationen?
Die aktivste Kameradschaftsstruktur derzeit ist das „Aktionsbüro Saar“. Bis vor anderthalb Jahren gab es zwei Kameradschaften, die sehr aktiv waren, der „Nationale Widerstand Köllertal“ und die „Kameradschaft Saarlautern“. Beide haben sich offiziell aufgelöst, wohl, um einem staatlichen Verbot zuvor zu kommen. Die Akteure sind aber weiterhin aktiv, agieren jetzt nur ohne Namen oder unter dem Dach des „Aktionsbüros Saar“.
Gibt es „lokale Spezialitäten“ der Szene?
Eine saarländische Spezialität ist die Verbindung nach Frankreich. Die rechtsextreme Szene veranstaltet dort gern Konzerte, von denen sie befürchten, dass sie hier verboten werden könnten. Daran sind mit Sicherheit auch französische Neonazis beteiligt, wobei es keine Erkenntnisse über eine organisierte Zusammenarbeit gibt. Überhaupt macht die Lage des Saarlandes es leider beliebt für internationale rechtsextreme Aktivitäten. So fand etwa die „Europäische Sommerakademie“ der NPD schon öfter in Saarbrücken statt.
Welche aktuellen Trends, Strategien beobachten Sie?
Durch Peter Marx, der derzeitige Fraktionsgeschäftsführer NPD-Fraktion im Landtag Sachsen (Stand: 2007), der Saarländer ist, kommt es auch hier zu einer stärkeren Annäherung zwischen NPD und Kameradschaftsszene, besonders während des Wahlkampfes und zu einzelnen Veranstaltungen. Die NPD setzt ansonsten stark auf das bürgerliche Spektrum, veranstaltet Sommerfeste, verankert Mitglieder in lokalen Strukturen.
Die Kameradschaften setzen auf Jugendarbeit, auch im klassischen Sinne. Es gibt etwa einen Aktivisten, der sich, als es hier akzeptierende Sozialarbeit mit rechtsextremen Jugendlichen gab, schon als „Hilfssozialarbeiter“ aufgeführt hat. Der geht bis heute an die Schulen, spricht gezielt Jugendliche an, organisiert Fußballveranstaltungen und Freizeitaktivitäten. Die Schulhof-CD der NPD ist hier auch verteilt worden. In Schwalbach hatten die Kameradschaften einen Verein gegründet, „Glück auf!“, der sich offiziell um „Traditonspflege“ kümmerte, in Wirklichkeit jedoch einen rechten Jugendraum betrieben hat. Das ist aber inzwischen geschlossen. Ansonsten organisiert die Szene Konzerte, die übrigens von der Polizei geduldet werden, die diese Strategie „Kontrolliertes Gewährenlassen“ nennt.
Als wie bedrohlich schätzt Ihr Rechtsextremismus im Saarland derzeit ein und warum?
Ich finde besonders bedrohlich, wie akzeptiert die rechtsextreme Ideologie im Saarland ist. Gerade, was die Fremdenfeindlichkeit angeht, gibt es große Überschneidungen zwischen Rechtsextremen und bürgerlicher Bevölkerung. Die Akzeptanz zeigt sich auch darin, wie oft Rechtsextremismus mit dem Argument der Meinungsfreiheit verteidigt wird. Besonders in den Dörfern gehört Rechtsextremismus zum Alltag und die Neonazis sind gut integriert. Während der Fußballweltmeisterschaft etwa konnte man überall Jugendliche mit eindeutigen 88er-Trikots gemeinsam mit der Dorfbevölkerung feiern sehen.
Zugleich gibt es, gerade auf den Dörfern, wenig Gegenkultur. Wer etwas gegen Rechtsextremismus tut, wird eher kriminialisiert. Unterstützung von staatlicher Seite gibt es nur wenig, und am liebsten, wenn es sich gleichermaßen gegen Rechts- wie gegen Linksextremismus „nutzen“ lässt. So gibt es kaum langfristig arbeitende Projekte gegen Rechtsextremismus, höchstens punktuelle Aktionen.
Übergriffe erscheinen im Saarland als Einzelfälle. Während der WM gab es mehrere Übergriffe auf ein nicht-rechtes Jugendzentrum in Neunkirchen. Allerdings gibt es hier keine Anlaufstelle für Opfer rechtsextremer Gewalt. Also wissen auch wir nur von Übergriffen, die wir aus unserem Umfeld hören.
Interview: Simone Rafael
Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).