Norwegen
Am 20. Mai 2020 ging in Oslo der Prozess gegen den 22-jährigen Philip Manshaus zu Ende. In dieser Woche wird das Urteil erwartet. Am 10. August 2019 stürmet Manshaus die Al-Noor-Moschee in Baerum, einem Vorort von Oslos. Es war der Tag des muslimischen Opferfestes Eid ul-Adha, der Täter rechnete offenbar damit, mehrere Gläubige töten zu können. Mit mehreren Waffen stürmte er das Gotteshaus und fing an um sich zu schießen, traf aber keinen der drei anwesenden Männer, die dabei waren, das abendliche Fest vorzubereiten. Stattdessen konnten Muhammad Rafiq (65) und Mohammad Iqbal (76) den Angreifer überwältigen. Iqbal entwaffnete den Attentäter und brachte ihn zu Boden. Dabei wurde Iqbal leicht verletzt und muss bis heute Krücken benutzen.
Vor dem verhinderten Attentat hatte Manshaus seine Adoptivschwester Johanne Ihle-Hansen ermordet. Die 17-jährige war gebürtige Chinesin und im Alter von zwei Jahren von Manshaus Stiefmutter adoptiert worden. Im Prozess wurde klar, dass er Johanne aus Rassismus tötete.
Manshaus Vorbild war Brenton Tarrant, ein Australier, der im März 2019 51 Menschen in zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch ermordete. Auch über den Anschlag im texanischen El Paso Anfang August 2019, bei dem 23 Menschen ermordet wurden, freute den Attentäter laut seiner Aussage vor Gericht. Ermittler konnten nachweisen, dass er im Internet zum Thema Rechtsterrorismus recherchierte.
Nicht nur die Verehrung von Tarrant ist eine der Gemeinsamkeiten, die den verhinderten Terroristen mit der aktuellen Welle von internationalem Rechtsterrorismus verbindet. Auch er war auf unterschiedlichen Imageboards, darunter 4chan und 8chan unterwegs. Die Tat kündigte er auf EndChan an. Vor Gericht zeigte er wie sein Vorbild Tarrant das OK-Zeichen. Rechtsextreme haben die Geste zum White-Power-Symbol umgedeutet, als Versuch, Medien lächerlich zu machen. In der Zwischenzeit ist es zum Erkennungszeichen geworden und wird mehr oder weniger ernsthaft zum Beispiel von der „Identitären Bewegung“ genutzt. Allerdings wird es selten genutzt ohne den Zusatz, dass es sich eigentlich um einen „Witz“ handle. An einem weiteren Prozesstag zeigte der Angeklagte den Hitlergruß, wie es auch schon ein anderes seiner Vorbilder, Anders Breivik, vor Gericht getan hatte.
Nur weil Manshaus nach dem Mord an seiner Schwester sein Handy zuhause liegen gelassen hatte, streamte er seinen Angriff nicht live im Netz, wie es Tarrant vor ihm getan hatte. Ausgerüstet dafür war er eigentlich und trug eine GoPro Minikamera an seinem Helm.
Auch die Verschwörungserzählung über den angeblichen „Großen Austausch“, wie sie unter anderem von der sogenannten „neuen“ Rechten in Deutschland oder der „Identitären Bewegung“ geteilt wird, kommt bei Manshaus vor, auch hier wieder mit Verweis auf Brenton Tarrant, der sein Manifest „The Great Replacement“, also „Der große Austausch“ genannt hatte. Vor Gericht sagte Manshaus: „Ich will erklären, was ich getan habe und warum. Jeder der das verstehen will muss das Manifest von Brenton Tarrant lesen, in dem es um den Genozid am europäischen Volk geht.“
Vor Gericht wurde der Täter gefragt, ob er seine Tat wiederholen würde. Erbeantwortete die Frage mit einem klaren Ja. Nur eine Sache tue ihm leid: „Ich möchte mich bei allen, die meine Meinung teilen entschuldigen, dass ich nicht mehr Schaden angerichtet habe. Dafür schäme ich mich.“
Sein Ziel war es allerdings nicht nur, so viele Menschn wie möglich zu töten, sondern es ging Manshaus auch eine Destabilisierung der Gesellschaft. Eine Strategie, die ebenfalls viele internationale Attentäter gemeinsam haben. Sie beziehen sich dabei auf den Akzelerationismus, eine Denkrichtung, die von Terroristen so ausgelegt wird, dass mit Terroranschlägen Verunsicherung und Chaos geschaffen werden soll. Dadurch kann das verhasste System gestürzt werden und eine neue völkische, rechtsextreme Gesellschaft entstehen.
Staatsanwalt Johan Oeverberg forderte eine Gefängnisstrafe von wenigstens 14 Jahren, wenn nicht gar die Höchststrafe, die in Norwegen ausgesprochen werden kann: 21 Jahre Gefängnis. Das Urteil wird in dieser Woche erwartet.
USA
Bereits Ende Februar 2020 wurden fünf Mitglieder der Neonazi-Terrororganisation „Atomwaffen Division“ in den Bundesstaaten Virginia und Washington verhaftet. Sie sollen versucht haben, Journalist*innen einzuschüchtern und bedrohten Universitäten, Kirchen und Kirstjen Nielsen, ehemalige Ministerin für innere Sicherheit (Homeland Security).
Die „Atomwaffen Division“ gilt als kleine, dafür aber sehr gefährliche Terrorgruppe. Mehrere Mitglieder wurden unter anderem wegen Anschlagsplänen, illegalem Waffenbesitz und Vergewaltigung verurteilt. Andere stehen unter anderem wegen Mordes vor Gericht. Der Gruppe werden mindestens fünf Morde angelastet. Die Terroristen sollen gute internationale Kontakte unter anderem in die Ukraine, aber auch nach Deutschland haben. Im November 2019 wurde Kyle S. am Berliner Flughafen Tegel nach einem Tipp des FBI die Einreise verweigert. Am Flughafen soll nach Informationen von Zeit Online eine junge Frau aus Mecklenburg-Vorpommern auf den 31-jährigen gewartet haben. Laut einem Sicherheitsexperten gehöre Kyle M. „zum harten Kern der AWD“. In Deutschland ist womöglich ein Ableger der Gruppe aktiv, die „Feuerkrieg Division”. Am 5. Februar wurde in einem bayrischen Dorf ein 22-jähriger Mann verhaftet, der ein Führungskader der Gruppe sein soll. Im April wurde ein 13-Jähriger in Estland gestellt, der als “Commander” eine Führungsrolle in der Feuerkrieg Divison gespielt haben soll. Aufgrund seines Alters wird weder ANklage erhoben noch seine Identität öffentlich gemacht.
Zu den fünf Verhafteten im Februar gehörten auch mindestens zwei Führungskader der Organisation. Sie sollen Journalist*innen bedroht haben, die über die Terrorgruppe berichtet hatten, Kirchen mit hauptsächlich schwarzen Mitgliedern wurden ebenfalls bedroht. Wohnorte wurden ausgespäht und Häuser von Opfern angegriffen. Die Terroristen bezeichneten das auf deutsch als „Erste Saule“ („Erste Säule“). In mehreren Fällen kam es offenbar zu „Swatting“, per Polizeinotruf wird ein vorgebliches Verbrechen angezeigt, mit dem Ziel eines Polizeieinsatzes bei den Opfern. Laut Gerichtsunterlagen sollen damit bis zu 134 Dienststellen beschäftigt gewesen sein. Ein Opfer war war auch Kirstjen Nielsen, Ministerin für Innere Sicherheit von Dezember 2017 bis April 2019 unter Donald Trump.Besonders involviert war dabei offenbar John Cameron Denton, der zur Führungsriege der Organsiation gehören soll.
Zur Verhaftung kam es, nachdem Denton sich mit einem Undercover-Agenten des FBI traf und mit der Aktion prahlte. Cameron Brandon Shea (24), der ebenfalls verhaftet wurde, sagte Ermitler*innen, dass es darum gehe, „die Legitimität der Medien und des Staates anzugreifen, indem wir den Leuten zeigen, dass sie Namen und Adressen haben und damit hoffentlich andere inspirieren, aktiv zu werden.“ Auch hier kommt Akzelerationismus zusammen mit Botschaftstaten ins Ziel. Die Angriffe als Journalist*innen sollen als Katalysator wirken, der Sympathisanten dazu bringt, ebenfalls aktiv zu werden. Durch eine Terrorwelle soll der Staat geschwächt und schließlich zerstört werden.
Kanada
Am 24. Februar 2020 ermordete ein 17-Jähriger in Toronto die 24-jährige Ashley Arzaga, die in einem Massage-Institut arbeitete, mit einem Messer. Zuvor verletzte er einen Mann und eine Frau mit Messerstichen. Aus Jugendschutzgründen wurde der Name des Täters nicht veröffentlicht. Zunächst wurde er wegen Mordes und versuchten Mordes angeklagt. Am 19.05. verkündeten die Behörden allerdings, dass die Anklage um den Vorwurf des Terrorismus erweitert wird. Die Ermittlungen hätten „ergeben, dass dieses Verbrechen tatsächlich durch die ideologisch motivierte gewalttätig-extremistische Bewegung inspiriert wurde, die unter dem Namen Incel bekannt ist“.
Incels bezeichnen sich als „unfreiwillig zölibatär“ (involuntary celibate) und machen dafür den Feminismus und Frauen verantwortlich, die ihnen Sex vorenthalten würden. Immer wieder kommt es aus der Szene zu massiven Gewalttaten gegen Frauen. Unter anderem die Ablehnung des Feminismus teilen Incels mit Rechtsextremen. Hass auf Frauen findet sich in praktisch allen Terrormanifesten der letzten Jahre. Auch dadurch ist die Szene sehr gut anschlussfähig an andere menschenfeindliche Ideologien und hat Schnittmengen zu anderen Taten. Auch Incels kommunizieren und vernetzen sich zum Beispiel über Imageboards wie 4chan und 8chan.
Die Terrorismus-Anklage in Kanada ist dabei ein Novum, obwohl es bereits einen weiteren Terrorangriff aus der Incel-Szene in Kanada gab. Am 23. April 2018 raste der 25-jährige Alek Minassian mit einem Lieferwagen durch eine Fußgängerzone in Toronto und tötete dabei zehn Menschen und verletzte 16 weitere zum Teil schwer. Der Prozess gegen Minassian wurde wegen der Corona-Pandemie verschoben. Ohnehin wird er aller Voraussicht nach nicht wegen Terrorismus angeklagt. Weltweit ist es das erste Mal, dass sich ein ideologischer Frauenmörder unter diesem Tatbestand verantworten muss. Die kanadischen Geheimdienste stufen die militante Frauenfeindlichkeit mittlerweile als Extremismus und „ideologisch motivierten Terrorismus“ ein.
Auf das Strafmaß wird der Terrorismus-Verdacht wahrscheinlich wenig Einfluss haben, in Kanada steht auf Mord lebenslange Haft mit der Möglichkeit vorzeitiger Entlassung nach 25 Jahren.