Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Rechter Twitter-Klon Was ist eigentlich aus Gettr geworden?

Von|
Das Gettr-Logo (Quelle: Belltower News)

„Ich werde hier in 15 Minuten circa erklären und eindringlich auffordern und appellieren, dass und warum ihr euch auf Gettr begeben solltet.“ Das sagt der rechtsextreme Martin Sellner, Chef der sogenannten „Identitären Bewegung“, am 10. Juli 2022 in einem Beitrag auf Telegram. Am Ende werden es fast 40 Minuten, in denen er seine Follower*innen zu überzeugen versucht, dem Twitter-Klon beizutreten. „Ich erlebe auf Gettr die ersten zarten Anzeichen von etwas, das man als einen rechten Netzwerkeffekt bezeichnen könnte.“

Erst am 4. Juli, dem US-amerikanischen Unabhängigkeitstag, feierte Gettr seinen ersten Geburtstag. Hervorgegangen ist es aus dem Umfeld des früheren US-Präsidenten Donald Trump, nachdem diesem seine Accounts auf Twitter, Facebook und Instagram entzogen worden waren – in Reaktion auf seine Rolle beim Sturm auf das Kapitol. CEO der alternativen Plattform ist Jason Miller, ein früherer Berater Trumps. So verwundert es nicht, dass sich Gettr auf die Fahne geschrieben hat, die vermeintliche Cancel Culture zu bekämpfen. Gratuliert hat auch Boris Reitschuster, ein ehemaliger Focus-Journalist, der bekannt dafür ist, Falschinformationen über Covid-19 auf seinem Blog und über YouTube zu verbreiten. In einem kurzen Video sagt er: „Gettr hat nicht nur laufen gelernt, Gettr überfliegt bereits die anderen Netzwerke. Kein einziges war so schnell so erfolgreich.“

Dieses Statement deckt sich mit der offensiven Selbstbeschreibung des Kurznachrichtendiensts: „To date, Gettr is the fastest-growing social media platform in history with users from all around the world.“ Auch das rechtsextreme Blog PI-News greift dieses Wording auf und bewirbt die Plattform als das „am schnellsten wachsende soziale Medium aller Zeiten“.

Klingt, als wäre Gettr das nächste große Ding

Zwar wuchs die Nutzerschaft nach dem Launch zunächst tatsächlich sprunghaft an, die Aktivität auf der Plattform nahm aber schon innerhalb des ersten Monats wieder stark ab. Aktuell habe man weltweit fast sechs Millionen User*innen, sagt Gettr-Chef Miller, die Hälfte davon in den USA. Die Zahl der weltweiten Twitter-Nutzer*innen belief sich 2021 dagegen auf 362,6 Millionen. Nun nimmt eine neue Analyse vom Institute for Strategic Dialogue explizit den deutschsprachigen Raum in den Blick. Die Ergebnisse sprechen gegen die Vision einiger Rechtspopulist*innen und Rechtsextremist*innen, Gettr könne zu einer Art rechtem Twitter werden.

Einerseits scheint Gettr für kaum einen Akteur die wichtigste Kommunikationsplattform zu sein. Die Followerzahlen auf Twitter und/oder Telegram waren für alle 29 analysierten Accounts, darunter zum Beispiel die „Freien Sachsen“, „Ein Prozent“ und Compact, signifikant höher. Andererseits bleiben Gettr-Accounts von prominenten Rechtspopulist*innen inaktiv. Viele verifizierte Profile, zum Beispiel das der AfD und das von Alice Weidel, posten keinen original content, sondern importieren lediglich bereits veröffentlichte Tweets.

Auch eine nennenswerte Abwanderung zu Gettr ließ sich in der Untersuchung nicht feststellen. Zwar verlinken einige Telegram-Kanäle sehr häufig auf die Plattform, so auch Martin Sellner. Trotzdem liegt bei der Hälfte der Top-Kanäle die Followerzahl noch unter sieben Prozent der Telegram-Leserschaft. Lea Gerster, Co-Autorin der Studie, ordnet das ein: „Innerhalb der rechtsextremen und verschwörungsideologischen Szene bleibt Telegram die Plattform Nummer eins. Einschlägige Gruppen und Individuen konnten dort eine erhebliche Gefolgschaft aufbauen, die im Fall einer Abwanderung auf Gettr jedoch nicht mitkommt.“ Martin Sellner hat auf Telegram über 60 Tausend Follower*innen, auf Gettr nur etwa zehntausend. An die Reichweite seines gesperrten YouTube-Kanals mit über hunderttausend Abonnent*innen kann er mit keinem der beiden Dienste anknüpfen.

Der Mangel an organischem Engagement und Aktivität, der Gettr schon länger attestiert wird, scheint also anzuhalten. Ein relevanter “rechter Netzwerkeffekt” lässt sich auf dem Kurznachrichtendienst bisher nicht beobachten. Aktuell dient die Plattform offenbar vor allem als Back-up-Dienst. Ob daraus je mehr wird, ist fraglich.

Das liegt unter anderem – und das mag überraschen – an den verhältnismäßig strengen Regeln für die Moderation von Inhalten auf Gettr. In den Nutzungsbedingungen wird das so formuliert: „Bei Gettr gilt die Meinungsfreiheit als zentraler Wert und Gettr möchte Ihre Meinungen nicht zensieren. Dennoch dürfen Sie im Dienst kein rechtswidriges, schädliches, bedrohliches, missbräuchliches, belästigendes, verleumderisches, beleidigendes, unanständiges, vulgäres, obszönes, eindeutig sexuelles, pornografisches, blasphemisches, hasserfülltes, rassisch, ethnisch oder anderweitig anstößiges Material jeglicher Art posten.“ Auch wenn die Plattform voll solcher Inhalte ist: Die Erwartungen radikalisierter Onlinecommunitys vermag das Netzwerk mit dieser Haltung nicht vollends zu erfüllen. So wurde zum Beispiel der Account des US-amerikanischen Rechtsextremisten Nick Fuentes gelöscht, nachdem er gegen die Nutzungsbedingungen verstoßen hatte. Über Telegram erreicht er derweil noch immer fast 44 Tausend Abonnenten.  

Diese Vorbehalte bekommt auch IB-Chef Martin Sellner zu hören. Unter seiner sogenannten “Audioanalyse” auf Telegram schreibt einer seiner Abonnenten: „Niemand sollte auf Gettr. Gettr zensiert und verwendet keine eigenen Server.“ Der ältere Twitter-Klon Gab sei für die Rechtsextremist*innen die bessere Wahl.

Weiterlesen

media-gb21dc7195_1920

Soziale Medien Gettr – Die neue Rechtsaußen-Filterblase

Eine neue Social-Media-Seite ist vor allem Rechtsaußen in aller Munde: Gettr. Doch ist das neue Netzwerk mehr als eine große Filterblase für „Querdenker:innen“ und Rechtsradikale? Der Überblick.

Von|
Header-Hitler

Gab.ai Die rechte Filterblase ist jetzt ein soziales Netzwerk

Eine mäßig besuchte Privatparty. Eine Gruppe unterhält sich empört über die „Umvolkung“. Eine andere über die Homolobby, die dritte über Juden und ihre Weltverschwörung. Ab und zu prostet man sich auf Volk und Vaterland zu. Trolle unter Trollen. Klingt verheißungsvoll? Dann auf zu gab.ai.

Von|
Eine Plattform der