Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke betonte im Vorfeld der diesjährigen Betriebsratswahlen in seinem Telegramkanal deren Wichtigkeit: „Die AfD Thüringen hat schon sehr früh erkannt, daß die parlamentarische Arbeit nur ein Teilaspekt eines gesamtgesellschaftlichen Aufbruchs sein kann“, so Höcke. Dazu gehöre auch der Kampf in den Betrieben gegen „das Establishment“ der „SPD-Gewerkschaften“. Die IG Metall warnt schon lange: Das Ziel von rechtsalternativen Gruppierungen wie dem Zentrum Automobil sei es, „neben der Straße und Parlamenten die Betriebe als drittes Aktionsfeld zu installieren“.
Höckes Wahlaufruf verpufft
Doch auch die Unterstützung der Galionsfigur der parlamentarischen extremen Rechten half offensichtlich nicht viel. In der Automobilbranche sind nach jetzigem Stand weniger als 25 von mehreren zehntausend zu vergebenden Betriebsratsmandaten an Rechtsaußen-Listen gefallen. Neben „Zentrum Automobil“ sind auch in kleineren Betrieben rechte Listen angetreten, ideologisch angesiedelt im Umfeld von AfD und „Freie Sachsen“.
Die mit Abstand bekannteste Rechtsaußen-Liste ist jedoch nach wie vor die vom „Zentrum Automobil“, die auch unter dem verkürztem Namen „Zentrum“ auftritt. 2009 gründete Oliver Hilburger den eingetragenen Verein, seitdem ist er Vorsitzender. Hilburger war früher Mitglied der Rechtsrockband „Noie Werte“, vertreten auf dem Soundtrack des NSU-Bekennervideos. Hilburger ist bestens vernetzt in der „neuen“ Rechten und tritt zum Beispiel mit Jürgen Elsässer auf, Geschäftsführer des rechtsextremen Compact-Magazins, mit Pegida-Gesicht Lutz Bachmann oder mit Martin Sellner, von der rechtsextremen „Identitären Bewegung“. Im Jahr 2017 forderten Hilburger und Höcke noch gemeinsam auf der Konferenz des Compact-Magazins, die Deutungshoheit der Industriegewerkschaft Metall zu brechen. Doch der Schulterschluss zwischen „Zentrum“ und AfD ist ins Stocken geraten. Während Björn Höcke weiter dafür wirbt, schaffen parteiinterne Gegner:innen Fakten: Erst beschloss der AfD Landesverband in Baden-Württemberg, dem Stammland von „Zentrum“, eine Unvereinbarkeit mit dem rechtsalternativen Verein, dann zog im Oktober 2021 der Bundesvorstand der Partei nach. Die Parteispitze wollte einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz zuvorkommen, indem sie sich von extrem rechten Vereinigungen distanziert. Auf dem kommenden Parteitag vom 17. bis 19. Juni in Riesa gibt es gleich zwei Anträge, die diese Unvereinbarkeitsbeschlüsse kippen wollen. Ein Antrag fordert die AfD gar auf, „jede alternative Gewerkschaft, die nicht zum DGB gehört“ zu unterstützen.
In den letzten zwei Jahren fiel Hilburger weniger durch Betriebspolitik als durch seine Präsenz bei Querdenken-Veranstaltungen auf. Damit geht auch ein inhaltlicher Schwenk einher. Nun versucht „Zentrum“ über die Agitation gegen die Impflicht und andere Corona-Schutzmaßnahmen auch einen Fuß in andere Branchen, wie den Pflegebereich, zu bekommen. Bei den Betriebsratswahlen hoffte das „Zentrum“ auf Stimmen von Maßnahmengegner:innen. Auch Höcke empfahl via Telegram, trotz beschlossener Unvereinbarkeit: „Nicht nur Beschäftigte in der Automobil- und Automobilzuliefererindustrie, sondern auch Angestellte in Gesundheits- und Pflegeberufen – informieren Sie sich bei dem ‚Zentrum‘, ob es nicht auch bei Ihnen schon Interessenten gibt. Bringen Sie sich ein! Treten Sie bei Betriebsratswahlen an! Brechen Sie das Monopol der ‚roten‘ Gewerkschaften!“ Doch die Wahlkampfhilfe vom prominentesten Rechtsextremen der AfD scheint nicht aufgegangen zu sein. Lediglich in ihrem „Stammwerk“, bei Mercedes Benz in Stuttgart-Untertürkheim, wo auch Vereinsvorsitzender Hilburger zur Belegschaft zählt, konnte das „Zentrum“ leicht zulegen und schickt mit sieben Betriebsräten jetzt einen Betriebsrat mehr in den Gesamtbetriebsrat, als vor vier Jahren. An der Dominanz der IG Metall ändert sich jedoch auch in Untertürkheim nichts, sie behält mit großem Abstand die Mehrheit der Sitze. In anderen Betrieben, auch im Osten der Republik und vom Strukturwandel stark betroffenen Betrieben, verloren die rechten Listen meist an Zustimmung. Noch deutlicher zeigt sich der Misserfolg darin, dass es ihnen in sehr vielen Betrieben nicht gelang, überhaupt Listen aufzustellen. Dabei gibt es durchaus Potential.
AfD als Arbeiter:innenpartei?
Nachwahlbefragungen bei Landtagswahlen zeigen, dass die AfD überproportional bei der Arbeiter:innenschaft Erfolge verbuchen kann. Bei der Landtagswahl in NRW erreichte die AfD bei Arbeiter:innen laut Forschungsgruppen Wahlen neun Prozent, laut infratest dimap sogar 17 Prozent Zustimmung. In Thüringen wählten 39 Prozent der Arbeiter:innen die AfD. Inzwischen sind sie die größte Berufsgruppe unter den Wähler:innen der AfD, aber in der Berufsgruppe genießt immer noch die SPD die größte Zustimmung. Dennoch verwundert der große Zuspruch unter Arbeiter:innen mitunter, angesichts vieler neoliberaler und marktradikaler Positionen in der Partei, die zumindest in der AfD-Bundestagsfraktion bislang sehr dominant waren. Der Politologe Gerd Wiegel, der über vier Jahre sämtliche Bundestagsreden und –anträge der AfD-Bundestagsfraktion dokumentiert hat, kommt in Sachen Wirtschafts- und Sozialpolitik zum Ergebnis: „In all diesen Themenbereichen dominiert der marktradikale Flügel der Partei, werden die Interessen vor allem vom mittelständischen Kapital vertreten und wird das Bild einer formierten Gesellschaft vertreten“.
Das Narrativ von der „Partei der kleinen Leute“ könnte schon eher eine Erklärung für den Erfolg unter Arbeiter:innen sein. Aber ausser auf Rhetorik und wenige Anträge, scheint die AfD ihr Engagement derzeit zu beschränken. Als die Partei die „soziale Frage“ für sich entdeckte, gründeten sich interne Arbeitnehmer:innen-Interessensverbände, die die Bandbreite der wirtschaftlichen Positionen der AfD widerspiegelten. Außer verwaisten Facebook-Seiten ist davon nicht viel übrig geblieben. Auch die 1. Mai-Kundgebungen lassen Zweifel aufkommen, dass viele in der AfD die Partei als dezidierte Arbeiter:innenpartei inhaltlich aufstellen möchten.
Tiefe Verachtung für Arbeiter:innen
Dass ausgerechnet der Parteiflügel um Björn Höcke versucht, Arbeiter:innen zu umwerben, wirkt durchaus grotesk. Die Protagonist:innen rund um den ehemaligen „Flügels“ sind in der „neuen“ Rechten verwurzelt und pflegen eine sehr enge Zusammenarbeit mit dem „Institut für Staatspolitik“. Ein unumstößlicher Grundpfeiler der gemeinsam vertretenen neurechten Weltanschauung ist der Glaube an die „natürliche“ Hierarchie von Gesellschaftsschichten, Geschlechtern und „Völkern“. Diese sei, so der feste Glaube, genetisch determiniert und u.a. an die vererbte Intelligenz gekoppelt. Es verwundert nicht, dass die Akteure des IfS- und Höcke-Flügels sich als Teil dieser „natürlichen Elite“ verstehen. Untrennbar verbunden ist damit eine tiefe Verachtung für untere, in Abstufungen auch für obere Schichten des Establishments. Der mittlerweile ausgeschiedene IfS-Gründer Karlheinz Weißmann bezeichnet Ober- als auch Unterschicht als „asozial“. Sein besonderer Hass gilt „jenen Asozialen unten, die eine immer weiterwachsende parasitäre Klientel bilden, weil sie weder leistungsfähig noch leistungswillig sind“. Bei einer Tagung des IfS in Schnellroda erläuterte erst vor wenigen Wochen ein Referent, dass „Händler und Bürger“ in der sozialen Hierarchie über der Arbeiter:innenschicht stehen, habe nichts mit kapitalistischer Ausbeutung zu tun oder, dass Arbeiter:innen am Aufstieg gehindert würden. Grund sei vielmehr, dass die „Händler und Bürger“, jene also die als Arbeitgeber aufträten „im Durchschnitt intelligenter“ seien. Genetisch determiniert und damit vererbbar auf Kinder und Kindeskinder. Ein Ausweg aus der beherrschten Schicht ist demnach unmöglich, da Bildung fast keinen Einfluss auf Intelligenz habe und ohnehin nicht genetisch bestimmt sei, so dass neurechte Totschlagargument.
So offenherzig offenbart die selbsternannte Elite der „neuen“ Rechten selten ihren Hass auf Arbeiter:innen und Unterschicht. Das hat taktische Gründe, denn zumindest die Arbeiter:innen werden noch gebraucht, als Mittel für die Machterlangung gebraucht.
Ethnisierung des Sozialen
Angesichts dieser Ideologie sind die Erfolge unter Arbeiter:innen meist auch nicht auf die oft undolidarische Arbeits- und Sozialpolitik der Partei zurückzuführen, wie Befragungen nach den Wahlen zeigen. Im Umfeld der AfD vermuten viele, dass sie eher trotz dieser gewählt werde, denn die höchsten Zustimmungsraten erzielt die Partei mit Abstand für ihre rassistische Migrationspolitik und nicht für Arbeit und Soziales. Björn Höcke möchte beides verbinden: Rassistische Rhetorik und Politik weiter verschärfen und eine verstärkte Positionierung in der Sozialen Frage. Letzteres aber in alt bekannter rechtsextremer Manier, mehr Sozialstaat nur für diejenigen, die als „ethnische Deutsche“ gelten – also eine Ethnisierung des Sozialen. Von mehr Mitbestimmung ist indessen nichts zu lesen. Stattdessen soll ein konservatives Familienbild zentral im völkischen Sozialstaat werden.
Sollte Björn Höcke beim Bundesparteitag am kommenden Wochenende in Riesa seine Machtbasis innerhalb der Bundespartei ausbauen, könnte damit in naher Zukunft eine noch stärkere, zumindest rhetorische Fokussierung der AfD auf die („ethnisch-deutschen“) Arbeiter:innen einhergehen.