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Rechtsextreme Chatgruppe „Gruppe S.“ Rechtsterroristische Bestrebungen aus „Bürgerwehr“-Strukturen

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Screenshot von einem Profil eines Tatverdächtigen (Thomas N.) auf Facebook. (Quelle: Screenshot Facebook)

Am 14.02.2020 führte die Polizei Hausdurchsuchungen an 13 Orten in Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz, NRW, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt durch. Vorwurf laut Generalbundesanwalt: die Bildung und Unterstützung einer rechtsterroristischen Vereinigung.

Am 15.02.2020 wurden dann Haftbefehle gegen mutmaßlich Mitglieder und Unterstützer der laut Generalbundesanwalt rechtsterroristischen Vereinigung erlassen. Betroffen waren davon insgesamt 12 Männer zwischen 31 und 60 Jahren, die sich zusammengeschlossen hatten, um – nach Möglichkeit im großen Stil – Menschen zu ermorden.

Die Verdächtigen

Vier Männern wird dabei vorgeworfen, eine rechtsterroristische Vereinigung gegründet und sich an ihr mitgliedschaftlich beteiligt zu haben (§ 129a Abs. 1 StGB).

  • Werner S.
    • ist der mutmaßliche Kopf der Gruppe (deshalb „Gruppe S.“). Der 53-Jährige kommt aus dem Landkreis Augsburg, lebt allein und laut Nachbarn zurückgezogen, gelernter Restaurator, vor Monaten von Sicherheitsbehörden als Gefährder eingestuft, Spitzname „Teutonico“, mag laut Sozialen Netzwerken Waffen, Gewaltandrohungen („dann laufen diese Cretinos ohne Hände herum“), Kampf, nordische Mythologie und „Wodan“-Bezüge, islamfeindliche Kommentare; etliche Freunde haben Profilbilder in Reichsflaggen-Farben (schwarz-weiß-rot).
  • Michael B.
    • Über ihn ist bisher nichts bekannt.
  • Thomas N.
    • Handwerker aus Minden (Westfalen), Reichsbürger, der die BRD für „illegal“ hält, mag Germanentum („werden uns in Walhall treffen“), online teilt er Verschwörungsideologien von Chemtrails zur Bevölkerungsmanipulation, wettert gegen den „Schuldkult der Deutschen“, möchte „die Antifa“ beseitigen; wähnt er sich im Widerstand, hasst die „verbrecherische Kreatur“ Angela Merkel, Firmenwagen mit schwarz-weiß-roter Reichsfahne beklebt; mag u.a. „Viking Security Germania“ und „alte“ flüchtlingsfeindliche Seiten wie „Keine weiteren Asylantenheime in Deutschland“ (NPD-nah).
  • Tony E.
    • Verheiratet, aus Niedersachsen, arbeitet im Pflegebereich; nach der Verhaftung „bewachen“ Neonazis aus Hamburg, Harburg und Lüneburg sein Haus vor Journalist*innen; in Sozialen Netzwerken nennt er sich „unbeugsam“ mit Che-Guevara-Bezug, liked rechtsextreme Seiten, wie „Brigade 8“, „German Defence League“; den Verein „Uniter“; aber auch den rechtspopulismusfreundlichen Ex-Verfassungsschützer Hans-Georg Maaßen; sorgt sich um die Verteidigung Deutschlands, träumt von Angriffen auf Moscheen; gehört zum „Freikorps Heimatschutz“, der mit anderen Freikorpsgruppen in Deutschland in Verbindung steht und sich auf einen Krieg vorbereiten, um „Familien“ und „Vaterland“ zu verteidigen. „Die BRD Verwaltung sieht sich dafür ja nicht mehr zuständig.“; mag „Wodans Erben Germanien“, „Patrioten gegen die NWO“.

Weitere acht Männer werden verdächtigt, diese terroristische Vereinigung zu unterstützen (§ 129a Abs. 5 Satz 1 StGB)

  • Thorsten W.
  • ist Polizei-Verwaltungsmitarbeiter aus Hamm; verkleidet sich in seiner Freizeit gern als „germanischer“ Krieger mit Schild und Schwert (und postet das gern bei Facebook); beklagt im Internet, dass Deutschland unterdrückt und „ausgebeutet“ werde.
  • Ulf R. (bisher nichts bekannt)
  • Wolfgang W. (bisher nichts bekannt)
  • Markus K.
    • lief 2009 bei einem Neonaziaufmarsch in Dortmund mit, wie der Spiegel berichtet; aus dem Aufmarsch griffen mehrere Hundert Rechtsextreme eine Gewerkschaftsdemo an.
  • Frank H.
    • Mag auf Facebook „Wodans Erben“, hetzt gegen den „Linksstaat“, die Grünen und gegen Muslime
  • Marcel W. (bisher nichts bekannt)
  • Steffen B.
    • aus Sachsen-Anhalt; gehört mit Stefan K. zu den regionalen Anführern einer rechtsextremen Bürgerwehr, „Vikings Security Germania“ (Abspaltung der „Soldiers of Odin“, Bayern) (vgl. lsa-rechtsaußen); teilt online Artikel wie „Neonazis rüsten sich mit Kampfsport für den Tag X“, postet Fotos von sich beim Krafttraining; mag nordische Mythologie, Gruppen wie „Nordic Brotherhood“, „Bund der Ahnen“ – ansonsten Sex-Seiten.
  • Stefan K.
    • aus Sachsen-Anhalt, gehört mit Steffen B. zu den regionalen Anführern einer rechtsextremen Bürgerwehr, „Vikings Security Germania“ (s.o.); hat mit Steffen B. bei einem neonazistischen Fackelmarsch der sog. „Bürgerinitiative Magdeburg“ teilgenommen im November 2018.

Die Welt der „Gruppe S.“: Screenshots aus Facebook-Profilen von Mitgliedern der rechtsterroristischen „Gruppe S.“ (expliziter Content).

 

Was über die Gruppe und ihre Pläne bisher bekannt ist:

Laut Bundesanwaltschaft plante eine Gruppe von fünf Männern, Werner S., Michael B., Thomas N., Tony E. und „ein weiterer Beschuldigter“ (nicht verhaftet), „die Staats- und Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland zu erschüttern und letztlich zu überwinden.“

Um die Demokratie in Deutschland zum Kollaps zu bringen, wollte die Gruppe Anschläge planen und durchführen. Dies diskutierten sie online in Chatgruppen verschiedener Messengerdienste und Sozialer Netzwerke (v.a. Facebook, VK), telefonisch und auch auf persönlichen Treffen, die in unterschiedlicher personeller Besetzung von Werner S., teilweise mit Unterstützung von Tony E., organisiert wurden. In den Chatgruppen wurden auch Fotos von selbstgebauten Waffen ausgetauscht und entsprechende Baupläne diskutiert.

Außerdem versuchte der mutmaßliche Anführer Werner S., online Männer zu rekrutieren, die „intelligent, hart, brutal, schnell“ seien. Laut Spiegel plante er offenbar anfangs, eine Art Untergrundarmee aufzubauen, nach dem Vorbild der rechtsradikalen Freikorps in der Weimarer Republik. Später war von einem „Freiwilligenverband zur Kräftemobilisierung“, die Rede. Es solle auch eine „Ausbildung im militärischen Sinne“ geben.

Die acht mutmaßlichen Unterstützer sollen zugesagt haben, die Gruppe finanziell zu unterstützen, Waffen zu beschaffen oder an zukünftigen Anschlägen mitzuwirken.

Ein frühes Treffen der Gruppe fand laut taz im Herbst 2019 an einer alten Mühle im Rems-Murr-Kreis in Alfdorf in der Nähe von Stuttgart statt; man plant den „Umsturz“, verständigt sich über Geld – bis zu 5.000 Euro wollen die Männer investieren. Ein Mann behauptet, er könne 2.000 weitere Menschen rekrutieren, teilweise bewaffnet. Der mutmaßliche Anführer soll eine scharfe Waffe dabei gehabt haben.

Bereits im Oktober 2019 informiert ein Mitglied die Polizei über die Aktivitäten der Gruppe.

Das letzte Treffen war am Wochenende des 08./09.02.2020 in Minden. Wieder ging es um Waffenbeschaffung. Nach SPIEGEL-Informationen waren die Pläne des mutmaßlichen Anführers Werner S. schon sehr konkret: Man solle in kleineren Gemeinden Muslime und Musliminnen angreifen, beim Beten in Moscheen. Dafür sollten zwei der Männer Waffen besorgen, die anderen 50.000 Euro zur Finanzierung. Dann sollten „Kommandos“ von „zehn Männern“ in „zehn Bundesländern“ zuschlagen. Weitere Ziele sollten folgen – bis der Bürgerkrieg da sei.

Waffen und Waffenfunde bei den Hausdurchsuchungen (soweit bisher bekannt):

  • Handgranaten
  • Messer
  • Dolche
  • eine Armbrust
  • eine scharfe 9-Millimeter-Pistole inklusive Munition
  • eine selbst gebastelte Schrotflinte (Slam-Gun) und 100 Schuss Munition
  • Äxte
  • Morgensterne

Accelerationism / Akzelerationismus

Als Ziele diskutierten die Mitglieder der rechtsterroristischen Gruppe Politiker*innen, Geflüchtete und Muslim*innen – Rassismus, Islamfeindlichkeit und Demokratiefeindlichkeit stellen also offenbar eine Kernmotivation der Gruppe dar.

Allerdings ging es nicht „nur“ um die konkrete Ermordung von Menschen, sondern darum, mit den Taten „bürgerkriegsartige Zustände“ herbeiführen zu wollen. Dieses Konzept nennt sich „Akzelerationismus“ und ist derzeit in der international vernetzten Szene, die sich für rechtsterroristische Gewalt interessiert oder sie letztendlich auch ausführt, ausgesprochen beliebt. Die einzelnen Taten werden dabei als Bausteine eines Plans zum Erreichen eines größeren Ziels verstanden.

 

Der Attentäter von Christchurch (März 2019) verfolgte diesen Ansatz, auch der Attentäter von Halle (Oktober 2019) sah sich als Teil des großen Plans im Kampf um die „White Supremacy“ (Vorherrschaft der „weißen Rasse“), durch rechtsextrem motivierte Gewalttaten nach Möglichkeit Gegengewalt zu erzeugen und damit zum Zusammenbruch des Systems (gemeint ist die demokratische Parteiendemokratie) beizutragen. Danach soll es – in der Fantasie der Rechtsterroristen – möglich sein, einen homogener, autoritär geführten Ethnostaat zu errichtet.

Die Ideologie der „Gruppe S.“:

Bisher wird Akzelerationismus vor allem in Zusammenhang gebracht mit einem modern wirkendem, Meme- und Cyberkultur nutzenden Rechtsterrorismus, der vor allem bei jungen Männern Anklang findet, die sich online in die Ideologie einfinden, sich hier radikalisieren und hier auch den Widerhall ihrer Aktionen suchen..

Davon scheint die „Gruppe S.“ meilenweit entfernt. Ihre Mitglieder und Unterstützer sind nicht jung (der jüngste Verdächtige ist 31, der älteste 60). Sie pflegen offenbar auch keinen „modernen“ Rechtsextremismus. Die bisher mit der Gruppe in Verbindung gebrachten Mitglieder und Unterstützer stehen – zumindest laut ihren Social Media-Profilen – eher für altbackene, geradezu „klassische“ Formen des Rechtsextremismus: Germanen- und Wikingerkult, Reichsbürger-Ideologie, Geschichtsrevisionismus, Holocaustleugnung und Schuldumkehr, Interesse für Waffen und Kampfsport, Nationalismus. Aber auch das Motive der „Angst“ und „Sorge“ – um Deutschland, die Familie, „die Kultur“ und ähnliches – ist seit „Pegida“ und den Angriffen auf Geflüchtete in Deutschland ab 2015 ein fester Topos der rechtsextremen Szene und erschloss, ebenfalls schon ab 2015, neue Täter für Gewalttaten: etwa durch rechts-alternative Propaganda aufgehetzte Familienväter, die den Handlungszwang verspürten, mit dem Kanister Benzin aus dem eigenen Auto die Geflüchteten-Unterkunft im Ort anzuzünden.

Diejenigen, die vielleicht nicht zum Benzinkanister griffen, aber trotzdem durch Körperlichkeit Präsenz gegen Geflüchtete und Muslim*innen zeigen wollten, organisierten sich ab 2015 in sogenannten „Bürgerwehren“ (vgl. BTN). Viele dieser Gruppen, die im lokalen Raum „Streifen“ organisierten und organisieren, bestanden und bestehen zumindest teilweise aus organisierten Rechtsextremen und Neonazis, haben auch Bezüge zum rechten Rocker-Milieu. Auch viele der Verdächtigen rund um die „Gruppe S.“ haben nach aktuellen Kenntnisstand Bezüge zu diesen „Bürgerwehr“-Strukturen, allen voran die „Gruppe S“-Unterstützer Steffen B. und Stefan K., die als „regionale Anführer“ einer rechtsextremen Bürgerwehr namens „Vikings Security Germania“ gelten (andernorts: „Sons of Odin“), und Thomas N. und Frank H., die offenkundig beide Bezüge zu „Wodans Erben Germanien“ haben – eine Bürgerwehr-Struktur in Bayern.

Andere Verdächtige gehören augenscheinlich zur Reichsbürger-Szene, die nicht an die rechtmäßige Existenz der Bundesrepublik Deutschland glaubt und fließende Übergänge in die „Prepper“-Szene besitzt, in der sich Menschen auf den Untergang an Tag X vorbereiten – sie legen Nahrungsmittelvorräte, aber auch Waffenvorräte an.

Rechtsextreme, die nicht mehr an eine politische Lösung glauben, erwarten den Untergang des demokratischen politischen Systems in Deutschland nicht nur, sie wollen ihn auch selbst herbeiführen. Wie die „Gruppe S.“ zeigt, verstehen rechtsextreme Gruppen diese Idee ausgesprochen praktisch, mit konkreten Planungen und Vorbereitungen zu Taten. Das mutmaßliche „Gruppe S.“-Mitglied Tony E. hatte Verbindungen zum „Freikorps Heimatschutz“, einer Gruppierung, die mit anderen Freikorps-Gruppen in Deutschland in Verbindung steht. In einer Selbstbeschreibung heißt es: „Die Mitglieder dieser Gruppe bereiten sich auf den Tag vor, an dem es zu einem Krieg kommt und es um die Verteidigung unserer Familien und dem Vaterland geht. Die BRD Verwaltung sieht sich dafür ja nicht mehr zuständig.“

Das Auffliegen ähnlich denkender Gruppierungen häuft sich in den letzten Jahren: Ähnliche kommunikative Strukturen, Organisation und Motivation gab es auch bei “Revolution Chemnitz” (vgl. BTN),  Franco A. und der Chatgruppe „Nordkreuz“ (vgl. BTN). Auch in diesen Fällen dachten die Protagonisten nicht nur über konkrete Gewalttaten nach, sondern auch über die Botschaftswirkung der Taten in die Gesellschaft mit dem Ziel maximaler Eskalation bis zum “Bürgerkrieg” oder zumindest Einschüchterung potenzieller Opfergruppen.

Wieder einmal zeigt sich mit der „Gruppe S.“: Es gibt inzwischen eine ausdifferenzierte Welt von Spielarten des Rechtsextremismus, doch alle basieren auf den gleichen Vernichtungsfantasien, Gruppen-Abwertungen, Verschwörungsideologien, Machtergreifungswünschen – und online sind die verschiedenen Szenen längst alle vernetzt und im hasserfüllten, menschenverachtenden Kern vereint. Gemeinsam wird eine „alternative“, also mit der Realität kaum in Berührung stehende Weltsicht durch eine rechts-alternative Brille geschaffen, die die Konsumierenden an einen Zustand der permanenten Bedrohung des „Eigenen“ glauben lässt, bis ein Handlungszwang entsteht, der sich schlimmstenfalls in Gewalt entlädt (vgl. Monitoringbericht 2020) – wenn er nicht im Planungsstadium gestoppt wird

In diesem Fall scheint es gelungen zu sein.

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