Im einschlägigen Internet-Versandhandel lässt sich betrachten, womit Kinder von Neonazis spielen sollen: Germanen- und Wikingerhelme nebst Holzschwertern und Plastikmorgensternen, Kinderbücher und Hausmärchen-Ausgaben aus den dreißiger Jahren, Memories, mit denen man spielend nordische Götter, Runen und Jahreskreisfeste kennenlernt. Allerdings geht es von Anfang an nicht nur um eine neuheidnisch-nordische Prägung. Es gibt auch das Puzzle von Deutschland in den Grenzen von 1937 oder die ?Schlesische Heimatfibel. Lachen und Lernen. Des Kindes erstes Lesebuch?, das der anbietende rechtsextreme Versand mit den Worten bewirbt: ?Ein Buch, das kein schlesisches Herz ungerührt läßt.?
Die Folklore ist nur Schmuck für echte Hetze
Auf den ersten Blick erscheint das folkloristisch-verschroben ? ebenso wie die Zeltlager und Volkstanzgruppen, in die rechtsextreme Eltern ihre älteren Jugendlichen schicken. So harmlos ist es aber nicht: Die Kinder sind so von Anfang an in eine geschlossene Gemeinschaft eingebunden. Die vermittelt ihnen nicht nur, dass der demokratische Rest der Welt der ihr Feind ist, sondern auch alle Ideologiefragmente von völkischem Denken, Rassismus, Militanz und NS-Verherrlichung ? und das als Normalität.
Früher hieß es, Rechtsextreme stiegen oft aus der Szene aus, wenn sie eine Familie gründeten. Heute gibt es zunehmend Paare, bei denen beide Partner in der rechtsextremen Szene aktiv sind und die ihre Kinder entsprechend ideologisch erziehen. Passend zu biologischen Rassismus der rechtsextremen Ideologie, das eigene Volk erhalten zu wollen, beginnen viele überzeugte Nazis früh mit dem Kinderkriegen und haben entsprechend große Familien mit weit mehr als den 1,8 Durchschnittskindern. Und die können sie nicht nur von der Wiege an mit ihrer Ideologie bespielen ? sie dienen auch hervorragend zum unauffälligen Agitieren im Umfeld.
Wie deutsch ist Peter?
Die Vereinnahmung der Kinder beginnt schon vor der Geburt. In rechtsextremen Internetforen diskutieren Mütter mit Nicknames wie ?NoRemorse?, ?Raginhild? und ?Pride Mother?, ob ?Aryan Hope? ein guter Name wäre ? was allerdings die meisten ablehnen, wenn auch mehr wegen der englischen Herkunft als aufgrund der großen Eindeutigkeit. Beliebter sind germanische und nordische Namen wie Svea, Sigrun, Mechthild oder Ragnar und Bernward. Puristen bestehen darauf, dass schon Namen wie Anna, Josef oder Hans aufgrund hebräischer Wurzeln völlig unbrauchbar seien. Auch „Klaus“ habe unschönerweise griechische, „Peter“ lateinische Wurzeln, und so für Germanen untragbar. Allerdings, so merkt ein Diskutant an, sei Joseph Goebbels ja auch kein Jude gewesen und als Namensvorbild doch durchaus geeignet.
Runenplätzchen, Rassismus und Konsumkritik
Wie stark die Vereinnahmung der Kinder geht, ob sie mit Hakenkreuzflaggen spielen oder Runen-Kekse backen, mit auf Nazidemonstrationen genommen werden oder in der rechtsextremen Vereinigung ?Heimattreue Deutsche Jugend? (HDJ) gedrillt werden, variiert mit der Einstellung der Eltern. Grundkonsens in der nazistischen Kindererziehung ist eine Mischung aus völkischem Denken, Nationalismus, Rassismus, Antiamerikanismus und Antisemitismus, Führerprinzip, soldatischen Idealen und Antikapitalismus. Ein User mit den Nick ?Reichsbademeister? fasst es in einer Diskussion um ?nationale Erziehung? in Thiazi-Forum so zusammen: ?Wir treffen uns öfters mit anderen [nazistischen] Eltern um etwas mit unseren Kindern zu unternehmen. Wir feiern gerne im Kreis der Familie. Wir meiden Fast-Food-Ketten-Besatzerfraß. Wir spielen Abends lieber als das wir Fernsehen schauen. Wir machen unsere Geschenke teilweise lieber selbst, als etwas zu kaufen. Wir sind oft in der Heimat unterwegs, Spazieren, Wandern, Zoobesuche, Spielplatz. Wir legen Wert auf Ordnung und Anstand. Wir überwachen was unser Kind sieht oder welche Musik sie hört. …und dann kommen noch andere Kleinigkeiten dazu.? (Fehler im Original)
NS- und Gewalt-Verherrlichung von der Wiege an
Kleinere Kinder werden in der Regel schon aus Sicherheitsgründen eher nicht mit strafbaren Inhalten konfrontiert. Allerdings finden sich ? augenzwinkernd erzählte ? Schilderungen von spontanen Hakenkreuz-Basteleien oder des grundsätzlichen Schreibens des Buchstaben ?S? in Runenform (?Nur weil Mutter und Vater überm Bett eine SS-Fahne hängen haben!?) in einschlägigen Foren. In Mecklenburg-Vorpommern beobachtete ein Nachbar, wie Nazi-Eltern ihrem Sohn zum dritten Geburtstag einen Mini-Baseballschläger schenkten ? und eine schwarze Puppe ?zum Üben?.
Zum Außenseiterdasein erzogen
Die Beeinflussung beginnt am Anfang allerdings oft subtiler. Kinder lernen germanische Monatsnamen und Feste, sollen keine Jeans oder als Mädchen nur lange Röcke tragen, sagen ?Gemüsekuchen? zur Pizza, um die deutsche Sprache ?rein? zu halten und dürfen natürlich keine Cola aus den bösen USA trinken. Durch die autoritäre Erziehung und den ständigen Konfrontationsdruck sind die Kinder in der Schule sehr angepasst, zuvorkommend, ruhig und diszipliniert, berichtet ein Berater des Regionalzentrums für demokratische Kultur Südvorpommern in Anklam. ?Die Kinder sind schnell als anders erkennbar?, sagt auch Reinhard Koch von der Arbeitsstelle Rechtsextremismus und Gewalt (ARUG) in Niedersachsen, ?sie haben kaum Ahnung von aktueller Mode und Musik, werden in Sachen Mediengewohnheiten kaum als kompetente Partner wahrgenommen.? Denn auch auf Spielkonsolen, MP3-Player und Fernsehen müssen die Kinder verzichten ? zu viel Ablenkung und zu viele internationale oder gar demokratische Einflüsse drohen. Dieses andere Aufwachsen führt zu Isolation, sagt Koch: ?Sie haben meist außerhalb der rechtsextremen Szene nur einen sehr eingeschränkten Freundeskreis.?
Mit sieben Jahren beginnt der Drill zur Gruppen-Existenz und zum Hass
Wenn es schon soweit ist, handelt es sich meist um die Kinder führender Nazi-Familien ? und die werden in rechtsextremen Erziehungseinrichtung geschult, von denen die ?Heimattreue Deutschen Jugend? die bekannteste ist. Orientiert an der Hitlerjugend werden Kinder, offiziell ab sieben Jahren, bei den Zeltlagern der HDJ nicht nur mit militärischen Methoden ?abgehärtet? und mit heidnischer Brauchtumspflege bespaßt, sondern auch gezielt an NS-Verherrlichung, völkischen Rassismus, Straßenkampf oder den Umgang mit ?feindlichen Systemvertreten? wie Medien oder Lehrern herangeführt. Sie lernen, dass Individualität ihnen nicht zusteht und die Gemeinschaft alles ist ? und dass sie die kommende geistige Elite des Rechtsextremismus sein sollen.
Einmischen, taktieren, verunsichern
Und an diese Elite werden auch klare Anforderungen gestellt. Bis etwa 10 Jahre sollen sie sich in der Schule ruhig verhalten, ab dem Alter von 11, 12 Jahren erhalten sie Funktionen in der Szene und werden in der Weitergabe der Ideologie geschult und ab 16, 17 Jahren werden sie in der HDJ in Führungspositionen befördert und sollen dann auch ihr Umfeld in die Szene holen, etwa Jugendcliquen, die ihnen passend scheinen, berichtet das Regionalzentrum für demokratische Kultur Südvorpommern. Dabei sind die Ansprüche an die Kinder hoch. ?Sie sollen versuchen, Aufmerksamkeit hinzubekommen ? aber nicht mit politischen Statements. Sie sollen sich einmischen, aktiv und rhetorisch geschickt sein?, sagt Reinhard Koch und berichtet von Schulungen in der HDJ zum Umgang mit Lehrern und Mitschülern: So sollen die Jugendlichen etwa nicht als rechts, aber immer gegen links auftreten, gegen Internationalismus argumentieren (?Was hat Deutschland mit dem Problemen der restlichen Welt zu tun??) und vor allem Win-Situationen schaffen. ?Wenn ein Lehrer oder eine andere eigentliche Respektsperson hilflos wirkt, in der Wahrnehmung der Mitschüler einen Eiertanz aufführt, dann haben die rechtsextremen Jugendlichen schon eine Akzeptanz geschafft. Die anderen Schüler sehen dann: Der traut sich was. Schon ist vorpolitische Aufmerksamkeit da?, sagt Reinhard Koch.
Ziel: Die Führer von morgen
Bisher gibt es keine gesicherten Erkenntnisse, wie es den Kindern damit geht, in einer solchen Szene aufzuwachsen, in ständiger Angst vor Repressionen und abgeschottet von ihren Altersgenossen. Praktiker sehen die Probleme, die Kinder mit ihrem Doppelleben, den strengen Regeln und den vielen Konfrontationen haben ? und mit der Tatsache, dass sie vieles hassen müssen, was alle anderen mögen.
Trotzdem bleiben viele, die in der rechtsextremen Szene aufgewachsen sind, lebenslang nazistischen Idealen treu. Das ist besonders gefährlich, weil diese Kinder von Anfang an zu aggressiven Kämpfern erzogen wurden und darin geschult sind, andere zu indoktrinieren und zu beeinflussen. Bis zum Verbot 1994 war die Wiking-Jugend die Erziehungsschmiede der Neonaziszene in Hitlerjugend-Nachfolge. Sie war erfolgreich: Viele Neonazis, die heute führende Köpfe der Szene sind, wurden einst in Lagern der Wiking-Jugend geschult, etwa NPD-Liedermacher Frank Rennicke, Thomas Sattelberg von der verbotenen Organisation ?Skinheads Sächsische Schweiz?, Udo Pastörs, Fraktionsführer der NPD im Schweriner Landtag, Stefan Köster (NPD MV), und NPD-Bundesvorstandsmitglieder Thorsten Heise und Thomas Wulff. Schon deshalb darf die Demokratie rechtsextreme Kindererziehung nicht unbeachtet lassen. Bisher allerdings gibt es noch kaum Grundlagen, die etwa definieren, wann der Rechtsextremismus der Eltern das Kindeswohl so sehr gefährdet, dass etwa das Jugendamt einschreiten könnte.
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Andrea Röpke: Ferien im Führerbunker. Die neonazistische Kindererziehung der ?Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ)?. Mit einem Vorwort von Gideon Botsch, 2. erweiterte u. überarbeitete Auflage, Taschenbuch 168 Seiten inklusive Filmdokumentation zur HDJ (DVD-Video, Spielzeit 13 min.) Braunschweig 2008. Beziehbar über
| www.arug.de
Aktuell arbeitet die ARUG ? Arbeitsstelle gegen Rechtsextremismus und Gewalt an einer Publikation zum Thema ?Erziehung von rechts?, die im Sommer erscheinen soll.
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