„Mein 18-jähriger Neffe wurde Samstag vor einer Woche fast zu Tode geprügelt. Seine „Rettung“ war ein Auto, das zufällig dort vorbei fuhr, aufmerksam wurde und dann anhielt. Er war wohl eher ein „zufälliges“ Opfer, sieht weder ausländisch aus noch hat er die Typen irgendwie dumm angemacht! Psychologische Hilfe wird ihm nach seiner körperlichen Genesung (er musste am Kopf operiert werden) zu Teil.“ Diese Mail erreichte die MUT-Redaktion am 1. September 2008 aus dem nordrheinwestfälischen Ort Mettmann.
Die zuständige Eitorfer Polizei machte die Schläger noch in der Nacht des 17.8. ausfindig. Sie seien keine Unbekannten: „Es sind bekannte Schläger und Radaubrüder mit rechtem Auftreten“, teilte der Leiter der Eitorfer Polizeiwache der Presse mit. Sie träten mit Glatze, Bomberjacken und schweren Springerstiefeln auf und sängen Lieder mit eindeutigem Inhalt.
Ihr Opfer in Altwindeck hatte Glück: Ihm halfen Passanten und anschließend ordneten Polizei und lokale Presse den Fall gleich richtig ein und auch der Bürgermeister reagierte: Da kämen „ein paar Dumpfbacken und machen den positiven Namen Windecks kaputt, den wir hier aufgebaut haben“, erklärte er gegenüber Journalisten und kündigte baldmöglichst eine Veranstaltung gegen Rechtsextremismus an.
Sachsen-Anhalt: Zwei Morde binnen weniger Tage
Einen solchen, relativ offenen Umgang mit rechtsextrem motivierter Gewalt gab es zum gleichen Zeitpunkt im sachsen-anhaltinischen Bernburg und Magdeburg nicht. In Magdeburg wurde am 17. August der 20-jährige Kunststudent Rick L. getötet, nach Stand der Ermittlungen von einem 20-jährigen Neonazi namens Bastian O.. Er gilt laut SPIEGEL als „Größe in der Neonaziszene“ und auf seinem Oberschenkel prange laut Staatsanwaltschaft ein Hakenkreuz. Seine Einraumwohnung im Magdeburger Statdteil Leipziger Straße sei regelmäßiger Treffpunkt randalierender Neonazis gewesen und Bastian O. einschlägig vorbestraft. Im Februar 2006 habe er bereits einen Studenten aus Togo brutal zusammengeschlagen und schließlich einen Hund auf ihn gehetzt. Mit dem liberal eingestellten Studenten sei er zuvor in einer Großraum-Diskothek, dem „Funpark“ aneinander geraten, der Student habe ihn dort als Nazi beschimpft. Für Rick L. war dies offenbar sein Todesurteil, er wurde auf dem Nachhauseweg vor einem Gebüsch umgebracht. In der Wohnung des Tatverdächtigen Bastian O. seien anschließend Gegenstände des Ermordeten gefunden worden, ebenso fanden sich DNA-Spuren des Getöteten an der Kleidung des Verhafteten. Doch für die Lokalpresse, so berichtet der SPIEGEL, sei der Fall kaum der Rede wert gewesen – nur ein „Disco-Mord“, mehr nicht. Auch die zuständigen Behörden schwiegen sich aus.
Magdeburgs Bündnis gegen Rechts fordert Aufklärung
Deshalb hat Thomas Weber vom ‚Bündnis gegen Rechts Magdeburg‘ jetzt die Staatsanwaltschaft und Polizei aufgefordert, im Fall des Rick L. endlich Stellung zu beziehen: „Die Öffentlichkeit hat ein Recht über die Hintergründe dieser menschenverachtenden Tat informiert zu werden. Sollten die Ermittlungsbehörden wider besseren Wissens die rechtsextreme Tatmotivation verschwiegen haben, ist dies gerade in Sachsen-Anhalt ein politischer Skandal. Die Verschleierung des politischen Hintergrundes der Tat durch die Behörden ist ein Schlag ins Gesicht vieler Menschen, die sich in Sachsen-Anhalt gegen Rechtsextremismus engagieren.“
Kundgebung in Magdeburg am 6. September
Das Bündnis gegen Rechts ruft die Bürger*innen der Stadt auf, sich am Samstag, den 6. September 2008 an der Kundgebung „Augen auf gegen rechte Gewalt“ in der Magdeburger Innenstadt zu beteiligen. Die Veranstaltung beginnt um 11.00 Uhr an der Kreuzung Breiter Weg / Ernst-Reuter-Allee. „Wir wollen des getöteten Rick L. gedenken sowie ein friedliches und entschlossenes Zeichen gegen Rechtsextremismus und Gewalt setzen“, so Thomas Weber.
Mord an jungem Zeugen in Bernburg
Ähnlich beiläufig behandelt wurde eine Woche später Mordfall Nummer zwei: Keine 50 Kilometer entfernt, in Bernburg (auch Sachsen-Anhalt) wurde am 24. August der 18jährige Marcel W. ermordet aufgefunden. Unter erheblichem Tatverdacht steht der 19jährige Neonazi David B., gegen den W. am Dienstag letzter Woche vor Gericht aussagen sollte. Doch da war er bereits tot – getötet durch zahlreiche Messerstiche, die dem Opfer zugefügt wurden – aus ungeklärten Umständen in der Wohnung des Täters.
Opfer und vermeintlicher Täter seien zuvor in einer Discothek, dem „Bernabeum“ gesichtet worden, Freunde vermuten, Marcel W. habe sich vom Täter bequatschen lassen, ihm nach Hause zu folgen, „zum Saufen oder so“. Der Tatverdächtige tischt natürlich eine andere Geschichte auf, Marcel W. sei bei ihm eingebrochen und er habe in Notwehr zugestochen. Doch diese Schilderung scheint den Ermittlern relativ unwahrscheinlich zu sein und gilt als Schutzbehauptung des zur Tatzeit angetrunkenen Hauptverdächtigen. Er, David B., habe sein Opfer schon häufiger attackiert, zuletzt massiv am 20. November 2007. Marcel habe seitdem „panische Angst“ vor dem Neonazi gehabt, berichtete eine Freundin dem SPIEGEL-Reporter Sven Röbel.
Dennoch sei wahrscheinlich, dass dieser Fall eher als Gewaltdelikt zwischen alkoholisierten Jugendlichen in die Polizeistatistik eingehe, obwohl David B. bereits als rechtsextremer Gewalttäter polizeilich erfasst sei. Auch trage er mehrere rechtsradikale Tätowierungen und sei als Mitdemonstrant des rechtsextremen „nationalen Widerstands“ aufgefallen. Aber sogar Sachsen-Anhalts Innenministerium habe zunächst keine Ahnung von dem Fall gehabt, was der SPIEGEL wie folgt als unfassbar kommentiert:
„Dabei ist die kriminalstatistische Frage, ob die Tötungen von Bernburg und Magdeburg unmittelbar politisch motiviert waren, unerheblich. Fakt ist, dass sich die beiden Tatverdächtigen in einem rechtsradikalen Milieu bewegten, in dem Menschenleben, vorzugsweise die von ‚Schwächreren‘, nicht viel zählen und in dem eine unfassbare Verrohung jeden Tag Opfer fordern kann. Sowohl Bastian O. als auch David B. werden von bekannten als ‚tickende Zeitbomben‘ beschrieben, bei denen es ’nur eine Frage der Zeit‘ gewesen sei, ‚bis mal was passiert‘. Entschärft hat sie keiner.“
Jetzt bereits 141 Todesopfer rechter Gewalt. Weiterer Mordfall in Berlin
Die beiden Taten gehen nach Stand der Dinge als rechtsextrem motivierte Morde Nummer 140 und 141 in die Gewaltchronik von Todesfällen seit der deutschen Wiedervereinigung ein. Nur kurze Zeit zuvor ereignete sich Mordfall Nummer 139. Das Opfer: Der 20-jährige Cha Dong N. in Berlin.
Wie der Informationsdienst für Migranten und Flüchtlinge karawane.org zusammenfasst, tötete am 6.8. ein 35-jähriger Deutscher namens Tino W. in der Marchwitza Straße in Berlin-Marzahn den Vietnamesen „Cha Dong N.“, der sich illegal in Deutschland aufgehalten habe:
„Gegen 10.15 Uhr griff der Mörder den Zigarettenhändler vor einem Supermarkt an, informierte die Polizei, dass er einen „vietnamesischen Zigarettenhändler“ festhalte und fragte laut Berliner Morgenpost: „Regelt ihr das oder muss ich das selbst erledigen?“. Nach Zeugenaussagen hatte er den Händler zuvor beraubt, woraufhin sich dieser zur Wehr setzte. Noch bevor der gerufene Streifenwagen eintraf, stach W. mit einem Messer auf den zwanzigjährigen „Cha Dong N.“ ein, welcher wenige Stunden später seinen Verletzungen während der Notoperation in einer Berliner Klinik erlag. In den vergangenen Monaten lebte Cha zusammen mit einer schwangeren, jungen Frau in einem Treptower Wohnheim. In der Vergangenheit äußerte der Täter regelmäßig gegenüber Bekannten, dass „diese Fidschis“ endlich verschwinden sollen und kündigte mehrfach an, „selbst etwas dagegen zu unternehmen, wenn die Behörden schon nichts tun würden“.
Eine zweifelsohne rassistisch motivierte Tat, die aber kaum für Schlagzeilen sorgte. Und es ist Glücksumständen zu verdanken, dass es im August nicht noch weitere Todesopfer gab. So meldet die Stendaler Polizei aus der Nacht vom 31.8. einen Vorfall, bei dem ein 30-Jähriger aus Saudi-Arabien gegen 1.17 Uhr mit einem 17-Jährigen und dessen 17-jähriger Freundin aneinander geriet. Beide waren „Deutsche„ laut Polizei, der Gewalt vorausgegangen sei angeblich eine Beleidigung durch den Mann aus Saudi-Arabien:
„Der 17-Jährige schlug den Ausländer zu Boden und trat ihn dann mit dem beschuhten Fuß. Dabei betitelte er den 30-Jährigen als ‚Negerschwein‘. Auch die 17-Jährige trat einmal mit dem beschuhten Fuß zu. Die beiden 17-Jährigen trugen Turnschuhe. Anschließend flüchteten sie, konnten aber gestellt werden. Sie wurde vorläufig festgenommen und zum Polizeirevier verbracht. Bei der Identitätsfeststellung im Polizeirevier rief die 17-Jährige laut ‚Heil Hitler‘. Der 30-jährige Ausländer wurde stationär im Krankenhaus aufgenommen. Er hat leichte Gesichtsprellungen, Hämatome im Bereich der linken Gesichtshälfte und Schürfwunden am rechten Unterarm.„
Der 30-Jährige hat gerade noch Glück gehabt.
Rick L., Marcel W. und Cha Dong N. hatten dies nicht.
Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).