Am Landgericht Halle wurde nach mehr als einjähriger Hauptverhandlung und 36 Verhandlungstagen gegen vier Angeklagte wegen des schweren Brandanschlags am 6. Januar 2007 in Sangerhausen das Urteil gesprochen: Das zuständige Jugendschwurgericht verurteilte Danny R. (27), Glenn K. (28) und Christian K. (25) wegen versuchten Mordes, besonders schwerer Brandstiftung sowie Verstoß gegen das Waffengesetz zu 4 Jahren und 9 Monaten, 3 Jahren und 9 Monaten bzw. 5 Jahren und vier Monaten Haft. Franziska Z. (22) wurde wegen Beihilfe zum versuchten Mord und zur besonders schweren Brandstiftung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt, die für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Damit blieb das Gericht deutlich hinter der Forderung der Staatsanwaltschaft Halle zurück, welche in ihrem Plädoyer eine Verurteilung der vier Angeklagten zu Gefängnisstrafen zwischen fünf und acht Jahren gefordert hatte.
Laut Gericht hatten die vier Angeklagten im Alter von 22 bis 28 Jahren am frühen Morgen des 6. Januar 2007 nach einer Feier in der Neonazi-Szene mindestens zwei Molotow-Cocktails in die damals von drei Afrikanern bewohnte Flüchtlingsunterkunft geworfen. Ein Brandsatz durchschlug das Küchenfenster im Erdgeschoss und entfachte den Türrahmen und die Dielung.
Nicht nachvollziehbar war für Prozessbeobacher*innen die Entscheidung der Kammer, die drei männlichen Verurteilten, welche sich bis heute in Untersuchungshaft befunden hatten, aus der Haft zu entlassen. Insbesondere die Schwere der Tat hätte eine Fortdauer der Untersuchungshaft begründen müssen. Die Staatsanwaltschaft Halle legte dagegen Beschwerde ein. Weil die Kammer dieser nicht stattgegeben hat, wird sich in Kürze das Oberlandesgericht Naumburg damit befassen müssen.
„Menschenverachtend“
Der Vorsitzende Richter wertete die Tat in seiner Urteilsbegründung insgesamt als „feigen und menschenverachtenden Anschlag auf das Leben unschuldiger Menschen“. Er ging auch explizit auf die weiter anhaltenden psychischen Folgen des Brandanschlags für den heute 25-jährigen Hauptbetroffenen aus Burkina Faso ein. Direkt nach dem Tat hatte der schwer traumatisierte Betroffene Sangerhausen verlassen, weil er um sein Leben und seine Sicherheit fürchtete. Damit begann für ihn ein zäher Kampf mit den Behörden, um eine so genannte „Umverteilung“ zu erreichen. Erst kurz vor Prozessbeginn – im Juni 2007 – wurde er auch offiziell einem Flüchtlingsheim im Wohnort seiner Wahl zugewiesen. Doch sein Antrag auf eigene Wohnung zur weiteren Verbesserung seines Gesundheitszustands wurde durch die Stadtverwaltung mit Verweis auf seinen aufenthaltsrechtlichen Status abgelehnt. „Die Gewährung eines Bleiberechts für Betroffene von rassistischen Angriffen ist schon längst überfällig“, so eine Sprecherin der Mobilen Opferberatung. „Ein Bleiberecht wäre auch ein deutliches politisches Signal an rechte Schläger und deren Umfeld, dass ihre Handlungen zum genauen Gegenteil ihres eigentlichen Zieles führen.“
Auch wenn das Gericht in seiner Urteilsbegründung eine fremdenfeindliche Motivation für die Tat explizit benannte, geht es im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft und Nebenklagevertretung von Rache als Hauptmotiv aus. Hintergrund ist, dass der Hauptbetroffene des Anschlags im Mai 2006 auf den späteren Initiator des Anschlags, Danny R., sowie weitere augenscheinlich Rechte getroffen war und sich derart bedroht gefühlt hatte, dass er zu seiner Verteidigung ein Messer zog, was ihm die Flucht ermöglichte. Auch R. hatte Anzeige gegen den Flüchtling aus Burkina Faso erstattet, beide Ermittlungsverfahren wurden in der Folge jedoch eingestellt.
Zudem habe laut Urteilsbegründung nicht festgestellt werden können, dass die Tat bereits im rechten Treffpunkt in Sotterhausen (bei Sangerhausen) geplant worden wäre. „Unbestritten ist, dass der Neonazitreffpunkt in Sotterhausen Ausgangspunkt zahlreicher rechter Aktivitäten mit lokaler und überregionaler Bedeutung ist und somit den Nährboden für menschenverachtende Gewalt bietet“, so eine Sprecherin der Mobilen Opferberatung. In der Nacht vom 5. zum 6. Januar 2007 hatten alle Angeklagten eine Feier des Neonazis Enrico Marx und der NPD-Abgeordneten Judith Rothe in Sotterhausen besucht. Die drei Männer gehören selbst zur rechten Szene und nahmen regelmäßig an Kameradschaftstreffen in Sotterhausen und weiteren Veranstaltungen wie beispielsweise rechten Konzerten teil. Christian K. war Schlagzeuger der mittlerweile aufgelösten Neonazi-Band „Hate Soldiers“, die in Sotterhausen probte. Mehrere Lieder der Band sind u.a. wegen Verherrlichung des Nationalsozialismus indiziert. Lediglich Franziska Z. gehörte laut Beweisaufnahme erst kurz zur rechten Szene und distanzierte sich auch in ihrem heutigen Schlusswort deutlich.
Neonazihochburg Sangerhausen
Immer wieder kommt es in Sangerhausen zu rassistischen Angriffen, beispielsweise im März diesen Jahres, als eine 29-jährige vietnamesische Studentin bei der Durchreise auf dem Bahnhof in Sangerhausen aus einer Gruppe von drei jungen Männern geschlagen, getreten und Richtung Gleise gestoßen wurde. Und obwohl selbst der aktuelle Verfassungsschutzbericht des Magdeburger Innenministeriums dem Neonazitreffpunkt von Enrico Marx und Judith Rothe in Sotterhausen eine „herausragende Bedeutung“ bescheinigt, ist von zivilgesellschaftlichen Aktivitäten gegen die extrem gewaltbereite und dominante Mischszene aus Neonazi-Kameradschaften, NPD, Jungen Nationaldemokraten (JN) und RechtsRock-Aktivisten kaum etwas zu spüren.
Am Samstag, den 5. Juli 2008, soll zum zweiten Mal ein von NPD, JN und Kameradschaften ausgerichtetes „Sommerfest“ in Sangerhausen stattfinden. Als Redner sind u.a. der Holocaust-Leugner Olaf Rose und der bundesweite Neonazianführer Thomas „Steiner“ Wulf angekündigt. Mit „Wolfsgarde“ ist zudem der Auftritt einer Neonaziband angekündigt, die sich auf Myspace als Nachfolgeprojekt von „Hate Soldiers“ bezeichnet. Diese „Sommerfeste“ verfestigen die Dominanz der rechtsextremen Jugendkulturen in der Region. Schon im vergangen Jahr konnte die NPD in Sangerhausen ungestört mit rund 400 Teilnehmern und zahlreicher Neonaziprominenz ein so genanntes „Sommerfest der nationalen Bewegung“ feiern.
Ein Jahr dauernder Prozess
Ein Jahr zuvor – am 26. Juni 2007 – wurde der Prozess gegen die drei Männer und die zur Tatzeit noch 20-jährige Frau wegen versuchten Mordes sowie besonders schwerer Brandstiftung vor der Jugendkammer des Landgerichts Halle eröffnet. Die vier Rechten wurden angeklagt, am frühen Morgen des 6. Januars 2007 aus vermutlich drei Flaschen sog. Molotow-Cocktails hergestellt, in die Flüchtlingsunterkunft in Sangerhausen geworfen und dadurch das Gebäude in Brand gesetzt zu haben. Die drei Bewohner, die zur Tatzeit in dem Haus schliefen, konnten sich noch rechtzeitig in Sicherheit bringen, leiden aber bis heute zum Teil erheblich unter den Folgen des Anschlags. Am 30. Juni 2008, ab 9:00 Uhr, wird das Urteil vor dem Landgericht Halle erwartet. Zuvor sollen noch die letzten Worte der Angeklagten gehört werden, bevor sich das Gericht zur Beratung zurückzieht.
Die Staatsanwaltschaft Halle sah in ihrem Plädoyer die Vorwürfe gemäß der Anklage als erwiesen an und beantragte eine Verurteilung zu Freiheitsstrafen von acht Jahren für den mutmaßlichen Initiator der Tat Danny R. (27 Jahre), je sieben Jahre für die Mitangeklagten Glenn K. (27 Jahre) und Christian K. (25 Jahre) sowie fünf Jahre wegen Beihilfe für Franziska Z. (22 Jahre). Sowohl Staatsanwaltschaft als auch die Nebenklage benannten Rassismus als eindeutiges Motiv für den Anschlag.
In den Plädoyers der drei Nebenklagevertreter wurde überdies auf den Zusammenhang zwischen den vier Angeklagten und der organisierten Neonaziszene hingewiesen. Sie gehörten zum Tatzeitpunkt alle der rechten Szene an, waren regelmäßig bei Kameradschaftstreffen in Sotterhausen, bei rechten Konzerten und sonstigen Veranstaltungen. Christian K. spielte als Schlagzeuger in der rechten Band „Hate Soldiers“, von denen mehrere Lieder u.a. wegen Verherrlichung des Nationalsozialismus indiziert wurden. Dem rechten Szenetreffpunkt „Zum Thingplatz“ in Sotterhausen, Wohnprojekt des Rechtsextremisten Enrico Marx und der NPD-Funktionärin Judith Rothe, wird auch im diesjährigen Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt eine „herausragende Bedeutung“ zugesprochen. Während des Verfahrens wurden eine Vielzahl von Zeugen der rechten Szene gehört, u. a. die Geschäftsführerin der NPD-Kreistagsfraktion für den Landkreis Mansfeld-Südharz und zugleich Verlobte des Angeklagten Glenn K., die zum Tatvorwurf äußerte: „Ich denke genauso, renne aber nicht rum und mache es.“ Von den Angeklagten hat sich bis gestern nur Christian K. von der Tat distanziert, jedoch seine eigene Beteiligung bestritten.
Die drei Nebenkläger, die aufgrund erheblicher Ängste vor den Angeklagten und Rache aus deren Umfeld nur zu ihren Zeugenaussagen erschienen, waren auch zur Urteilsverkündung nicht zugegen, aber ihre Vertreter. (Quellen: ddp und www.mobile-opferberatung.de)
Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).